Der direkte Blickkontakt als Zeichen sozialer Aufmerksamkeit ist eine einzigartige Erscheinung menschlicher Interaktion. Jetzt konnten Forscher des MPI das Phänomen, dass plötzlich gesuchter Blickkontakt die Aufmerksamkeit des Angeschauten besonders intensiv und kraftvoll auf sich zieht, erhellen. Ausschlaggebend für die Wirkungsmacht ist die kombinierte Verarbeitung von Blickreiz und Bewegungsreiz.

Die Erfahrung, dass der Blickkontakt die Aufmerksamkeit des Gegenübers schärft, haben wir alle schon gemacht. Dass es deshalb sinnvoll ist, bei einem Vortrag sein Publikum anzuschauen, ist längst eine Binsenweisheit. “Schau mich an, wenn Du mit mir redest”, geben wir Kindern mit auf den Weg, denn der Blickkontakt ist ein Teil der menschlichen sozialen Interaktion und Kommunikation.

Dieses Phänomen, das es so nur bei Menschen gibt, wird als sozialer Aufmerksamkeitsreiz bezeichnet. Daneben gibt es auch die nicht-sozialen Aufmerksamkeitsreize, wie beispielsweise Licht, Geräusche oder Bewegung. Beide Reizformen sind jeweils für sich bereits ausführlich untersucht worden, in ihrer Kombination jedoch bisher weitgehend unerforscht geblieben.

“Zunächst haben wir uns daher die Frage gestellt, ob unsere Beobachtung, dass der Blickkontakt gepaart mit der Plötzlichkeit der Bewegung unsere Aufmerksamkeit ganz besonders stark reizt, tatsächlich signifikant nachzuweisen ist”, erklärt Anne Böckler vom MPI. Dazu erarbeitete die Wissenschaftlerin mit ihren Kollegen ein Experiment, das genau dies klären sollte.

Die Wissenschaftler baten junge Männer und Frauen ins Labor und ließen sie vor Bildschirm und Tastatur Platz nehmen. Dann erschienen Displays, auf denen viermal das Gesicht einer Person präsentiert wurde. Zweimal schaute diese den Studienteilnehmer direkt an und zweimal wendete sie den Blick ab. Auf der Stirn aller Gesichter war zu Beginn des Durchlaufs die Zahl acht abgebildet. Dann wechselte das Display und nun erschienen Buchstaben statt der Zahl auf den Stirnen. Einer der Buchstaben war immer ein H oder ein S. Gleichzeitig änderten zwei Gesichter die Blickrichtung, eines wandte sich ab und eines den Probanden plötzlich zu. Die Aufgabe der Probanden war es nun, so schnell wie möglich per Tastatur anzugeben, ob ein H oder ein S auftauchte. Dabei wurde die Zeitspanne vom jeweiligen Erscheinen des Displays bis zum Drücken der jeweiligen Taste (Reaktionszeit) gemessen und anschließend ausgewertet. Die gemessene Reaktionszeit diente als Maß dafür, wie stark ein Gesicht in Abhängigkeit von der Blickrichtung die Aufmerksamkeit auf sich zog: je kürzer die gemessene Reaktionszeit, desto stärker die Aufmerksamkeit.

Anhand der aufgezeichneten Reaktionszeiten, stellten die Wissenschaftler nun fest, dass die Reaktionszeiten schneller waren, wenn der relevante Buchstabe auf ein Gesicht fiel, welches den Teilnehmer direkt anschaute. Diese Gesichter zogen also mehr Aufmerksamkeit auf sich, als Gesichter, welche vom Teilnehmer wegschauten. Zudem zogen sich bewegende Gesichter mehr Aufmerksamkeit auf sich als ruhende.
“Das zeigt deutlich, dass die Aufmerksamkeit, die dann ein schnelles Reagieren ermöglicht, von dem plötzlichen Blickkontakt am stärksten aktiviert wird”, erläutert Böckler.

Aus diesem Befund ergab sich für die Forscher dann die Fragestellung, wie die beiden Reize, der soziale (Blickkontakt) und der nicht-soziale (Bewegung), verarbeitet werden und ob sich aus der Kombination ein Synergieeffekt ergibt, der diesem kombinierten Aufmerksamkeitsreiz solche Kraft verleiht.

In einem zweiten Experiment veränderten die Wissenschaftler daher das Procedere. Wieder verfolgten die Probanden die Präsentation von vier zeitgleich auf dem Bildschirm erscheinenden Gesichtern mit Buchstaben. Erneut lautete die Aufgabe: H oder S identifizieren und schnell die jeweilige Taste drücken. Diesmal jedoch hatten die Wissenschaftler die Displays so arrangiert, dass die zufälligen Buchstaben erst mit Verzögerung (1s) nach der Veränderung der Blickrichtungen auftauchten. Wieder wurden die Reaktionszeiten gemessen und ausgewertet.

Dabei ergab sich erneut, dass der Blickkontakt die Aufmerksamkeit stärker auf sich zog als abgewendete Blicke. Die Verzögerung des Auftretens des relevanten Buchstabens hatte also keinen Einfluss auf die Wirkung der sozialen Reize. Im Gegensatz dazu zeigte sich jedoch, dass nun die Reaktionszeiten der Studienteilnehmer bei den unbewegten Gesichtern schneller waren als bei den bewegten Gesichtern, dass bewegte Gesichter die Aufmerksamkeit also weniger anzogen als unbewegte.

“Hier schlägt das sogenannte Inhibition of Return zu”, erklärt Böckler das kurios anmutende Ergebnis. Das Inhibition of Return ist ein Phänomen, das den Aufmerksamkeitsforschern gut bekannt ist und beschreibt folgende Beobachtung: Plötzliche, nicht-soziale Reize (z.B. ein Knall oder ein Lichtblitz) ziehen unsere Aufmerksamkeit zwar unmittelbar an den Ort des Reizes, kurze Zeit später werden jedoch an ebendiesem Ort auftretende Ereignisse schlechter wahrgenommen. Unsere Aufmerksamkeit ist also für diesen Ort kurzzeitig gehemmt. Im Gegensatz zu den sozialen Reizen waren die Bewegungsreize durch die Verzögerung der Buchstaben gehemmt.

Die Ergebnisse aus Experiment eins und zwei bestätigen demnach: der Vorteil für den plötzlichen Blickkontakt ergibt sich aus der bloßen Addition des Effektes von Blickkontakt und des Effekts von Bewegung und scheint auf unterschiedlichen Wirkmechanismen zu beruhen.

Zusammengefasst belegen die Befunde aus beiden Experimenten, dass plötzlicher Blickkontakt unsere Aufmerksamkeit tatsächlich ganz besonders stark auf sich zieht. Die besondere Wirkungsmacht des Phänomens basiert dabei auf der bloßen additiven Kombination zweier unterschiedlicher Mechanismen, nämlich der Verarbeitung des sozialen Blickreizes und der Verarbeitung des nicht-sozialen Bewegungsreizes.

Originalpublikation: Anne Böckler, Robrecht P. van der Wel & Timothy N. Welsh (2014). Catching eyes: Effects of social and non-social cues on attention capture. Psychological Science.

http://pss.sagepub.com/content/early/2014/01/07/0956797613516147.abstract

Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig

www.cbs.mpg.de

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