Es gibt Forschungsergebnisse, die zu denken geben. Ein solches haben jetzt Leipziger Schimpansen-Forscher in Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Ländern vorgelegt: "Tödliche Gewalt betrifft meist Schimpansen-Männchen", heißt die Meldung dazu aus dem Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Die Forscher sind in ihrer Interpretation recht zurückhaltend: "Auseinandersetzungen mit Todesfolge unter frei lebenden Schimpansen und Bonobos sind Anpassungen an die Umwelt und nicht Folge menschlicher Einflüsse."
Dass Schimpansen und Bonobos überhaupt Artgenossen töten, beschäftigt die Primatenforscher schon eine geraume Weile. Es sind ja keine Raubtiere, und auch keine Menschen, obwohl sie genetisch die engsten Verwandten des Menschen sind, die heute auf der Erde leben. Was ja den Leipziger Primatenforschern dieses Forschungsgebiet so interessant macht. Auch wenn sie gern von Feldforschung sprechen, steckt hinter vielen ihrer Fragestellungen auch die unausgesprochene These, dass Vieles im Sozialverhalten der Schimpansen möglicherweise Rückschlüsse zulässt auf das Sozialverhalten der Menschen.
Ein internationales Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der University of Minnesota, der Harvard University und weiteren Institutionen wollte es jetzt ein bisschen genauer wissen und untersucht, weshalb frei lebende Schimpansen und Bonobos manchmal Artgenossen in Auseinandersetzungen töten.
Die Forscher fanden dabei heraus, dass Tötungen bei Schimpansen häufiger vorkommen als bei Bonobos. Dabei geht die Aggression stärker von den Männchen aus und richtet sich gegen andere nicht verwandte Männchen. Meist sind die Angreifer den Tötungsopfern zahlenmäßig überlegen.
Über eine Tatsache aber waren die Forscher eher überrascht: Die Tötungen kommen in Gebieten, in denen der Mensch in den Lebensraum der Tiere stärker eingegriffen hat, nicht häufiger vor als in relativ unversehrten Lebensräumen. Was zumindest erst einmal die These ausschließt, dass der zunehmende Zivilisationsdruck durch den Menschen dazu führt, dass die Tiere aggressiver gegeneinander agieren.
Die Forscher folgern deshalb aus den Daten, dass die Tötung eines Artgenossen dem Angreifer möglicherweise Vorteile durch den Zugewinn von Territorium, Nahrung und potenziellen Paarungspartnern verschafft.
Wie häufig Schimpansen andere Schimpansen töten, unterscheide sich zwischen den Populationen. Einerseits könnte die verstärkte Einflussnahme des Menschen auf den Lebensraum der Schimpansen (Abholzung des Regenwalds, Jagd und Krankheiten) zu höheren Aggressionsraten und somit zu häufigeren Tötungen von Artgenossen führen. Andererseits ließen sich – so die Forscher – die Auseinandersetzungen als Resultat von Anpassungsstrategien erklären, mit deren Hilfe sich Angreifer den Zugang zu Nahrung und Sexualpartnern sichern.
Um herauszufinden, welche der Erklärungen zutrifft, kombinierte ein internationales Team von Feldforschern jetzt ihre Daten, die sie in den vergangenen 50 Jahren gesammelt hatten. Die Wissenschaftler bestätigen, dass Bonobos weniger gewalttätig als Schimpansen sind. In diesem Zeitraum hatten sie nur eine tödliche Auseinandersetzung beobachtet.
Bei Schimpansen hingegen wurden bei 15 von 18 Schimpansen-Gesellschaften Tötungen dokumentiert. Die Forscher fanden heraus, dass ostafrikanische Schimpansen Artgenossen häufiger töten als die westafrikanische Unterart. Mithilfe von statistischen Analysen verglichen die Forscher Variablen wie die Fläche und den Grad der Zerstörung des Lebensraums durch den Menschen, die Anzahl erwachsener Männchen in einer Gruppe oder die Populationsdichte im jeweiligen Feldforschungsgebiet.
Was sie dabei herausfanden, nimmt zwar den Menschen erst einmal aus der Schusslinie, auch wenn die Zerstörung der Lebensräume zwingend dazu führt, das Schimpansen und Bonobos mit kleineren Territorien auskommen müssen – aber das erhöht natürlich wieder die Populationsdichte. Und genau die scheint aus Sicht der Forscher ein Grund dafür zu sein, dass es vermehrt zu Tötungen von Artgenossen kommt.
Sie betrachteten 16 verschiedene Modelle und kamen zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Männchen und die Populationsdichte maßgeblich zu einer Häufung von Tötungen von Artgenossen beitragen.
“Wir fanden heraus, dass Männchen häufiger als Weibchen Artgenossen töten und auch häufiger getötet werden”, sagt Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. “Die meisten Opfer waren mit den Angreifern nicht verwandt und Angehörige einer zahlenmäßig unterlegenen Gruppe.”
Die Zerstörung des Lebensraums der Tiere durch den Menschen hatte hingegen keine messbaren Auswirkungen auf die Häufigkeit der tödlichen Auseinandersetzungen unter Artgenossen, so die Forscher.
“Wir schließen daraus, dass die Tötungen eine Strategie darstellen, mit der sich die Tiere an ihre Umwelt anpassen”, sagt Roman Wittig. “Indem sie Artgenossen töten, beseitigen die Tiere Rivalen, wenn das Risiko für sich selbst dabei gering ist.”
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, SJ, RW
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