Als hätten sich auch noch ein paar Philosophen, Soziologen und Politilogen unter die Waldforscher im mitteldeutschen iDiV gemischt, so klingt es, wenn eine der letzten Meldungen aus dem Forschungsverbund in diesem Jahr lautet: "Benachbarte Bäume konkurrieren weltweit gleich um Wachstumsvorteile". Dabei sieht es ganz so aus, als würden sich Bäume genauso wie Menschen benehmen.

Aber das hat wohl eher keine moralischen Gründe. Und es macht deutlich, wie sehr Menschen ihre eigene Rolle als Mitglied einer Lebensgemeinschaft missverstehen, in der es nicht um Nation, Glauben oder irgendwelche Werte geht, sondern um Ressourcen. Darwin hätte sich wohl vor Spaß den Bart gekrault: Diese Menschen!

Oder doch eher: Diese Bäume?!

“Wenige funktionelle Pflanzenmerkmale können das Wachstum beim Wettbewerb zwischen benachbarten Bäumen im Wald dominieren”, lautet die jüngste Nachricht aus dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), dem Forschungsverbund in Mitteldeutschland mit seinen Schwerpunkten in Leipzig, Halle und Jena. Jüngst hat er seinen dritten Geburtstag gefeiert. Und selbst in den kleinen Forschungsprojekten steckt so manche Erkenntnis, die nicht nur Darwin begeistert hätte, sondern auch listige Professoren wie Georg Christoph Lichtenberg.

Das beginnt gleich, wenn die Forscher erklären, wo im Wald eigentlich die größte Konkurrenz herrscht. Und das ist nicht zwischen Buschwindröschen und Eberesche. Ganz und gar nicht.

Denn: Die Konkurrenz innerhalb der gleichen Arten scheint immer größer zu sein als zwischen den Arten, schreibt ein internationales Team in der aktuellen Ausgabe des Journals “Nature”. Grundlage für die Studie war unter anderem die Globale Datenbank für Pflanzenmerkmale (TRY), die am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena angesiedelt ist und auch vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) getragen wird.

Wälder bedecken fast ein Drittel der Landoberfläche unserer Erde – von den Polarkreisen bis hin zu den Tropen. Sie beherbergen eine erstaunliche Vielfalt von Baumarten mit unterschiedlichsten Formen und Strategien. Ökologen haben lange nach einem allgemeinen Ansatz gesucht, der es ermöglicht, den Wettbewerb zwischen Zehntausenden von verschiedenen Baumarten weltweit vorherzusagen. Denn die Konkurrenz zwischen benachbarten Bäumen hat einen großen Einfluss auf deren Wachstum, und damit die Dynamik der Wälder und deren Funktionen als Ökosysteme. Aber wie lässt sich dieser Wettbewerb angesichts der großen Artenvielfalt der schätzungsweise drei Trillionen Bäume verallgemeinern?

Allein in den Tropen mischen sich bis zu 53.000 verschiedene Baumarten in gleichen Ökosystemen. Einer jetzt im Nature veröffentlichten Studie gelingt dies, indem nicht klassischerweise die taxonomischen Arten in den Vordergrund gerückt, sondern funktionelle Merkmale der Arten miteinander verglichen werden.

In der internationalen Studie wurde in allen Waldökosystemen der Erde untersucht, wie drei der wichtigsten funktionellen Merkmale (Holzdichte, spezifische Blattfläche und maximale Wuchshöhe) die Konkurrenz zwischen den Bäumen beeinflussen. Von diesen Eigenschaften war bereits bekannt, dass sie weltweit einheitliche Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen von einzelnen Pflanzen haben. Erstaunlicherweise zeigte sich nun, dass auch der Wettbewerb zwischen benachbarten Bäumen weltweit den gleichen Mustern folgt. So scheinen zum Beispiel Bäume mit hoher Holzdichte besonders resistent gegenüber konkurrierenden Nachbarn zu sein. Umgekehrt haben Bäume mit geringer Holzdichte gegenüber ihren Nachbarn Vorteile in Bezug auf die Wachstumsgeschwindigkeit.

Der entscheidende Satz:

Insgesamt stellte sich dabei heraus, dass der Konkurrenzdruck innerhalb der gleichen Arten immer größer ist, als zwischen Bäumen verschiedener Arten.

Die neuen Ergebnisse unterstreichen, dass anscheinend wenige funktionale Merkmale ausreichen, um den Wettbewerb um Ressourcen im Wesentlichen erklären zu können. Der Vergleich funktioneller Merkmale kann darüber hinaus eine Grundlage für die Vorhersage von Dynamiken und Wechselwirkungen zwischen Pflanzenarten auf der Erde liefern. Globalisierung und Klimawandel sorgen dafür, dass Vorhersagen zur Zusammensetzung von Pflanzengemeinschaften in Zukunft zunehmend gebraucht werden.

Die Studie ist die bisher umfangreichste zum Wettbewerb um die Ressourcen im Wald. Sie wurde ermöglicht durch eine internationale Kooperation zwischen fast 40 Wissenschaftlern, die Ergebnisse aus nationalen Waldinventuren und Daten aus Untersuchungsflächen mit insgesamt drei Millionen Bäumen aus über 2.500 Arten auf über 140.000 Flächen weltweit zusammentrugen. Geleitet wurde die Studie von Dr. George Kunstler vom IRSTEA in Grenoble, dem Französischen Forschungsinstitut für Umwelt und Landwirtschaft. Die Datenauswertung erfolgte an der Macquarie University in Sydney, Australien.

Und es sieht ganz danach aus, als hätten die Forscher damit eine Gesetzmäßigkeit formuliert, die auf alle Lebensgemeinschaften zutrifft. Denn gleiche Arten haben natürlich auch die gleichen Bedürfnisse, brauchen gleiche Lebensbedingungen und greifen auf die gleichen Ressourcen zu.

Das kann bei Menschen gar nicht anders sein. Und es ist so ein kleiner Wink mit dem Baumstamm für das 21. Jahrhundert. Denn die Ressourcen, die die Menschheit in den vergangenen 150 Jahren so eifrig “verbraucht” hat, sind genau die Ressourcen, die alle künftigen Menschengenerationen genauso dringend brauchen – angefangen beim sauberen Trinkwasser und fruchtbaren Böden bis hin zu Bodenschätzen und sauberer Luft. Aber was passiert, wenn diese Ressourcen weniger werden?

Tatsächlich konkurriert unsere heutige Gier und Rücksichtslosigkeit mit den elementarsten Lebensbedürfnissen der nächsten Generationen. Augenscheinlich sind wir gerade dabei, etwas zu tun, was selbst heftigst konkurrierende Bäume nicht schaffen: Die Lebensbedingungen unserer Art für immer zu vernichten. Aber irgendein Baufehler scheint da unsere Art besonders zu belasten: Wir können einfach nicht aufhören mit der Zerstörung, selbst wenn wir wissen, wohin das führt.

Und da wir Menschen sind, zerstören wir dann eben einfach auch noch die Bäume, die wir selbst gepflanzt haben.

So wie den gerade im neuen Bürgerpark Plagwitz gepflanzten Baum, den L-IZ-Leser Joachim Eckstein am 23. Dezember fotografiert hat.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar