Eigentlich ist eine Lungenentzündung in Zeiten moderner medizinischer Versorgung behandelbar. Dennoch nimmt ein beträchtlicher Teil dieser Erkrankungen einen schweren, lebensbedrohlichen Verlauf. Noch immer sterben viele Patienten daran und die Ursachen sind nur zum Teil bekannt. Um diesen Ursachen auf die Spur zu kommen, erhält ein von Wissenschaftlern der Uni Leipzig geleiteter Forschungsverbund jetzt 3,8 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Damit sollen die unterschiedlich schweren Verlaufsformen untersucht werden. Knapp 1,2 Millionen Euro davon gehen nach Leipzig an das Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE). Weltweit ist die Lungenentzündung (Pneumonie) die häufigste Infektionskrankheit und damit eine unterschätze Volkskrankheit. In Deutschland werden jedes Jahr etwa 240.000 Patienten mit einer ambulant, das heißt außerhalb einer Klinik erworbenen Lungenentzündung in ein Krankenhaus eingewiesen (engl. community acquired pneumonia, kurz CAP).
Jeder zehnte Patient stirbt
Und noch immer stirbt etwa jeder Zehnte dieser Patienten. In solchen Fällen hat sich die unkomplizierte und gut zu behandelnde Erkrankung zu einer schweren Entzündung des Lungengewebes entwickelt. Wenn sich dann die lokale Entzündung in den Lungenbläschen auf den gesamten Körper ausbreitet, kommt es zu lebensbedrohlichen Ereignissen wie Blutvergiftungen oder Organversagen. Normalerweise weiß sich der Körper gegen eine Infektion der Lunge zu wehren. In den betroffenen Lungenbläschen laufen fein aufeinander abgestimmte Prozesse ab, die die Entzündung bekämpfen. Dabei verhindert eine schützende biochemische Barriere, dass die lokale Entzündung auf andere Organe übergreift.
Es kommt jedoch immer wieder vor, dass diese Barriere plötzlich durchbrochen wird. Die Entzündung breitet sich im Körper aus und wird dann ausgerechnet durch die Prozesse verschlimmert, die die Infektion zuvor im lokalen Stadium bekämpft haben. Der nationale Forschungsverbund CAPSyS (Systems Medicine of Community Acquired Pneumonia) will in den nächsten drei Jahren die Frage klären, wie es zu dem Verlust der Barrierefunktion in den befallenen Lungenbläschen kommt und welche Faktoren Einfluss auf die Entwicklung einer systemischen Entzündung haben. “Betroffen sind immer wieder auch Erwachsene mittleren Alters ohne ersichtliche Risikofaktoren. Die Gründe dafür kennen wir nicht”, sagt Prof. Markus Löffler, Direktor des IMISE und Sprecher des Forschungsverbundes. “Wir wollen verstehen, warum manche Entzündungen der Lunge plötzlich in eine wesentlich aggressivere Verlaufsform umschlagen, damit Ärzte künftig schneller und wirkungsvoller eingreifen können”. Dafür werden die Leipziger Wissenschaftler klinische Parameter, Laborwerte sowie umfangreiche molekulare Daten von mehr als 1000 betroffenen Patienten auswerten. Untersucht werden unter anderem mehrere hundert Proteine, tausende Nukleinsäuren und hunderttausende Varianten des Erbmaterials der Patienten.
Mathematische Modelle simulieren Entzündungen
“Anhand der Daten werden wir mathematische Modelle entwickeln, die es ermöglichen sollen, den gesamten Entzündungsprozess zu simulieren und damit den Verlauf einer schweren Pneumonie erstmals nachzuvollziehen”, erläutert Prof. Markus Scholz, der am IMISE ein CAPSyS-Teilprojekt leitet. “Wir erhoffen uns davon ein besseres Verständnis der Erkrankung. Durch die Einbeziehung der molekularen Daten sollen die Modelle besonders präzise werden und Unterschiede in den Verläufen besser abbilden.” In einem nächsten Schritt wird untersucht, wie eine mögliche Prävention der schweren Lungenentzündung aussehen könnte.
“Es müssen dringend Strategien entwickelt werden, die nicht auf Antibiotika setzen. Denn die helfen uns zum Beispiel nicht bei viralen Erregern oder wenn Bakterien Resistenzen entwickelt haben”, so Scholz. Auch hier wollen die Leipziger anhand von mathematischen Modellen verschiedene Szenarien entwickeln und simulieren, wie mögliche frühe Interventionen die Krankheit potenziell beeinflussen und schwere Verläufe verhindern können. Die Ergebnisse könnten wichtige Ansatzpunkte für weiterführende klinische Studien liefern.
CAPSyS ist ein interdisziplinär angelegter Forschungsverbund, der an deutschlandweit sieben Standorten arbeitet. Das IMISE der Universität Leipzig verantwortet unter der Leitung von Markus Löffler neben der Koordination des Gesamtprojektes auch die Verarbeitung der umfangreichen Datenmengen. Markus Scholz leitet zudem das Teilprojekt “Modellierung klinischer und molekularer Daten”. Neben der Universität Leipzig sind Einrichtungen in Berlin, Erlangen, Gießen, Greifswald, Jena und Marburg beteiligt. Dort werden weitere Patientendaten erhoben und zusätzliche molekulare Messungen durchgeführt. CAPSyS stützt sich auf Daten und Biomaterialien, die in den letzten Jahren von drei großen, vom Bundesforschungsministerium geförderten Forschungsgruppen zur Pneumonie und Sepsis (PROGRESS, CAPNETZ, SepNet) zusammengetragen wurden.
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