Das, was den Klimawandel und seine Folgen für viele Menschen so schwer greifbar macht, ist die Tatsache, dass er oft jenseits unserer Wahrnehmung sichtbar wird, scheinbar langsam vor sich geht, aber trotzdem schon in einem Menschenalter dramatische Folgen hat. Die Europäische Umweltagentur hat jetzt ihren neuen Bericht zum Klimawandel vorgelegt, an dem auch Leipziger Forscher mitgearbeitet haben.
Der Bericht, für den neueste Trends und Prognosen zum Klimawandel und seinen Folgen in ganz Europa ausgewertet wurden, gelangt zu dem Schluss, dass bessere und flexiblere Strategien, Konzepte und Maßnahmen zur Anpassung entscheidend dafür sein werden, ob es gelingt, diese Folgen zu mindern. Aber wo sind sie?
Wie dem Bericht „Climate change, impacts and vulnerability in Europe 2016“ zu entnehmen ist, haben die beobachteten Klimaveränderungen bereits heute weitreichende Auswirkungen auf Ökosysteme, Wirtschaft sowie Gesundheit und Wohlergehen der Menschen in Europa. Die Temperaturen weltweit und in Europa erreichen immer neue Höchstwerte, die Meeresspiegel steigen auf Rekordwerte und das Meereis in der Arktis schwindet auf den geringsten je beobachteten Wert.
Auch die Niederschlagsmuster verändern sich – in den regenreicheren Regionen Europas nehmen die Niederschläge generell zu, die niederschlagsärmeren Regionen werden hingegen trockener. Die Gletscher gehen zurück, die Schneebedeckung nimmt ab. Gleichzeitig steigt in vielen Regionen die Häufigkeit und Intensität klimabedingter Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregen und Dürreperioden. Verbesserte Klimaprognosen liefern weitere Hinweise darauf, dass klimabedingte Extreme in vielen Regionen Europas weiter zunehmen werden.
„Der Klimawandel wird sich über viele Jahrzehnte hin fortsetzen. Ausmaß und Auswirkungen des künftigen Klimawandels werden von der Effektivität der Umsetzung der weltweiten Vereinbarungen zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen abhängen, aber auch davon, dass es uns gelingt, die richtigen Strategien und Konzepte zu entwickeln, um die durch aktuelle und prognostizierte Klimaextreme hervorgerufenen Risiken zu verringern“, erklärt dazu Prof. Hans Bruyninckx, Exekutivdirektor der Europäischen Umweltagentur.
Und Dr. Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, der den Bericht mit koordiniert hat, ergänzt: „Der aktuelle Bericht bestätigt die wesentlichen Ergebnisse des letzten Berichtes von 2012. Die bessere Informationsgrundlage erlaubt jedoch auch neue Erkenntnisse, zum Beispiel hinsichtlich einer Zunahme von Extremereignissen in Europa. Diese unterstreichen, wie wichtig ambitionierte Klimaschutz- und -anpassungsmaßnahmen sind.“
Die „Hotspots“ des Klimawandels oder an welchen Stellen es schon kocht und brodelt
Alle Regionen Europas sind für den Klimawandel anfällig, aber einige Regionen werden von den negativen Auswirkungen stärker betroffen sein als andere.
Dürre und Hitze in Südeuropa: Den Prognosen zufolge werden Süd- und Südosteuropa besonders unter dem Klimawandel zu leiden haben, da hier mit den meisten negativen Auswirkungen zu rechnen ist. Bereits jetzt ist in der Region eine starke Zunahme der Hitzeextreme und ein Rückgang der Niederschläge und der Flusspegel zu verzeichnen, wodurch die Gefahr ausgeprägterer Dürreperioden, niedrigerer Ernteerträge sowie eines Rückgangs der biologischen Vielfalt und die Waldbrandgefahr steigen. Man geht davon aus, dass häufigere Hitzewellen und Veränderungen bei der Ausbreitung klimasensitiver Infektionskrankheiten dazu führen werden, dass Gesundheit und Wohlergehen der Menschen wachsenden Gefährdungen ausgesetzt sind.
Sturmfluten an den Küsten: Auch die Küsten‑ und Überflutungsgebiete in den westlichen Regionen Europas gelten als „Hotspots“, denn steigende Meeresspiegel und eine mögliche Zunahme von Sturmfluten lassen auch hier die Gefährdung wachsen. Für die marinen Ökosysteme bringt der Klimawandel infolge der Versauerung und zunehmenden Erwärmung der Meere und der Ausweitung der sauerstoffarmen Totzonen ebenfalls weitreichende Veränderungen mit sich.
Klimawandel in der Arktis: Die Ökosysteme und die menschlichen Aktivitäten in der arktischen Region werden durch den besonders raschen Anstieg von Luft- und Meerestemperaturen und das damit verbundene Abschmelzen von Land- und Meereis ebenfalls in hohem Maße betroffen sein. Zwar ergeben sich für einige Regionen auch positive Folgen, wie z. B. bessere Bedingungen für die Landwirtschaft in Teilen Nordeuropas, doch werden negative Folgen in den meisten Regionen und Wirtschaftszweigen überwiegen.
Ökosysteme, menschliche Gesundheit und Wirtschaft
Tier- und Pflanzenarten wandern nordwärts: Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sehen sich Veränderungen ihres Lebenszyklus ausgesetzt und wandern nordwärts und in höhergelegene Regionen ab, während sich verschiedene invasive Arten dauerhaft ansiedeln oder ihren Lebensraum ausgeweitet haben. Marine Arten, darunter auch wirtschaftlich wichtige Fischbestände, wandern ebenfalls gen Norden. Von diesen Veränderungen sind unterschiedliche Ökosystemdienstleistungen und Wirtschaftszweige betroffen, wie Land- und Forstwirtschaft und Fischerei.
Klimatisch bedingte Krankheiten treten verstärkt auf: Die wesentlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit hängen mit Extremwetterereignissen, Veränderungen bei der Ausbreitung klimasensitiver Krankheiten und Veränderungen der Umweltbedingungen und der sozialen Bedingungen zusammen. Millionen Menschen in Europa waren im zurückliegenden Jahrzehnt von Überschwemmungen an Flüssen und in den Küstenregionen betroffen. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen zählen Verletzungen, Infektionen, Exposition gegenüber chemischen Gesundheitsrisiken und Folgen für die psychische Gesundheit. Hitzewellen nehmen in ihrer Häufigkeit und Intensität zu und sind für zehntausende vorzeitiger Todesfälle in Europa verantwortlich. Diese Entwicklung wird sich weiter intensivieren, wenn nicht geeignete Maßnahmen zur Anpassung getroffen werden. Durch die Ausbreitung von Zeckenarten, der asiatischen Tigermücke und anderer Krankheitsüberträger wächst das Erkrankungsrisiko für Borreliose, durch Zecken übertragene Hirnhautentzündung, West-Nil-Fieber, Denguefieber, Chikungunyafieber und Leishmaniose.
Versicherungsschäden steigen drastisch an: Die mit dem Klimawandel verbundenen wirtschaftlichen Kosten können sehr hoch ausfallen. Seit 1980 wurden in den EWR-Ländern durch klimabedingte Extremwetterereignisse wirtschaftliche Schäden in Höhe von mehr als 400 Mrd. EUR verursacht. Die vorliegenden Schätzungen der zukünftigen Kosten des Klimawandels in Europa beziehen nur einige wenige Wirtschaftszweige ein und weisen eine erhebliche Unsicherheit auf. Am höchsten fallen die prognostizierten Schadenskosten durch den Klimawandel jedoch für den Mittelmeerraum aus. Durch Auswirkungen auf Handel und Infrastruktur, geopolitische Risiken und Sicherheitsrisiken sowie Migration ist Europa auch von den Folgen des Klimawandels betroffen, die außerhalb Europas eintreten.
Und wie sehen nun die Strategien Europas aus?
Eigentlich gibt es keine, die dem Namen gerecht werden.
Das deutet auch das UFZ ganz vorsichtig an, wenn es formuliert: „Bei der Einziehung der Anpassung an den Klimawandel in andere Politikfelder sind Fortschritte zu verzeichnen, doch besteht hier noch weiteres Potenzial. Weitere mögliche Maßnahmen sind die Verbesserung der Kohärenz politischer Maßnahmen über unterschiedliche Politikfelder und ‑ebenen (EU-, transnationale, nationale und subnationale Ebene) hinweg, flexiblere adaptive Konzepte für den Umgang mit dem Klimawandel sowie die Kombination technischer Lösungen, ökosystembasierter Konzepte und ‚weicher‘ Maßnahmen.“
Denn das Problem so vielfältiger gleichzeitiger Veränderungen ist: Dem begegnen kann man nur mit europaweit angestimmten gemeinsamen Maßnahmen, die den Kontinent resistenter machen gegen die Veränderungen – vom Rückbau aller schädlichen Einflüsse bis zur nachhaltigen Sicherung der Ressourcen, vor allem von Land, Wasser und Biodiversität.
Diese große Strategie aber fehlt. Und sie droht vor allem im gegenwärtigen Spektakel von Nationalisten und Populisten unterzugehen, die glauben, in alten Rezepten eine Rettung vor den drohenden Gefahren zu finden. Dabei ignorieren sie völlig, wie anfällig unsere Gesellschaft gegenüber diesen Veränderungen ist und wie bedroht unsere Infrastrukturen. Sicher wird dieser Kontinent nur, wenn alle gemeinsam wirksame Anpassungsstrategien entwickeln.
Die übrigens nicht an Europas Grenzen aufhören können. Denn auch darauf weist der Bericht hin: Dass der Klimawandel gerade im Süden noch drastischere Folgen hat und mit verstärkter Migration zu rechnen ist, wenn Menschen aus von Wassermangel und Dürre bedrohten Gebieten fliehen.
Die 2013 beschlossene EU-Strategie zum Klimawandel soll 2018 überarbeitet werden. Und die EU tut gut daran, wirklich eine umsetzbare Strategie zu entwickeln.
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