Laut einer internationalen Genomstudie gehen Wissenschaftler davon aus, dass die häufigen Adipositas-assoziierten Genvarianten den BMI (Body Mass Index) zu rund 21 Prozent beeinflussen. Für das gesamte Genom nehmen sie sogar einen 40- bis 70-prozentigen Einfluss an. In einer weiteren Analyse des Gesamtgenoms von über 224.000 Personen zeigte sich, dass 68 Genstellen mit der Fettverteilung am Körper assoziiert sind. Forscher der Universität Leipzig waren an beiden Genanalysen beteiligt, über die das Wissenschaftsmagazin Nature in seiner jüngsten Ausgabe berichtet.
Die Binsenweisheiten unserer Altvorderen sind besser als ihr Ruf. Das belegt einmal mehr die nüchterne Wissenschaft. Bisher waren 41 Stellen im Erbgut bekannt, die für den sogenannten BMI im Menschen mit verantwortlich sind. Laut der erwähnten Studie kommen nun weitere 56 Genstellen hinzu. In einer weiteren Analyse des Gesamtgenoms von über 224.000 Personen zeigte sich, dass 68 Genstellen mit der Fettverteilung am Körper assoziiert sind. Dazu muss man wissen, dass die Fettverteilung mehr über den Krankheitswert von Übergewicht als der BMI aussagt, da Menschen mit bauchbetontem Fettgewebe ein größeres Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen, jenen “Volkskrankheiten”, die jährlich Milliarden an Gesundheitskosten verursachen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen alleine verursachen in der EU pro Jahr schätzungsweise Kosten in Höhe von 169 Millarden Euro. Daraus ergeben sich pro Jahr Kosten von 372 Euro pro Kopf, wobei dieser Wert je nach Mitgliedsstaat bis um das Zehnfache variiert (Quelle: www.herzstiftung.de).
Dabei wurden aus zahlreichen Forschungseinrichtungen Analysen zusammengetragenen. Die Wissenschaftler untersuchten, welche Genvarianten bei einem höheren oder niedrigen BMI beziehungsweise bei unterschiedlicher Fettverteilung vermehrt anzutreffen sind. Obwohl alle Menschen mit denselben Genen ausgestattet sind, gibt es Unterschiede in der Abfolge der Genbausteine, den Nukleotiden. Diese Genvarianten und die Anzahl dieser abweichenden Genstellen haben einen großen Einfluss auf den Menschen. Peter Kovacs ist Professor für Adipositas- und Diabetesgenetik am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen in Leipzig, das an der BMI-Studie beteiligt war.
Vielzahl von Genvarianten beeinflussen BMI und Körpergewicht
Er erläutert: “Nicht das eine Adipositasgen, (Adipoitas: Fettlebigkeit, d. Red.) sondern eine Vielzahl von Genvarianten beeinflussen BMI und Körpergewicht”. Eine entscheidende Rolle spielen Gene, die im Hypothalamus, Hippocampus und Limbischen System aktiv sind. Das sind Gehirnregionen, die für Stoffwechsel und Energiehaushalt, Antrieb, Lernen, Gedächtnis und Emotionen zuständig sind. Das bisher am stärksten mit Adipositas in Zusammenhang gebrachte FTO-Gen (englische Abkürzung für: fat mass and obesity associated gene, also: Fettmasse und Fettleibigkeits assoziertes Gen) ist zum Beispiel im Hypothalamus aktiv und könnte Essverhalten und Nahrungsaufnahme beeinflussen. Der Hypothalamus ist das wichtigste Steuerzentrum des vegetativen, also unbewussten, Nervensystems. Andere mit dem BMI in Zusammenhang stehende Gene regulieren das körpereigene Glutamat, ein Botenstoff in der Nervenreizleitung im Gehirn.
Die Glutamat-Aktivität und die Nahrungsaufnahme beeinflussen sich gegenseitig. “Diese Studie zeigt, dass die Genetik die Erblichkeit der Adipositas immer mehr erklären kann. Ansatzpunkte für eine Adipositastherapie liegen aber in den Nerven- oder Stoffwechselaktivitäten, die von bestimmten Genvarianten beeinflusst werden”, so Kovacs. Menschen, die viele der BMI-relevanten Genstellen aufweisen, zeigen auch mehr genetische Einflüsse auf den Stoffwechsel. Dies könnte erklären, warum ein steigender BMI mit zunehmenden Stoffwechselstörungen verbunden ist. Die zusammenfassende Metaanalyse, die verschiedene internationale Forschungsdaten auswertete, untersuchte zusätzlich die Auswirkung der 97 BMI-assoziierten Genstellen auf verschiedene Ethnien.
Auf die Fettverteilung kommt es an
Rund 80 Prozent dieser Genstellen hatten bei Menschen afrikanischer Herkunft einen vergleichbaren Effekt wie bei den europäischen Studienteilnehmern. Bei ostasiatischer Herkunft waren es sogar über 90 Prozent. Da vor allem die Fettverteilung am Körper ausschlaggebend ist für den Krankheitswert eines erhöhten BMI, ist eine weitere internationale sogenannte Genomstudie unter Leitung des schwedischen University Diabetes Center in Malmö interessant. Darin zeigte sich, dass neben 16 bekannten noch 33 neu gefundene Genstellen die menschliche Fettverteilung beeinflussen – unabhängig von BMI und Körpergröße. Dazu kommen weitere 19 Genstellen, die BMI und Fettverteilung beeinflussen.
In der Genomanalyse wurde deutlich, welche Genvarianten gemeinsam auftraten mit bestimmten Fettverteilungsmustern gemessen in Taillen- und Hüftumfang. Das Verhältnis von Taillen- zum Hüftumfang ist ein wichtiger Wert, um zu beurteilen, ob bauchbetontes und somit gesundheitsschädlicheres Übergewicht vorliegt. Er sollte bei Männern das Verhältnis 1,0 und bei Frauen von 0,85 nicht übersteigen. Ob man von der Figur eher männlich oder weiblich aussieht, liegt auch an den Genen. Im Gegensatz zu BMI-assoziierten wirken sich die für die Fettverteilung entscheidenden Genvarianten bei Frauen signifikant stärker aus als bei Männern. 19 von 49 Genvarianten, die mit Hüft- und Taillenumfang zusammenhängen, sind beim weiblichen Geschlecht stärker ausgeprägt.
Dabei stehen die Gene in enger Verbindung mit den Geschlechtshormonen, sodass die unterschiedliche Fettverteilung in Pubertät und Menopause am deutlichsten sichtbar wird. Für die Art der Fettverteilung werden bereits mit der Verteilung der Gene in der befruchteten Eizelle die Weichen gestellt.
Krankmachende Mechanismen von Fett besser verstehen
Die Ergebnisse der Genanalyse bilden die Grundlage für die weitere Erforschung der biologischen Mechanismen der Körperfettverteilung und ihrer gesundheitlichen Auswirkungen. Erst wenn Wissenschaftler die krankmachenden Mechanismen vermehrten Fettgewebes im Bauchbereich und um die Eingeweide besser verstehen, können sie Ansätze finden, diese Mechanismen zu unterbrechen. Und auch Kovacs verweist auf das, was die eingangs erwähnten Altvorderen schon immer besser gewusst haben: “Die genetische Forschung entlässt den Menschen aber nicht aus seiner Eigenverantwortung. Unabhängig vom individuellen Genprofil bleiben ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung die besten Wege, gesund zu bleiben”. Was dem einen oder anderen mehr oder weniger schwer fallen dürfte: Je nach Veranlagung.
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