Manche Geschichten, die muss man einfach aufheben für die Tage, in denen ein paar Leute wieder merken, dass sie sich die ganze Zeit wie Ebeneezer Scrooge benommen haben. Und nun wollen sie sich ganz schnell bessern, weil der Geist der morgigen Weihnacht ihnen Fracksausen bereitet. So schnell wird aus einem Misanthropen ein guter Kerl? Kannste vergessen, meldeten im April ein paar freche Forscher aus Leipzig.
Es waren die Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Das sind die, die sich mit der Frage beschäftigen, was in unserem Gehirn wirklich abläuft, wenn wir handeln und miteinander agieren. Dazu hatten wir an der Stelle schon allerhand Untersuchungen zu Kindern, die mal egoistisch handelten, mal auf verblüffende Weise solidarisch waren, mal ging es um das Erschaffen von Erinnerungen, mal um Mitgefühl.
Alles Studien, bei denen man sich sagt: Das sollten unsere hartgebrannten Dauerredner in den Medien eigentlich mal wissen. Oder verstehen.
Aber vielleicht verstehen sie es ja. Und benehmen sich gerade deshalb so hartherzig und scroogig. Denn Rücksichtslosigkeit hat ja wieder andere Vorteile. Sehr egoistische in der Regel.
So nebenbei macht sie aber unsere Gesellschaft kaputt. Überlebt hat die Menschheit nicht, weil sie so gut Kriege führen kann, sondern weil das Grundmuster immer Solidarität war. Es war nie anders. Menschen waren immer darauf angewiesen, dass andere Gruppenmitglieder sie unterstützten, beschützten, mitversorgten. Das hat die Menschen zur Ausprägung vieler Verhaltensweisen gezwungen, die wir als soziales Erbe von Generation zu Generation übernehmen. Religionen haben das alles nicht erfunden, sondern nur in Gebote gepackt und mit Gott quasi einen großen Aufpasser drüber gesetzt.
Das Erstaunliche ist nur: Die meisten Menschen fühlen sich trotzdem unbeobachtet, wenn sie sich fies benehmen.
Denn wir hätten ja keine heiligen Gebote gebraucht, wenn nicht immer wieder Menschen versuchen würden, die anerkannten sozialen Regeln der Gruppe zu unterlaufen und nur an ihren Vorteil denken.
Und wie erforscht man das?
Wie ertappt man Menschen beim Schummeln und Lügen?
Da sind wir jetzt bei den Keksen.
Warum und wie stark sich Menschen prosozial verhalten, interessiert nämlich mittlerweile sogar ein paar Ökonomen – und Psychologen und Neurowissenschaftler erst recht. Für ihre Untersuchungen nutzen sie dabei jedoch ganz unterschiedliche Methoden: Während sich Ökonomen eher spieltheoretischer Methoden bedienen, nutzen Neurowissenschaftler und Psychologen häufig Computersimulationen oder schlichtweg Fragebögen. Obwohl jedes der Verfahren vorgibt, das gleiche, die Prosozialität zu messen, lassen sich ihre Ergebnisse kaum miteinander vergleichen.
(Was es in der Wirtschaftswissenschaft mit Spieltheorie auf sich hat, kann man im unterm Artikel verlinkten Wikipedia-Beitrag lesen.)
Man hat ein Potpourri der Methoden, die aber augenscheinlich unterschiedliche und nicht unbedingt vergleichbare Befunde liefern. Da müsste man also mal aufräumen. So etwas haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig in einer Studie mit mehreren hundert Probanden versucht und dabei eine Vielzahl dieser Verfahren miteinander verglichen.
„Wir haben gezeigt, dass die einzelnen Methoden tatsächlich sehr unterschiedliche Aspekte prosozialen Verhaltens messen. Neben altruistisch motivierten eben auch normorientierte und strategische Komponenten“, stellt Prof. Anne Böckler, Erstautorin der dahinterstehenden Studie, fest. Dadurch wisse man nun, welches Verfahren jeweils genutzt werden muss, um die verschiedenen Beweggründe für Prosozialität zu untersuchen.
Wer’s liest, liegt richtig: prosozial ist das Gegenteil von asozial. Das eine ist der Kekseraffer, das andere ist der, der seine Kekse mit anderen teilt. „Dadurch könnte es möglich werden, einzelne Motivationen gezielt durch Training zu stärken und dessen Effekte zu erfassen“, erklärt Prof. Tania Singer, Leiterin der Studie und Direktorin am MPI CBS.
Altruistische Motivationen wie das Kekseteilen beispielsweise, die zum Wohlbefinden anderer Menschen beitragen, selbst wenn das mit Kosten für die Person selbst verbunden ist. Oder mit Verzicht auf Kekse. Man hat dann weniger. Schrecklich! Sie kennen diese Verzweiflungsschreie aus ihrem Umfeld bestimmt auch: Verzicht leisten! Teilen! Abgeben! Weniger haben!
Grauenvoll.
Aber wie misst man die Bereitschaft, Kekse mit wildfremden Leuten zu teilen?
Als gutes Maß für diese Uneigennützigkeit haben sich Methoden herausgestellt, die die Bereitschaft erfassen, zu teilen, zu vertrauen, einfach großzügig zu geben oder Zeit für andere zu investieren, teilt das Institut mit. Und man denkt an ein Forschungsergebnis, dass das MPI vor vier Jahren veröffentlichte: Solidarisches Verhalten ist – anders als Egoismus – nicht angeboren. Man muss es lernen und trainieren.
Und man ahnt es schon: Wenn Eltern das nicht hinkriegen, bekommt man Kinder, die soziale Regeln nicht beachten, lauter kleine Egoisten. Oder große, die nicht mal was merken, wenn sie Präsident geworden sind.
Das Interessante dabei: Eine besonders häufig genutzte Methode, die Fragebögen, entpuppte sich als kaum geeignet, um prosoziales Verhalten zu messen. Denn sie untersuchen offenbar weniger, wie sich Personen wirklich verhalten. Vielmehr erfassen sie, wie Personen sich selbst gern sehen oder von anderen gesehen werden wollen.
Denn der Mensch ist ja auch darauf bedacht, dass keiner merkt, wenn er nur an sich denkt. Man will ja nach außen den Anschein geben, als sei man ein liebenswürdiger Mensch, dem man jederzeit vertrauen kann. Kennen Sie bestimmt auch, diese Typen. Viel Schein, viel Egoismus.
Und die kleine böse Überraschung: Gerade Frauen wurden beim Schummeln ertappt.
Deutlich wurde dies beispielsweise dadurch, dass sich weibliche Probanden in den Fragebögen selbst als hilfsbereiter und großzügiger einschätzten als männliche – sich aber in den Methoden, die das Verhalten tatsächlich messen, genau das Gegenteil herausstellte. (Absolute Zahlen haben die Forscher nicht mitgeliefert. Der Effekt kann auch einfach bedeuten, dass Männer kein Problem damit haben, sich als Rüpel darzustellen. Der oben erwähnte Präsident ist ja das beste Beispiel dafür. Von Frauen erwartet man einfach mehr Solidarität – und sie versuchen dem Bild auch zu genügen. Aber wie man weiß, tut das der Karriere auch nicht gut.)
„Außerdem deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass altruistisch motivierte Menschen, die im Alltag gern mal als naive Gutmenschen bezeichnet werden, in Wirklichkeit intelligenter sind“, sagt Böckler. Noch etwas, was den erwähnten Präsidenten vielleicht ärgern würde, wenn er es erfährt. Denn Egoismus ist nun einmal einfacher. Es gilt nur eine Regel: Alles Meine!
Diese komischen Altruisten aber sind darauf trainiert, immerfort abzuwägen: Was bringt das unserer Gesellschaft? Hilft das unserer Umwelt? Hilft das dem sozialen Frieden? Bereite ich damit anderen eine Freude? Wird unsere kleine Stadt damit freundlicher und sicherer? Wird meine Hilfe dazu führen, dass auch anderen wieder geholfen wird?
Solche Fragen. Die, die so denken, wissen, was da alles abläuft. Wer es nicht versteht, hat jetzt ein Problem. Denn wie ist der ausgerechnet in diesem Artikel gelandet? Will er sich vielleicht doch noch bessern?
Und die Kekse?
„Dass jemand seine Knabbereien mit uns teilt, kann also verschiedene Gründe haben. Vorsicht ist geboten, wenn jemand nachdrücklich seine hehren Motive dafür betont“, sagt Anne Böckler. Lächelnd, wie uns das verantwortliche Institut mitteilt.
Womit wir gelernt haben: Manche Menschen teilen einfach, weil sie eine tief empfundene Freude daran haben, mit anderen etwas Gutes und Leckeres zu teilen. Und andere haben dabei Hintergedanken. Vielleicht auch nur den: „Ich kann doch die Kekse nicht alle alleine …Was denken denn dann die Leute?“
Was auch schon gelerntes soziales Verhalten ist.
Und dann gibt es noch die Kerle, die ihre Kekse auspacken und vor aller Augen anfangen, sie alleine aufzufuttern und auch noch ihre Freude daran haben, wenn die anderen komisch gucken. Diese Typen werden heutzutage Präsident.
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