Sie sind nach wie vor das berühmteste Detektiv-Duo der Weltliteratur: Sherlock Holmes und Dr. Watson. Zwei Typen, die für ihre Zeitgenossen so echt wirkten, dass die Leser ihnen sogar Briefe schrieben. Das Phänomen wirkt bis heute. Und eine Leipziger Forscherin hat es sich einmal so richtig vorgeknöpft: Die Anglistin Dr. Maria Fleischhack von der Universität Leipzig hat sogar ein ganzes Buch darüber geschrieben, das zur Leipziger Buchmesse am 15. März erscheint. Die L-IZ hat die Autorin mal gefragt, wie sie dazu kam.

Wie sind Sie selbst über die Sherlock-Holmes-Geschichten gestolpert? Das sind doch eigentlich eher Geschichten, die Jungen interessieren. Oder sind englische Krimis längst auch ganz normales Lesefutter für junge Damen?

Ich erinnere mich, dass meine erste wirklich bewusste Begegnung mit Sherlock Holmes durch das Prinzen-Lied „Mein bester Freund“ zustande kam. Darin wird er neben Winnetou und den Stones als Held genannt, der stets gegen das Unrecht in der Welt kämpft. Ich habe auch einige Geschichten gelesen und als Jugendliche auch Folgen der Granada Serie gesehen. Besonders beeindruckte mich damals aber die Parodie „Without a Clue“ mit Michael Caine als einen Schauspieler, der Sherlock Holmes spielt, da Dr. Watson, gespielt von Ben Kingsley, das eigentliche Genie ist, aber eine öffentliche Persona braucht, die er der Presse als den Meisterdetektiv verkaufen kann, da er selbst eher kamerascheu ist. Erst im Studium habe ich die Geschichten dann komplett gelesen und mir auch mehr Adaptionen angesehen.

Es handelt sich um eine Fehlannahme, dass die Geschichten eher Jungen interessieren. Gelesen wurden nicht nur die Sherlock-Holmes-Geschichten schon immer von Männern und Frauen, Mädchen und Jungen. Es ist eher der Einstellung verschuldet, dass Literatur, die Gewalt und Verbrechen darstellt, nichts für die zarten Gemüter junger Frauen seien, die das Genre generell eher als an Jungen adressiert erscheinen lässt. Ähnlich wie die Karl-May-Geschichten war und ist die Leserschaft recht ausgeglichen. Es wurde ja auch schon sehr frühzeitig von Frauen Kriminalliteratur geschrieben, die jedoch selten solche Berühmtheit erlangte, wie die Sherlock-Holmes-Geschichten, obwohl beispielsweise Lady Molly of Scotland Yard von der Baroness Orczy, die auch The Scarlet Pimpernel verfasste, den Geschichten Doyles in nichts nachsteht.

Oder hat es mit Ihrer eigenen Neugier auf England und die englische Literatur zu tun? Obwohl man da ja eher Agatha Christie oder Martha Grimes in Ihrem Buchregal vermuten würde? Wer hat Sie also ausgerechnet auf Sherlock Holmes gebracht?

Agatha Christie ist in die Fußstapfen von Doyle und den anderen großen Krimischreibern getreten und reiht sich somit in eine lange Tradition ein, während sie eigene Erfahrungen und Talente mit einbringt. Ihre Geschichten und ihre Detektive unterscheiden sich natürlich von denen Doyles und sind auf ihre Art und Weise ganz wunderbar. Ich habe auch viele ihrer Geschichten gelesen. Bücher habe ich von allen drei AutorInnen im Regal.

An Sherlock Holmes interessiert mich jedoch vor allem die Freundschaft zwischen Holmes und Watson, was die Bücher ganz besonders macht. Das typische Duo, was als Vorlage für viele weitere literarische Werke und Filme genutzt wurde, und wie die beiden völlig verschiedenen Männer es schaffen, über Jahre hinweg trotz aller Exzentrizitäten und Probleme ihre Freundschaft zu erhalten. Zum anderen wird London auf eine wunderbare Art und Weise selbst zum Charakter der Geschichten. John Watson, der als Erzähler fungiert, wird immer mal wieder von Holmes kritisiert, er romantisiere in seinen Erzählungen zu viel; jedoch sind es genau diese liebevollen Betrachtungen seiner Umwelt und der Menschen darin, die die Bücher so besonders machen. Aber es gibt noch hundert weitere (subjektive) Gründe, warum ich gerade die Holmes-Geschichten bevorzuge und weiterempfehlen möchte.

Haben Sie die Schauplätze, über die Sie ja auch schreiben, selbst besucht? Oder gehört das zum Standard-Repertoire jeder Ihrer London-Reisen?

Das Sherlock-Holmes Museum in der Baker Street in London. Am linken Bildrand Hausnummer 221 B, der Eingang zum Museum. Die grüne Tür rechts daneben führt Fans dahin, wo das Herz höher schlägt und der Geldbeutel leichter wird: der Sherlock-Holmes-Shop. Foto: Patrick Kulow
Das Sherlock-Holmes-Museum in der Baker Street in London. Am linken Bildrand Hausnummer 221 B, der Eingang zum Museum. Die grüne Tür rechts daneben führt Fans dahin, wo das Herz höher schlägt und der Geldbeutel leichter wird: der Sherlock-Holmes-Shop. Foto: Patrick Kulow

Ja, in der Baker Street, die eigentlich gar nicht so existiert, wie sie in den Büchern beschrieben ist, war ich mehrfach und natürlich findet man sich dann doch immer wieder an Orten, die in den Geschichten vorkommen, da Doyle sehr viele existierende Gebäude und Plätze in den Geschichten als Schauplatz nutzt, wobei etwa ebenso viele frei erfunden sind. Insbesondere die BBC-Serie “Sherlock” macht es Sherlock-Holmes-Fans recht leicht, sozusagen neue Schauplätze zu besuchen. Das Café ‚Speedy’s‘, welches sich in Sherlocks Haus – welches als 221B Baker Street genutzt wird – befindet, ist zu einer Art Pilgerort für Fans geworden. Das Café gibt es schon lange, aber inzwischen findet man dort Fotos des Besitzers der Cafés von den Dreharbeiten und Schauspielern und man kann ein Sherlock-Breakfast bestellen. Das Café ist aber auch unabhängig von Sherlock sehr zu empfehlen.

Fanden Sie die Kino-Verfilmungen tatsächlich so toll? Denn diese Art “Action” findet man ja in keiner der Geschichten von Arthur Conan Doyle. Schon gar nicht mit all den technischen Spielzeugen und gewaltigen Explosionen.

Ich mag die Filme von Guy Ritchie sehr. Ich sehe sie allerdings eher als Parodien an, nicht als Verfilmungen des Stoffes, die versuchen, möglichst nahe am Original zu bleiben. Jude Law und Robert Downey Jr. haben es jedoch geschafft, die Freundschaft zwischen Watson und Holmes auf eine neue, aber ganz wunderbare Weise darzustellen. Dieses wichtigste Element ist also erhalten geblieben. Und es handelt sich natürlich eher um einen Actionfilm, so dass einige Explosionen und CGI gelegentlich seltsam wirken, wenn man die Story mit den Geschichten vergleicht. Gleichzeitig sind aber beide Filme voller Hinweise, Parallelen und Zitate aus den Geschichten. Sie sind jedoch eher versteckt, so dass man schon genau hinsehen muss – wenn man aber einmal anfängt, darauf zu achten, findet man dutzende Hinweise auf die Geschichten, was das Ganze dann doch wieder spannend macht.

Spricht Sherlock Holmes nicht eher den klugen, vom Knobeln faszinierten Kopf an als den auf “Action” versessenen Kino-Besucher?

Ich glaube, dass sich die Elemente nicht notwendigerweise ausschließen. Die Ritchie-Filme sind voller Rätsel und intelligenter narrativer Stränge, die der Kinobesucher mental mit verfolgen muss, bevor Holmes das Rätsel löst. Wenn dann eben nebenbei spektakulär ein paar Bäume von Kanonenkugeln zerschossen werden, dann kommt man auch visuell auf seine Kosten. Ich denke, die Ritchie-Filme sind eindeutig fürs Kino gemacht, die BBC-Serie oder die Granada-Serie eher fürs Fernsehen. Da gibt es also auch einen gewissen Genre-Unterschied. Insgesamt würde ich aber schon sagen, dass Sherlock Holmes eher für die Knobler und Denker ist, als für die Zuschauer, die beim Zuschauen eher entspannen wollen. Insbesondere Sherlock fordert die Zuschauer schon sehr mit verwirrenden Erzählstrukturen, schnellen Cuts und einem Benedict Cumberbatch als Sherlock-Darsteller, der schneller denkt als er reden kann.

Und was davon spricht heute die Leser von Krimis tatsächlich noch an, die ja nun deutlich mehr “Hardcore” gewöhnt sind?

Ich glaube, es ist genau die Ruhe, die in den Geschichten zu finden ist, die diese auch heute noch so beliebt machen. Man wird in eine Welt entführt, in der die Industrialisierung zwar schon fortgeschritten war, in der die Welt aber noch sehr entschleunigt war. Die Gespräche vorm Kamin, die Nächte, die Holmes rauchend mit Denken verbringt, die Droschkenfahrten und die Spurensuche … all das braucht seine Zeit, und man kann in Ruhe mit überlegen, wer denn der Übeltäter war. Und dies ist auch ein Aspekt, der das Genre der Detektivliteratur so besonders macht. Der Leser ist immer dazu angehalten, selbst mitzudenken und das Rätsel zu lösen, bevor der große Sherlock Holmes oder ein anderer Detektiv die Antwort verrät. Zudem sind die Fälle oft an moralische Fragen geknüpft, die nach wie vor relevant sind. Holmes erscheint als wichtige Instanz der Gerechtigkeit, die oft auch über das Gesetz hinaus geht. Und dann ist es einfach die Art und Weise, auf die Holmes seine Fälle löst. Die Art, wie er mit Menschen umgeht, wie er soziale Normen missachtet, obwohl er sie sehr gut kennt, wie er immer wieder merkt, dass er ohne Watson aufgeschmissen wäre. Ich glaube, die Fälle sind spannend genug (und gelegentlich auch grausam genug), um auch die heutigen Leser zu begeistern.

Und was fasziniert die Anglistin dabei? Ist es der Stil, von dem die Leser deutscher Übersetzungen meist gar keine Ahnung haben, weil nicht immer die beste Übersetzung auf dem Markt ist?

Ich liebe die Prosa Doyles. Er ist ein großartiger Schriftsteller, der es schafft, den Leser in seine Welt zu befördern. Es gibt so eine Regel; man soll als Autor nicht beschreiben, sondern zeigen, und das kann Doyle besonders gut. Man fühlt mit den Charakteren mit, man hört den Wind durch die Straßen pfeifen, man kann den Londoner Nebel praktisch auf der Haut spüren! Leider geht sehr viel davon in den Übersetzungen verloren, auch wenn ich sagen kann, dass man trotzdem noch merkt, wie schön Doyle schreibt, wenn man die deutschen Übersetzungen liest. Trotzdem würde ich jedem, der Englisch gut kann, empfehlen, die Originale zu lesen.

Lohnt eine Neuübersetzung der Sherlock-Holmes-Geschichten?

Das Sherlock-Holmes-Denkmal in der Nähe der Londoner Baker Street - mit Deerstalker auf dem Kopf, Mantel und Pfeife. Foto: Patrick Kulow
Das Sherlock-Holmes-Denkmal in der Nähe der Londoner Baker Street – mit Deerstalker auf dem Kopf, Mantel und Pfeife. Foto: Patrick Kulow

Es wäre sicherlich schön, eine neue Übersetzung der Geschichten zu haben, da die älteren oftmals die kulturellen Nuancen der viktorianischen Zeit nicht erkennen und es zu einigen inhaltlichen Übersetzungsfehlern kommt. Einige Geschichten wurden bereits neu übersetzt; die älteren hingegen wirken oft sehr steif und überholt. Es wäre schön, eine Übersetzung zu haben, in der die relativ archaische Sprache nicht an ihrer Schönheit verliert und trocken wirkt, sondern durch Verständnis für Sprache, Kultur und soziale Konventionen möglichst alle Witze (denn die Geschichten sind unheimlich witzig) und liebevoll sarkastischen Dialoge zwischen Holmes und Watson so übersetzt werden, dass sie real und flüssig wirken.

Und lesen Sie dann auch noch andere Krimis? Oder ist es wirklich Sir Arthur Conan Doyle, der es Ihnen angetan hat? Und warum?

Ich lese sehr gern Edgar Allen Poe, Agatha Christie, die Baroness Orczy, aber auch sehr viele Holmes Pastiches und moderne Krimis. Aber die Sherlock-Holmes-Geschichten sind einfach für mich mit die schönsten Geschichten, die je geschrieben wurden (auch wenn es einige gibt, die nicht besonders gut sind).

Ach ja: Haben Sie auch einen Termin zur Buchmesse, den wir empfehlen können?

Ich werde am Samstag um 14:20 Uhr bei MDR Figaro zum Gespräch sein. Ansonsten werde ich am Sonntag am Stand der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft sein. Eine gesonderte Lesung gibt es nicht. Am 7. Juli werde ich aber bei Lehmanns Media in Leipzig zu einer Lesung zu Gast sein.

Zum Buch

“Die Welt des Sherlock Holmes” ist der Titel des Werks, das die englische Literaturwissenschaftlerin im Auftrag der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft verfasst hat und das im Lambert Schneider Verlag erscheint. “Es ist für Menschen gedacht, die sich für Sherlock Holmes interessieren, aber noch nicht so viel über ihn wissen”, sagt die Autorin. Sie erzählt über die insgesamt 60 Fälle des genialen Detektivs, ohne zu viel zu verraten, gibt Einblick in die Persönlichkeiten der beiden Ermittler und versucht zu ergründen, worin das Erfolgsgeheimnis der Geschichten Doyles liegt. “Man versucht immer, selbst der Detektiv zu sein, aber der Autor Doyle hält seinen Lesern immer wichtige Informationen vor”, berichtet Fleischhack, die selbst schon lange Sherlock-Holmes-Fan ist. Als Kind schaute sie die Filme, im Studium gehörten die Seminare über die Kunstfiguren Doyles zu ihren Lieblings-Lehrveranstaltungen. “Doyle hat eine unheimlich schöne Art, die Welt zu beschreiben”, schwärmt Fleischhack, die am Institut für Anglistik lehrt.

Neben allen wichtigen Fakten, die der Leser über Holmes und Watson sowie deren Schöpfer wissen sollte, erfährt er auch einige lustige Anekdoten am Rande. So über Holmes’ Wohnung in der Baker Street 221b in London, einer damals fiktiven Adresse, wo sich heute ein Sherlock-Holmes-Museum befindet. Besonders eifrige Fans des Meisterdetektivs schrieben ratsuchend Briefe an diese Adresse, andere bewarben sich als Haushälterin des Ermittlers.

“Sherlock Holmes ist auch heute nicht out. Ich habe gemerkt, dass das Thema gerade jetzt wieder sehr aktuell ist”, ist Fleischhack überzeugt. Grund dafür sei unter anderem der Erfolg des Kinofilms “Sherlock Holmes” aus dem Jahr 2009 mit Robert Downey Jr. und Jude Law in den Hauptrollen sowie der BBC-Fernsehserie “Sherlock”, die den Stoff kurzerhand ins 21. Jahrhundert gelegt und mit dieser moderneren Version auch ein jüngeres Publikum begeistert hat.

Auch wenn die Geschichten Doyles in Deutschland sehr bekannt sind, so gibt es doch bisher eher wenige Sachbücher über das Thema. Diese Lücke hat Maria Fleischhack mit ihrem Werk geschlossen. “Das ist eine Arbeit, die ich aus Überzeugung getan habe”, sagt die junge Wissenschaftlerin.

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