"Mütter machen einen Unterschied", titelt das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie zu einer neuen Nachricht aus dem Kosmos der Forscher, die eben nicht nur die Menschwerdung im Fokus haben, sondern auch die Affen genau beobachten. Kann es sein, dass sich viele menschliche Sozialisierungsprozesse auch schon bei Affen finden? Bei Rhesusaffen zum Beispiel?
Natürlich. Denn wenn Affen und Primaten keine Formen der sozialen Gruppenbildung mit entsprechenden Bindungen entwickeln, ist ihr Überleben natürlich infrage gestellt. Sie sind ja keine einzelgängerischen Raubtiere, sondern auf das Funktionieren der sozialen Gruppe angewiesen. Und dort herrschen unterschiedlich enge Beziehungen unter den Gruppenmitgliedern. Das erfahren männliche Rhesus-Affen schon sehr früh.
Die Mutter-Kind-Beziehung ist zwar auch bei Affen besonders eng – aber schon hier zeigen sich signifikante Unterschiede im Umgang der Mütter mit Söhnen und Töchtern.
Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Universität Leipzig haben auf Cayo Santiago, einer Insel nahe Puerto Rico, nun etwas genauer untersucht, ob Rhesusaffen-Mütter ihren männlichen und weiblichen Nachwuchs gleichermaßen bzw. unterschiedlich behandeln, wenn es um den Aufbau dieser essentiellen Bindungen geht. Das Ergebnis hat sie dann doch überrascht: Söhnen schenkten die Mütter während des ersten Lebensjahrs zwar genau so viel Zuwendung wie Töchtern, verhielten sich ihnen gegenüber aber aggressiver.
Mit Folgen. Denn genau dieses Verhalten der Mütter führt offenbar dazu, dass Rhesusaffen-Söhne eine weniger starke Bindung zu ihren Müttern aufbauen als Töchter. So verbringen sie nicht nur weniger Zeit mit ihrer Mutter, von der sie deutlich aggressiver behandelt worden waren, sondern wandern auch früher aus ihrer Geburtsgruppe ab.
Bekannt war der Effekt vorher schon: Dass diese Bindungen je nach Geschlecht unterschiedlich stark sind, wird von den Wissenschaftlern der Tatsache zugeschrieben, dass bei vielen Tierarten entweder die Männchen oder die Weibchen bei Erreichen der Geschlechtsreife die Geburtsgruppe verlassen. Sie schließen sich dann einer neuen Gruppe an und bauen neue Beziehungen auf.
„Bei den Rhesusaffen verlassen Männchen ihre Geburtsgruppe, wenn sie im Alter von etwa vier Jahren geschlechtsreif werden“, erläutert nun Anja Widdig den Vorgang. „Weibliche Tiere verbleiben in der Gruppe und sind auf starke Bindungen zu anderen Gruppenmitgliedern, insbesondere ihrer mütterlichen Verwandtschaft, angewiesen.“
Und das spiegelt sich sichtlich auch im Verhalten der Mütter wider.
Ob und wie das nun genau mit unterschiedlich starken Mutter-Kind-Bindungen schon vor Erreichen der Geschlechtsreife zusammenhängt, hat das Forscherteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Universität Leipzig jetzt auf Cayo Santiago untersucht. Die Forscher zeichneten zum Beispiel akribisch auf, wann Mütter ihren Nachwuchs säugten oder das Fell pflegten und wann sie sich ihm gegenüber aggressiv verhielten.
Dabei liegt der Unterschied gar nicht mal in der Zuwendung, die erhielten Söhne wie Töchter gleichermaßen. Der Unterschied wird an einer ganz anderen Stelle sichtbar, wie Lars Kulik feststellt: „Söhnen brachten sie im ersten Lebensjahr entschieden mehr Aggression entgegen als Töchtern. Mütterliche Zuwendung erhielten jedoch beide Geschlechter gleichermaßen.“
Nach dem ersten Lebensjahr wendet sich das Blatt zwar ein wenig: Mütter verhalten sich Töchtern gegenüber aggressiver als Söhnen, möglicherweise weil sie sich prioritär um das nächste Neugeborene kümmern müssen. Generell nimmt die mütterliche Aggression ab, wenn die Kinder älter werden.
Aber der Effekt ist deutlich, wie auch die Studie ergab: Unübersehbar ist, dass „Söhne, die weniger Zeit mit ihrer Mutter verbringen und von dieser besonders aggressiv behandelt werden, die Geburtsgruppe häufig auch früher verlassen“, so Kulik. Und eine wichtige Rolle spielt genau dieses erste Lebensjahr, in dem augenscheinlich die wichtigsten sozialen Prägungen erfolgen.
Da Töchter im ersten Lebensjahr, welches für die Entwicklung des Sozialverhaltens der Tiere besonders wichtig ist, nur wenig mütterliche Aggression und relativ viel Nähe zur Mutter erfahren haben, ist deren Bindung sowie das weibliche Sozialgefüge gefestigt und hilft den Töchtern dabei, ihren Platz in der Geburtsgruppe zu finden, interpretiert Kulik die Beobachtungen. Die weiblichen Tiere lernen so augenscheinlich, dass die Gruppe, in die sie geboren werden, auch ihre Heimatgruppe ist, während der männliche Nachwuchs frühzeitig lernt, dass er sich nicht „ins gemachte Nest“ setzen kann, sondern seine Zukunft in anderen Gruppen erkämpfen muss.
„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Mütter die Stärke der Mutter-Kind-Bindung beeinflussen, indem sie sich Söhnen gegenüber aggressiver zeigen als Töchtern“, so Kulik.
Die Rhesusaffen gehören zwar nicht zu den Primaten. Da kann man also nicht direkt Vergleiche auch zum Menschen ziehen. Aber einiges an diesen sozialen Verhaltensweisen kommt einem doch erstaunlich vertraut vor. Einerseits stärkt dieser Prozess über die weiblichen Gruppenmitglieder die Stabilität der Gruppe. Andererseits sorgt dieses Verhalten natürlich auch dafür, dass männliche Gruppenmitglieder schon frühzeitig dazu animiert werden, die Gene der Gruppe in anderen Gruppen zu verbreiten. Was dann wieder den notwendigen genetischen Austausch gewährleistet, der dann wieder die genetische Gesundheit der Gesamtpopulation sichert.
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