Augen sind bekanntlich der Spiegel der Seele - aus dem Blick lässt sich oft auf die Gefühlsverfassung unseres Gegenübers schließen. Auch Säuglinge nehmen offenbar solche Signale wahr. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben entdeckt, dass schon sieben Monate alte Säuglinge unbewusst auf ängstliche Augen reagieren.

Dabei reicht es aus, wenn sie nur das “Weiße” in den Augen sehen, also die weiße Lederhaut des Augapfels, die sogenannte Sclera. Auf direkte und abgewandte ängstliche Blicke sprechen Säuglinge unterschiedlich an. Schon von frühestem Kindesalter an kann der Mensch demnach die Gefühlslage anderer wahrnehmen. Die Augen – insbesondere die Lederhaut – sind dafür der Schlüssel.

Wir Menschen lernen viel über unser Gegenüber, wenn wir ihm in die Augen blicken. Die Augen sagen uns, wie sich unser Gesprächspartner fühlt. Durch unsere Blicke können wir zudem unsere Kommunikation koordinieren. Wenn wir einen Menschen treffen, schauen wir ihm deshalb zuerst in die Augen.

Die weiße Sclera im Auge des Menschen hat dabei eine zentrale Signalfunktion. Im Tierreich ist sie einzigartig: Bei den meisten Tieren ist nur die Iris des Auges sichtbar, selbst bei Affen ist die Lederhaut viel kleiner als beim Menschen. Die Lederhaut verrät uns beispielsweise, ob ein Mensch Angst hat und wohin er gerade blickt: Die Augen sind dann geweitet und die Lederhaut erscheint dadurch größer. Schweift sein Blick ängstlich umher, ist das ein Hinweis auf Gefahr in der Umgebung. Schaut er sein Gegenüber auf diese Weise direkt an, drückt er damit Angst vor seinem Gesprächspartner aus.

Auch Neugeborene registrieren Blicke und reagieren darauf. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sie Gesichter vorziehen, die sie direkt anblicken. Sie versuchen auch, dem Blick eines anderen Menschen zu folgen. Auf Angst reagieren Säuglinge dagegen erst im Alter von sieben Monaten. Die dafür notwendigen Gehirnstrukturen wie beispielsweise die Amygdala sind davor offenbar noch nicht voll funktionsfähig.
‘Den Leipziger Forschern zufolge nehmen Babys mit sieben Monaten schon Furcht im Blick eines anderen wahr. In ihren Experimenten zeigten sie einer Gruppe von Säuglingen Bilder von Augen, die die Säuglinge direkt anblickten oder an ihnen vorbei sahen. Die Wissenschaftler hatten die Fotos so verändert, dass nicht die kompletten Augen zu sehen waren, sondern nur die Sclera.

Mithilfe von Elektroden, die vorne und hinten am Kopf aufgeklebt waren, maßen die Wissenschaftler die Gehirnaktivität. Ängstlich blickende Augen lösten im Gehirn der Säuglinge stärkere elektrische Potenziale. “Das Gehirn orientiert sich dabei ausschließlich an der Lederhaut, denn wir haben zuvor alle anderen Bildinformationen entfernt”, erklärt Sarah Jessen vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Die Reaktion läuft unbewusst ab, denn die Forscher zeigten die Bilder immer nur für 50 Millisekunden – zu kurz, um von den Säuglinge in diesem Alter bewusst wahrgenommen zu werden.

Das Gehirn reagiert zudem teilweise stärker, wenn die Augen die Säuglinge direkt anzusehen schienen: Ein ängstlicher Blick am Kind vorbei rief schwächere elektrische Potenziale in Gehirnregionen hinter der Stirn hervor, die für höhere geistige Fähigkeiten und Aufmerksamkeit zuständig sind. “Schon im Alter von sieben Monaten können Säuglinge also Angst aus den Augen ihres Gegenübers lesen, ohne dass ihnen das bewusst wird. Sie verlassen sich dabei ausschließlich auf die Form der Sclera”, so Jessen.

“Dass Menschen die Blicke und Gefühle anderer schon von frühester Kindheit an lesen können, ist ein Indiz dafür, wie wichtig diese Fähigkeit für unser Zusammenleben ist”, sagt Tobias Grossmann, der die Studie am Leipziger Max-Planck-Institut leitete. Sich auf die Augen und die Blickrichtung konzentrieren zu können ist somit ein wichtiges Kennzeichnen für eine gesunde, soziale Entwicklung. Säuglinge, bei denen dies zwischen dem zweiten und sechsten Lebensmonat nachlässt, weisen beispielsweise später oft soziale Defizite auf oder erkranken an Autismus.

Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig

www.cbs.mpg.de

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