Irgendwann - und das ist vielleicht gar nicht so lange hin, da werden sich europäische Staatschefs reihenweise an den Kopf fassen und feststellen: "Wir haben's verpennt. Und zwar gründlich." Das Thema, das sie verpennt haben werden, wird Afrika heißen. Denn während aktuelle Staatschefs die anbrandenden Flüchtlingsströme am liebsten wieder zurückschicken würden, macht das ferne China etwas ganz anderes: Es investiert in Afrika.

Damit sichert es natürlich eigene Interessen. Aber gleichzeitig schafft es in Afrika auch Infrastrukturen und damit auch strategische Partnerschaften für die Zukunft. Und das auf einem Kontinent, bei dem einem in der deutschen Politik immer nur das Wort “Entwicklungshilfe” einfällt. Sind die Chinesen eigentlich auf der klügeren Spur? Oder fällt das asiatische Engagement auch wieder nur unter das Stichwort “wirtschaftliche Interessen”?

Das ist ein Thema für die renommierte Politikwissenschaftlerin Scarlett Cornelissen aus Kapstadt, die jetzt neue Leibniz-Professorin der Universität Leipzig ist. Die gebürtige Südafrikanerin wird im Sommersemester 2015 die Hochschule um ihre Forschung zu den Einflüssen asiatischer Investitionen aus China, Japan und Südkorea in Afrika bereichern. Ihre englischsprachige Antrittsvorlesung hält sie am Mittwoch, 3. Juni, um 17.15 Uhr im alten Senatssaal im Rektoratsgebäude in der Ritterstraße 26.

“Welche Auswirkungen hat das asiatische Jahrhundert auf Afrika?”, benennt Scarlett Cornelissen die Frage, die über ihrer gesamten Forschung schwebt. Die Frage ist eigentlich nicht ganz neu, auch wenn es Europa so schwer fällt, aus den alten, starren, kolonialistischen Denkmustern herauszukommen.

Auslöser vor mehr als 18 Jahren war für Cornelissen der Aufschwung Japans Mitte der 1990er Jahre zum größten Partner für Entwicklungszusammenarbeit in Afrika – und das, obwohl Japan flächenmäßig ein kleines Land ist, weit entfernt von Afrika liegt und vor allem keine koloniale Geschichte auf dem afrikanischen Kontinent hat. Post-koloniale Wiedergutmachung konnte es also nicht im Sinn gehabt haben, so Cornelissen. Zur gleichen Zeit sei Japan aber zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt angewachsen.

“Ich wollte also wissen, wie der wirtschaftliche Aufschwung des Landes mit seinem Engagement in Afrika zusammenhing und welchen Einfluss japanische Investitionen auf die afrikanische Politik, Wirtschaft und Kultur haben und haben werden.” Denn wenn eine starke Volkswirtschaft sich in anderen Ländern engagiert, verändern sich nicht nur Wirtschaftsbeziehungen, sondern auch die Politik.

Heute hat sich ihr Forschungsschwerpunkt mehr auf andere große Volkswirtschaften Asiens und deren Einflüsse verlagert. Denn insbesondere China hat sich mittlerweile  zum größten “Entwicklungspartner” Afrikas aufgeschwungen. Damit würden heute vor allem chinesische Investitionen das Gesicht vieler afrikanischer Länder verändern, erklärt die Politikwissenschaftlerin – angefangen vom Wandel lokaler wirtschaftlicher und politischer Bedingungen über chinesische Investitionen in Infrastrukturen wie neue Asphaltstraßen, pompöse Fußballstadien und Breitband-Internet bis hin zu neuen kulturellen Einflüssen durch die Einwanderung vieler Chinesen.

Denn nicht nur große Investoren, sondern auch tausende einfache Chinesen ziehe es, in der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten, zunehmend nach Afrika. Sie eröffnen kleine Geschäfte, wo sie ihre chinesischen Waren billig verkaufen: Geschirr, Modeschmuck, Elektro-Artikel.

“Viele Afrikaner kritisieren daher nicht nur die Ausbeutung der Ressourcen ihrer Länder durch asiatische Großinvestoren. Immer mehr afrikanische Händler sind auch über die neue Konkurrenz nicht erfreut, sodass sich hier vielerorts eine neue Form von Rassismus entwickelt”, sagt die Wissenschaftlerin.

“Das Problem ist, dass wir in Afrika die großen asiatischen Volkswirtschaften nicht verstehen”, fährt sie fort. Vielmehr seien die afrikanischen Länder passiver Empfänger asiatischer Investitionen und Einflüsse, ohne entsprechend tiefgründige Kenntnisse über die chinesische oder japanische Gesellschaft und die Folgen zu wenig reflektierter Handelsbeziehungen zu haben. Ist das Problem also die eher passive Wirtschaftspolitik der meisten afrikanischen Staaten? Oder sind sie den Einflüssen aus den großen Industrienationen sogar eher ausgeliefert, weil die eigene finanzielle Schlagkraft fehlt?

Cornelissens Ziel ist es, hier einen wissenschaftlich fundierten Diskurs anzuregen. Die Wahrnehmung Asiens in der afrikanischen Wissenschaft ist daher auch Thema ihrer Antrittsvorlesung “Asia in the African Scholarly Imaginary”. Ihr Fokus wird dabei auf den südlichen Ländern Afrikas liegen, insbesondere auf Südafrika selbst.

“Gerade weil sich die wissenschaftliche Perspektive auf die asiatisch-afrikanischen Beziehungen in den Ländern des südlichen Afrikas noch in den Kinderschuhen befindet, bietet mir die Universität Leipzig perfekte Voraussetzungen, um mit einer gewissen Distanz über meine bisherige Forschung zu reflektieren”, meint die 37-Jährige.

Insbesondere das Ostasiatische Institut/Japanologie sowie das Global and European Studies Institute (GESI) würden ideale Bedingungen für einen Austausch mit anderen Wissenschaftlern und Schätze an Literatur bereithalten, die sie so in Afrika nicht fände.

Die Universität Leipzig vergibt die Leibniz-Professur zweimal jährlich an international besonders renommierte Wissenschaftler, um damit durch deren Gastaufenthalt das Forschungspotential und das Lehrangebot der Hochschule zu bereichern.

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