Die sächsische Wissenschaftsministerin Dr. Eva Maria Stange war noch nie eine gute Rethorikerin und wird es auch nicht werden. Das bewies ihre mehr oder weniger mühsam vorgetragene Rede zur Fünfjahresbilanz des Leipziger Forschungszentrums für Zivilisationskrankheiten (LIFE) einmal mehr. Von mangelnden bis nicht vorhandenen Englischkenntnissen bis hin zur Unkenntnis, wobei es sich bei der Studie überhaupt handelt mal abgesehen. Aber schließlich hat eine Ministerin für so etwas ihre Experten. Und die erklärten ihr dann schließlich auch, wobei es in der spektakulären Studie ging.
Es war 2009 als die Uni Leipzig mit der Ankündigung der LIFE-Studie für überregionales Aufsehen sorgte. Man war mit dem Ziel angetreten, die Ursachen von Zivilisationserkrankungen am Beispiel der Leipziger Bevölkerung zu untersuchen. Heute, fünf Jahre später, können die Initiatoren zu Recht mit Stolz erklären, dass diese Studie sich als durchschlagender Erfolg erwiesen hat. Während der Laufzeit der Sächsischen Landesexzellenzinitiative bis zum März diesen Jahres, haben an der Studie fast 40 Prozent der Leipziger teilgenommen. So wurden rund 10.000 Erwachsene (ADULT-Studie) und 3.500 Kinder (CHILD-Studie) sowie etwa 8.000 Erkrankte (unter anderem die LIFE-Heart-Studie) in das Gesamtprojekt aufgenommen. Zivilisationskrankheiten stellen nicht nur eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit eines Großteils der Bevölkerung dar, sondern verursachen auch erhebliche Kosten für das Gesundheitswesen. Die Zahlen des Projektes beeindrucken durch ihre schiere Größe und machen auch klar, wie repräsentativ die Erhebung ist, da solche Projekte wertvoller werden, je mehr Befragungen beziehungsweise Proben und Untersuchungen vorgenommen werden können.
Über 1 Million humane Proben untersucht – 10 Millionen Datensätze ausgewertet
Insgesamt über 1 Million humane Proben wurden untersucht und etwa 10 Millionen Datensätze für wissenschaftliche Auswertungen verarbeitet. Für die Wissenschaft sind dadurch hochinteressante, auch in die Zukunft wirkende Informationen zusammengekommen. Aus ihnen lassen sich bereits jetzt zahlreiche wichtige Schlüsse über die Gesundheit der Bevölkerung sowie Entwicklungstendenzen ableiten. Zum Beispiel erhielt man dank der Studie höchst interessante Erkenntnisse, was die Diagnosen bezüglich des Lebensstils und dem sozialen Status auf Stadtteilbasis betrifft. Das sogenannte Geomapping spielt in den Datenauswertungen des LIFE-Forschungszentrums eine bedeutende Rolle. Die Kartierung der Häufigkeit von Zivilisationserkrankungen in den Leipziger Stadtteilen soll so zu wichtigen gesundheitswirtschaftlichen und für die Stadtentwicklung relevanten Aussagen führen.
Stadtteile mit höherem Anteil an “bildungsfernem” Hintergrund häufiger von Diabetes betroffen
Dabei stellte sich heraus, dass Stadtteile, in denen ein geringerer Bildungshintergrund besteht, häufiger von Diabetes betroffen sind. Dazu zählen unter anderem Schönefeld-Ost, Sellerhausen-Stünz, Mockau-Nord oder Grünau-Nord. Das Potenzial der ADULT-Studie für die Gesundheitspolitik erläuterte Studienleiter Prof. Markus Löffler am Beispiel der Zuckerkrankheit: “Studienteilnehmer im Alter zwischen 40 und 80 Jahren sind zu insgesamt 13 Prozent an Diabetes erkrankt. Bei weiteren 4 Prozent besteht ein Verdacht auf bisher unbekannten Diabetes. Das wären hochgerechnet auf die Stadt circa 10.000 neue Diabetes-Patienten. Hier muss sich die Stadt auf neue Herausforderungen in der medizinischen Versorgung einstellen.”
Ein in Deutschland einzigartiger Datensatz
Auch für die Forschung sind zahlreiche, weiterführende Erkenntnisse gewonnen worden, sagte Löffler: “Beispiel 3D-Körpervermessung: Von rund 10.000 Probanden wurden Körperbilder aufgenommen, so dass uns nun ein in Deutschland einzigartiger Datensatz vorliegt. Wir erwarten damit, statt des groben Body-Mass-Index als Maß für die Fettleibigkeit viel differenzierter unterscheiden zu können, weil Fettleibigkeit ganz unterschiedliche Risiken für Stoffwechselerkrankungen oder Gefäßerkrankungen mit sich bringt.” Im Übrigen fand der Mediziner für die Leipziger, ob ihrer großen Bereitschaft an der Zusammenarbeit hinsichtlich der Studie lobende Worte: “Die Leipziger haben sich in großer Zahl bereit erklärt, sich an den oft langwierigen und nicht unkomplizierten Untersuchungen zu beteiligen. Das allerdings zu beiderseitigem Vorteil. Nicht nur, dass wir wertvolle Erkenntnisse sammeln konnten, auch die Probanden selber waren zufrieden, nun eingehende Erkenntnisse über ihre eigene Gesundheit gewonnen zu haben. Wir haben durchweg eine positive Resonanz auf die Untersuchungen erfahren.”
Von grauer Hirnsubstanz, Sprache, Aufmerksamkeit und Gedächtnis
Analysen der Neuro-Bildgebung aus der LIFE-Adult-Studie weisen darauf hin, dass ein höherer Body-Mass-Index bei gesunden älteren Studienteilnehmern (zwischen 60 und 80 Jahren) im Zusammenhang mit einem geringeren Volumen der grauen Hirnsubstanz steht, die mit Sprache, Aufmerksamkeit und Gedächtnis in Verbindung gebracht wird. Das gilt auch nach Korrektur der Statistik für wichtige Einflussgrößen wie Alter, Geschlecht und Bildung sowie für gleichzeitig vorliegende Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. Darüber hinaus ging ein geringeres regionales Volumen der grauen Substanz in mit BMI verbundenen Hirnarealen mit subtilen Verschlechterungen in Gedächtnis und Reaktionsgeschwindigkeit einher. Diese Ergebnisse weisen also darauf hin, dass sich ein höherer BMI, vermittelt über strukturelle Veränderungen der grauen Substanz, indirekt ungünstig auf die geistigen Funktionen im Alter auswirkt.
Eine Herzensangelegenheit – Die Leipzig-HEART-Studie – Biomarker und Infarktrisiko
Eine besondere Teilstudie stellt die Leipzig-HEART-Studie dar. “Wir konnten Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder Herzinfarkt, die das Leipziger Herzzentrum aufsuchen mussten, in die Studie einbeziehen”, erläuterte Studienleiter Prof. Joachim Thiery. In Zusammenarbeit mit Prof. Markus Scholz, der die LIFE-Professur für Genetische Statistik innehat, konnte ein Biomarker identifiziert werden, der auf ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt hinweist. Wie Scholz erklärt, sei man davon ausgegangen, dass zu niedrige Blutwerte von “gutem Cholesterin” (HDL) einen Risikofaktor für Herzerkrankungen darstellen. “Es ist bekannt, dass einige Menschen erbliche Veranlagungen haben, die zu niedrigen HDL-Werten führen. Nur die Erklärung dafür fehlte”. Deshalb untersuchten die Wissenschaftler Verbindungen zwischen genetischen Veränderungen und der Aktivität bestimmter Gene. Sie konnten unter anderem eine Gruppe von Genen nachweisen, die für niedrige HDL-Spiegel verantwortlich sind. Menschen, die – genetisch bedingt – diese Genkombination in sich tragen, haben ein potenziell höheres Risiko, später eine koronare Herzerkrankung zu bekommen und einen Herzinfarkt zu erleiden. In einem nächsten Schritt sollen neuartige, vorbeugende Therapien entwickelt werden.
Daten von 3.500 Babys, Kindern und Jugendlichen erfasst
Nach fünf Jahren erfolgreicher Arbeit kann LIFE-Child, die Kinderkohorten des Forschungszentrums, beeindruckende Zahlen vorlegen: Von 3.500 Babys, Kindern und Jugendlichen konnten die Daten erfasst werden, 400 Kinder wurden geboren und 2.000 Kinder und Jugendliche sind seit ihrer Ersterfassung für Folgeuntersuchungen zurückgekehrt. “Uns liegt ein umfangreiches Datenreservoir vor, das wir nun auswerten können”, sagte Prof. Wieland Kiess, verantwortlich für die Kinder- und Schwangerenkohorte. Mit dem vorhandenen Datenbestand können nun wichtige Fragestellungen zur kindlichen Entwicklung und medizinischen Versorgung beantwortet und notwendige Referenzwerte von klinischen Parametern speziell für Kinder und Jugendliche erarbeitet werden. “Bislang wurden die Werte Erwachsener einfach übertragen. Da sich Werte von der frühen Kindheit über die Pubertät bis zum Erwachsenenalter stark verändern, wird leicht deutlich, welche Probleme daraus erwachsen”, stellte Kiess heraus. Betroffen ist beispielsweise der Knochenstoffwechsel in allen Altersstufen von 0 bis 18 Jahren. Dabei geht es um Parameter, die darstellen, welche Vitaminbindungsproteine notwendig sind, um Vitamin D im Knochen einzulagern.
Sachsen sagt weitere Förderung zu
Die Arbeit der LIFE-Child-Studie wird vor allem durch die langjährige Begleitung und Beobachtung der kindlichen Entwicklung bestimmt. Die Verantwortlichen freuen sich, dass der Freistaat Sachsen eine weitere, den Fortbestand sichernde, Förderzusage ausgesprochen hat. Die während des Projekts gewonnenen Daten sollen in Zukunft dazu beitragen, neue Diagnoseverfahren zu entwickeln und noch gezielter als bisher neue Ansätze in Prävention und Therapie zu schaffen.
Einzigartiges Untersuchungsprogramm mit fast 1 Million Einzelproben
Das LIFE-Forschungszentrum hat nach Angaben der Initiatoren die Ziele der ersten Förderperiode erreicht. Damit habe Sachsen ein in Deutschland einzigartiges epidemiologisches Studienprogramm erfolgreich aufgebaut. Sowohl die Breite des Untersuchungsprogramms als auch die Einbeziehung vieler Alters- und Patientengruppen seien einzigartig. Die Bioprobenbank enthält fast 1 Millionen Einzelproben, die auf Jahre hinaus Laborbestimmungen in bester Qualität ermöglichen werden. Es liegen bereits über 210 wissenschaftliche Publikationen vor. Das weite Feld der Zivilisationserkrankungen hat sich als einer der neuen Forschungsprofilbereiche an der Universität Leipzig etabliert, was vor allem auf die erfolgreiche Arbeit des LIFE-Forschungszentrums zusammen mit dem Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen und dem Sonderforschungsbereich “Mechanismen der Adipositas” zurückzuführen ist.
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