Wer, wenn nicht die Forscher aus dem Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ), sollte sich nach diesem nassen Juni-Anfang 2013 ernsthaft Gedanken darüber machen, wie es künftig weiter gehen soll mit den absehbar vermehrten Hochwassern in Mitteldeutschland? Denn nach der Flut ist jetzt noch spürbarer als zuvor auch wieder vor der Flut. "Land unter" heißt das Thema des neuesten UFZ-Newsletters.

Darin macht sich unter anderem Kerstin Viering ausgiebig Gedanken über “Rezepte gegen die Flut”. Es stehen Dinge drin, die eigentlich selbstverständlich sind – die aber betroffenen Politikern und etlichen Bürgern nicht so recht einleuchten wollen. Warum sollte man in Flussauen eigentlich nicht bauen? Und warum sollte man Flussauen eigentlich nicht mit Sperrwerken verbauen?

Kann man denn Wasser nicht dazu erziehen, sich brav zwischen hohen Deichen zu bewegen?

Kerstin Viering zitiert Dr. Christian Kuhlicke, der sich am UFZ unter anderem mit Hochwasserfolgeschäden beschäftigt: “Eine hundertprozentige Sicherheit vor Überschwemmungen wird es in Flusslandschaften nie geben.” Und Kuhlicke sagt etwas, was die sächsische Staatsregierung noch im Juni wieder vom Tisch gewischt hat: Dass jetzt genau der Punkt wäre, was draus zu lernen aus den wohl weiter in kürzeren Folgen kommenden Fluten – und endlich umzusteuern beim Hochwasserschutz. Stichwort: neue Konzepte.

Der UFZ-Hydrologe Prof. Ralf Merz ist es, der betont, dass es die entsprechenden Hochwassermengen, die man bislang einem hundertjährigen Hochwasser zuschrieb, durchaus auch in kürzeren Zeitabständen geben könnte. Nur vorhersagen kann es niemand, wie häufig bestimmte Gebiete künftig von Fluten überschwemmt werden. Ein Problem dabei: Man hat nicht genug Zahlen über die Vergangenheit. Nur an ganz großen Flüssen wie der Elbe gibt es Messreihen über 100 Jahre hinaus. Schon an Mulde und Pleiße wird’s dünn. Da helfen manchmal historische Überlieferungen.

Aber das sagt noch nichts über die Verteilung in der Gegenwart und Zukunft aus. Eine Anregung kommt aus Österreich, wo man in den vergangenen Jahrzehnten mehrere heftige Überschwemmungen erlebte. Dort hat man für das ganze Land Hochwasserwahrscheinlichkeiten errechnet und Hochwasserrisikogebiete bestimmt. “Statistischer Flut-Check” heißt das. Das hätten deutsche Hydrologen so auch gern für die Bundesrepublik. Und so ganz nebenbei taucht noch ein Problem auf, das Viering so beschreibt: “Oft sehen die entsprechenden Richtlinien der Bundesländer zum Beispiel vor, dass Ortschaften vor einem hundertjährlichen Hochwasser geschützt werden müssen. Das geht aber nur, wenn man bei einem solchen Ereignis zu erwartende Wasserstände und Abflussmengen kennt. Sonst fällt der neu gebaute Deich vielleicht zu niedrig aus.” Oder die 40 Millionen Euro teure Hochwasserwand.

Beispiel 2013: “Bis zum Jahr 2008 … bekam Eilenburg für 35 Millionen Euro neue Deiche und Mauern. Die Stadt galt damit als weitgehend hochwassersicher – und blieb 2013 tatsächlich verschont. Es fehlten allerdings nur zwei Zentimeter, bis auch die neuen Bollwerke überspült worden wären. Meißen dagegen hatte weniger Glück und wurde trotz seines nagelneuen Schutzsystems überflutet.”Naturschützer, Bürgerinitiativen und langwierige Genehmigungsverfahren sind daran nicht schuld, betont Christian Kuhlicke. “Vielmehr habe man nach 2002 zu einseitig auf technische Maßnahmen gesetzt.” Und so unterstützen auch die UFZ-Forscher die berechtigte Forderung der Naturschützer, den Flüssen endlich wieder mehr Raum zu geben. Die Auen sind die natürlichen Verbündeten für den Hochwasserschutz.

Bei Deichrückverlegungen, die den Flüssen wieder mehr Platz zur Verfügung stellen, geht es jedes Mal um Millionen Kubikmeter Wasser, die aus dem Hochwasserberg abgeleitet werden können und auch die Pegel sinken lassen. Die Lenzener Aue in Brandenburg wird als Beispiel genannt.

Aber Christian Kuhlicke kritisiert zu recht: “Wie wichtig solche Projekte sind, war nach 2002 allerdings noch längst nicht in allen Köpfen angekommen.

Politiker auch in Sachsen lehnen den Rückbau oder die Rückverlegung von Deichen gern mit dem Argument ab, das könne man den Betroffenen nicht zumuten. Aber der Vorschlag, den Leuten, die im Auengebiet gebaut haben, mit Umzugsprämien die Entscheidung leichter zu machen, hat was für sich.

Denn die Diskussion wird nicht abebben. Kerstin Viering: “Denn viele Experten befürchten, dass der Klimawandel zu häufigeren Extremhochwassern führen wird. Umso wichtiger ist es nach Ansicht der UFZ-Forscher, sich über die Hochwasservorsorge der Zukunft Gedanken zu machen.”

Ein Foto von André Künzelmann zeigt dann sehr eindrucksvoll, was Deichrückverlegung im konkreten Fall bedeutet. Es zeigt die 500-Seelen-Gemeine Erlln in einer Schleife der Mulde, die 2002 komplett überflutet wurde. 2006 bekam die Gemeinde einen neuen, 2,7 Millionen Euro teuren Deich, der aber mit deutlichem Abstand zum Fluss errichtet wurde. Die alten Deiche wurden auch im Juni 2013 überflutet – Erlln blieb von den Fluten durch den neuen Ringdeich geschützt.

Zum UFZ-Newsletter: www.ufz.de/newsletter/ufz/Oktober2013

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