Svante Pääbo war es, der die Forschung zu den genetischen Spuren des Neandertalers in Leipzig erst so richtig in Gang gebracht hat. Seitdem hat sich das Max-Planck-Institut in Leipzig zu einem der wichtigsten Hotspots in der Neandertaler-Forschung entwickelt. Und es vergeht kaum ein Monat, in dem keine neuen Erkenntnisse über den Burschen ans Tageslicht kommen, der sich auch im Erbgut des modernen Menschen wiederfindet.
Und zwar nicht, weil – wie die Forscher noch im 19. Jahrhundert glaubten – der Neandertaler der direkte Vorfahre des modernen Menschen war, sondern weil der moderne Mensch dem Neandertaler mindestens zwei Mal innerhalb der vergangenen 100.000 Jahre begegnete. Das eine Mal hinterließ die Begegnung ihre Spuren in unserem Erbgut. Das andere Mal war’s andersherum. Die frühen Begegnungen hatten schon in den vergangenen Monaten für Aufsehen gesorgt, als die Forscher über die entsprechenden Nachweise und ihre Folgen berichteten. Erstmals wurde auch deutlich, wie nah sich beide Menschenarten kamen, als vor 40.000 Jahren die (Wieder-)Besiedlung Europas begann.
Aber wann und wie genau sich die nahen Verwandten (beide stammen vom Homo erectus ab) möglicherweise zum ersten Mal begegneten, das hat jetzt ein internationales Forscherteam mithilfe verschiedener DNA-Analysemethoden aufgedeckt. Und dabei kam heraus, dass Neandertaler und moderne Menschen sich vor etwa 100.000 Jahren – und damit mehrere Zehntausend Jahre früher als bisher bekannt – vermischt haben. Aber halt nicht im schönen Italien oder im freundlichen Spanien, sondern in einer völlig anderen Weltgegend.
Das Ergebnis deutet darauf hin, dass einige moderne Menschen bereits früh – vielleicht sogar schon vor 200.000 Jahren – aus Afrika auswanderten und sich mit Neandertalern vermischten. Diese modernen Menschen starben aber später aus, gehören also nicht zu den Vorfahren heute lebender Nicht-Afrikaner, die erst vor etwa 65.000 Jahren Afrika verließen.
Das kann man dann wohl einen gescheiterten Auswanderungsversuch nennen. Und es ist gut möglich, dass es davon im Lauf der Jahrzehntausende mehrere gab. Immerhin läge eine Begegnung vor rund 100.000 Jahren noch in der frühen Weichsel-Kaltzeit, die Europa bis vor rund 12.000 Jahren im Griff hielt. Wirklich wirtliche Gegenden waren das in höheren Breiten, die wir heute als gemäßigt erleben, nicht. Während der Neandertaler an die Bedingungen schon gut angepasst war, fehlten dem Neuling aus Afrika natürlich viele Voraussetzungen dafür, in dem deutlich härteren Klima zu überleben.
Die Freude der Forscher darüber, die frühe Begegnung nun nachgewiesen zu haben, ist also verständlich.
„Seit der Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms wissen wir, dass das Erbgut heute lebender Nicht-Afrikaner Neandertaler-DNA enthält und sich Neandertaler und moderne Menschen miteinander vermischt haben. Diese Vermischung fand vor etwas weniger als 65.000 Jahren statt, als moderne menschliche Populationen sich von Afrika aus über Europa und Asien verbreiteten“, sagt Sergi Castellano vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Aber das Novum: „Jetzt haben wir menschliches Erbgut im Neandertalergenom gefunden, möglicherweise als Ergebnis einer deutlich früheren Vermischung.“
Dieses Erbgut hat sich also nicht im genetischen Material des heutigen Menschen bewahrt, sondern wurde im Erbgut von Neandertaler-Funden aus Zentralasien gefunden.
Martin Kuhlwilm vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie durchsuchte das Erbgut eines Neandertalers aus dem Altai-Gebirge in Zentralasien nach Abschnitten, die denen moderner Menschen ähneln. Die Überreste dieses Neandertalers waren in einer Höhle im Altai-Gebirge im südlichen Sibirien nahe der russisch-mongolischen Grenze gefunden worden. Kuhlwilm entdeckte dabei Regionen im Erbgut, die vom modernen Menschen stammen.
„Weil heute lebende Nicht-Afrikaner Neandertalerspuren im Genom haben, waren deren Daten für unsere Studie nicht geeignet. Stattdessen verwendeten wir die Genome von heute in Afrika lebenden Menschen, um solche Mutationen zu identifizieren, die die meisten von ihnen gemeinsam haben. Einige dieser Mutationen treten im Neandertalergenom aus dem Altai-Gebirge gehäuft in denselben Regionen auf, was auf eine Vermischung hindeutet“, beschreibt Kuhlwilm die Entdeckung.
Im Gegensatz zu dem Neandertaler aus dem Altai-Gebirge enthielt das Erbgut zweier Neandertaler aus europäischen Höhlen, welche die Forscher im Rahmen der Studie ebenfalls sequenziert haben, keine Abschnitte von modernen Menschen und damit keinen Hinweis auf einen Genfluss von Nachfahren moderner Menschen ins Neandertalergenom.
Die frühen modernen Menschen, die aus Afrika den Vorstoß in den Norden wagten, schlugen also nicht den Weg nach Nordwesten ein, sondern gerieten in die Region des Altai, wo sie augenscheinlich auf dort lebende Neandertaler trafen.
Die Wissenschaftler untersuchten außerdem das Genom des Denisova-Menschen, einer anderen ausgestorbenen Menschenart aus derselben Höhle im Altai-Gebirge. Doch im Gegensatz zum Genom dieses Neandertalers enthielt das Denisova-Genom keine moderne menschliche DNA.
„Das Signal, das wir im Altai-Neandertaler sehen, stammt wahrscheinlich von einem Vermischungsereignis, das erst stattfand, nachdem diese spezielle Neandertaler-Linie vor etwas mehr als 100.000 Jahren begann, sich von der Linie seiner europäischen Cousins getrennt weiterzuentwickeln“, vermutet Adam Siepel vom Simons Center for Quantitative Biology des Cold Spring Harbor Laboratory. Das bedeute aber nicht, dass sich moderne Menschen zu keinem Zeitpunkt oder an anderen Orten mit Denisova-Menschen oder europäischen Neandertalern vermischt haben könnten.
Forscher geben die Hoffnung ja nie auf. Die Welt unserer Vorfahren ist ein einziges Puzzles mit riesigen Löchern, weil sich menschliche Fossilien nun einmal nur an wenigen Orten unter besonderen Bedingungen erhalten. Und was die DNA betrifft, ist die Auswahl noch viel dünner.
Das im Altai-Neandertaler enthaltene moderne menschliche Erbgut scheint von einer Gruppe moderner Menschen zu stammen, die sich früh von anderen Menschen abspaltete, „etwa zu der Zeit, als heute lebende afrikanische Populationen sich voneinander trennten, also vor etwa 200.000 Jahren“, ergänzt Gronau, ein ehemaliger Mitarbeiter aus Siepels Team, der jetzt am Herzliya Interdisciplinary Center in Israel forscht.
Der moderne Mensch, der Gene an diesen speziellen Neandertaler weitergegeben hatte, muss zu einer Population gehört haben, die den afrikanischen Kontinent verlassen hat, bevor die Vorfahren heute lebender Europäer und Asiaten vor etwas weniger als 65.000 Jahren aus Afrika auswanderten, so die Forscher. Es muss also einen großen zeitlichen Abstand gegeben haben zwischen dem Zeitpunkt, als sich diese Gruppe vor etwa 200.000 Jahren vom Stammbaum des modernen Menschen „abzweigte“ und dem, als sie ihr Erbgut vor etwa 100.000 Jahren an den Altai-Neandertaler weitergab, bevor sie schließlich selbst ausstarb.
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