Andere Länder hätten einen Zaun drumherum gebaut und das Gelände für die Ewigkeit gesichert. Aber Ägypten ist ein an über 2.000 Jahre alten Ruinen und Fundstätten so reiches Land, da sind auch die Reste des alten Heliopolis scheinbar verzichtbar. Jahrelang lagen sie unter einer Müllhalde. Jetzt werden dort Häuser gebaut und ein Leipziger Archäologe macht die Funde seines Lebens.

Dr. Dietrich Raue heißt er, Kustos des Ägyptischen Museums – Georg Steindorff – der Universität Leipzig, wo die Ägyptologie seit über 100 Jahren zu Hause ist. Dass man wohl die Fundamente der alten Tempel von Heliopolis, die heute im Stadtgebiet der Millionenstadt Kairo liegen, finden würde, war zumindest zu erwarten bei Beginn der Grabungen. Dass man auch noch Kunstwerke und schriftliche Zeugnisse ausgraben würde, hingegen nicht.

Heliopolis gilt in der ägyptischen Überlieferung als der Ort der Weltschöpfung und so entstand dort der größte Tempelbezirk des Alten Ägyptens in gewaltigen Ausmaßen: In die 1.100 mal 900 Meter große Anlage hat jeder König investiert und gebaut. So setzten sich die Pharaonen selbst ein Denkmal und baten damit den Schöpfergott oft auch um eine Verlängerung der Herrschaft und Lebenszeit.

War da überhaupt noch etwas zu finden?

Gleich mehrere große Überraschungen erlebte das Team um Dietrich Raue bei einer Grabung im ägyptischen Tempel Heliopolis in Kairo. In zwei bis drei Metern Tiefe entdeckten die Forscher neben vollständigen Relief-Szenen aus der Zeit Ramses II. auch einen zweiten Tempel des bedeutenden Herrschers sowie ein Sitzbildnis Ramses VI. und die Pfote einer kolossalen Sphinx.

„Das ist ganz eindrucksvoll auf den mächtigen Reliefblöcken zu sehen, die wir jetzt geborgen haben“, erläutert Dr. Dietrich Raue, der im September für sechs Wochen mit drei Studierenden nach Kairo reiste. „Wir sehen etwa ein Bildnis von Ramses II., der eine Gazelle opfert und dafür Leben und Herrschaft erhält.“

Besonders interessant auf diesem Relief-Block aus Raues Sicht: Ramses II., einer der bedeutendsten Herrscher des Alten Ägyptens, tritt hier erstmals unter einem neuem Namen in Erscheinung. Die genaue Bedeutung müssen die Wissenschaftler nun untersuchen, eine Verbindung zum Großvater oder gar eine Vergöttlichung des Herrschers liege nahe.

Weiterhin entdeckten die Archäologen ein Portal, das auf einen zweiten Tempel des altägyptischen Königs hindeutet. Auch Porträts mit einem charakteristischen Stirnhöcker befinden sich unter den Ausgrabungsfunden, eine Darstellungsform, die bislang gänzlich unbekannt war.

„Dann dachten wir, das wären schon unsere größten Entdeckungen dieser Grabung gewesen“, erinnert sich Raue. Doch weit gefehlt: Das Grabungsteam stieß kurz darauf auf eine Sitzstatue von Ramses VI., ein relativ wenig bezeugter König, der um 1140 v. Chr. regierte. „Von ihm haben wir bei den vorangegangenen Grabungen noch nie etwas gefunden. Da fragt man sich als Archäologe schon: Werde ich so etwas in meinem Leben noch einmal zu sehen bekommen?“

Im Hauptgrabungsfeld des Tempels brachten die Forscher qualitativ hochwertige Reliefs, davon 20 aus der Zeit Nektanebo I. (380-363 v. Chr.) zutage.

Relief mit Ramses II. bei einer Opfergabe Foto: Ägyptisches Museum, Universität Leipzig
Relief mit Ramses II. bei einer Opfergabe Foto: Ägyptisches Museum, Universität Leipzig

Des Weiteren erhielten die Archäologen mit dieser Grabung weitere Erkenntnisse über den Aufbau der Tempelanlage: An der Nordseite entdeckten sie eine fast ein Meter lange Tatze einer Kollossal-Sphinx, die die Nordfassade des Tempels zierte. Eine große Königsstele, von der ein Fragment unweit der Sphinx gefunden wurde, könnte Aufschluss über Ansichten des Königs geben. Weitere Stücke der Stele hoffen die Wissenschaftler bei einer der nächsten Grabungen zu finden.

Zu guter Letzt konnte erstmals ein Teil der Tempelanlage erschlossen werden, der bisher vom Militär besetzt war. Dort fand das Grabungsteam Wohnhäuser aus dem vierten bis zweiten Jahrhundert vor Christus. In den Räumen entdeckten die Archäologen Reste des Tempelinventars – es sind Hinweise auf die Zerstörung des Tempels.

„In den Häusern haben wir auch Objekte gefunden, die uns vom täglichen religiösen Leben der einfachen Menschen erzählen wie etwa ein Kettenanhänger mit der Nilpferdgöttin, der Schutzpatronin der Gebärenden und Schwangeren oder Neujahrsflaschen, die von den großen Hoffnungen auf das neue Jahr erzählen“, erklärt Raue. Die Pflastersteine vor den Wohnhäusern, die vermutlich beschriftet sind und auch aus der Tempelanlage stammen, wollen die Ägyptologen bei der nächsten Grabung im Februar näher untersuchen.

Das ägyptisch-deutsche Grabungsteam arbeitet vor Ort unter schwierigen Bedingungen: Zum einen liegt die Tempelanlage etwa ein bis zwei Meter unterhalb des Grundwasserspiegels. Zum anderen will die Stadt Kairo das Gelände möglichst schnell für neuen Wohnraum nutzen. Somit kommt es immer wieder zu Notgrabungen, in denen gerettet wird, was noch zu retten ist – bevor dort neue Schulen, Krankenhäuser und Wohnhäuser entstehen. Neben der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist das internationale Forscherteam jedes Jahr auf Partner angewiesen. Die Grabung wird unter anderem von der Deutschen Botschaft Kairo, der Mehen Foundation Leiden, der European Foundation for Culture and Education der Rahn-Dittrich-Group und der Fondation Schiff-Giorgini/Lausanne unterstützt; die Bergungen schwerer Tempelblöcke ermöglichte die Firma Liebherr/ArabContractors. Die ägyptisch-deutsche Grabung des ägyptischen Antikenministeriums mit der Universität Leipzig fand nunmehr zum achten Mal statt – seit 2016 in Kooperation mit Prof. Dr. Kai-Christian Bruhn vom Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik der Hochschule Mainz.

Termintipp:

Am Donnerstag, 3. November, um 18:15 Uhr wird Dr. Dietrich Raue in einem Vortrag die Grabung sowie deren Funde vorstellen. Die Veranstaltung im Hörsaal 8 des Hörsaalgebäudes der Universität Leipzig ist öffentlich und kostenfrei. Im Anschluss wird Karl-Heinrich von Stülpnagel, Restaurator des Ägyptischen Museums, zum Wohnen im Alten Ägypten sprechen.

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