Die Leitungsbahnen im Gehirn verlaufen in einem weit verzweigten Nervengitter. Der Aufbau dieses Gitters wird seit über hundert Jahren erforscht, und dennoch sind der Verlauf und die Funktion einiger Strukturen bis heute völlig unbekannt. Ein Forscherteam am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften konnte nun erstmals das dichte neuronale Netz bis auf einen viertel Millimeter genau dreidimensional erfassen.
Dabei konnten sie in feinste Strukturen, wie die bisher kaum untersuchten horizontalen Fasern, vordringen.
Im hinteren Teil des Gehirns, einem Teil der visuellen Hirnrinde, wurde das Nervengeflecht nun erstmals räumlich dargestellt. Im rechten Bild sieht man einerseits die Faserbündel und anderseits die einzelnen Faserkreuzungen, mit deren Hilfe die Forscher das Nervengeflecht sichtbar machen konnten. Die Farben geben dabei Aufschluss über die Richtung der Faserbündel bzw. der einzelnen Faserkreuzungen.
Innerhalb einer Sekunde nehmen wir mehrere Millionen visuelle Informationen durch unsere Augen wahr und geben sie zur Verarbeitung an das Gehirn weiter. Wenn Wissenschaftler den faszinierenden Prozess des Sehens verstehen möchten, müssen sie somit nicht zuletzt einen Blick auf das komplexe Zusammenspiel der mikroskopisch kleinen Bausteine des Hirns werfen – auf die sogenannten Nervenzellen oder Neuronen. Diese sammeln Signale von hunderten vorgeschalteten Zellen und leiten sie gezielt an nachfolgende Zellen weiter.
Intensiv untersucht wurde bisher der Verlauf der langen, vertikalen Hauptleitungsbahnen, die einzelne Hirnareale miteinander verbinden und auch als weiße Substanz bezeichnet werden. Selbst bis vor kurzem ermöglichte es die Auflösung modernster Geräte und Methoden aber nicht, die schlechter darstellbaren horizontalen Nervenstränge in den zellhaltigen Randschichten des Hirns, der Hirnrinde oder grauen Substanz, räumlich abzubilden.
“Nun haben wir zum ersten Mal mit einer Auflösung von einem viertel Kubikmillimeter gearbeitet”, erklärt Christoph Leuze, Neurophysiker am MPI, “und konnten damit sogar die horizontalen Nervenfasern der grauen Substanz sichtbar machen.”
Wer das neuronale Netzwerk unter dem Mikroskop untersucht, stößt dabei schnell an die methodischen Grenzen der zweidimensionalen Mikroskopie. Vor allem horizontale Fasern können selten über längere Strecken in einer einzigen Schnittebene verfolgt werden. 3D-Verfahren wie die diffusionsgewichtete Magnetresonanztomografie (DW-MRT) sind daher unerlässlich, um die Vernetzung der Neuronen zu erforschen. Diese moderne Technik misst die Wanderbewegungen von Wassermolekülen im Nervengewebe. Weil sich Wassermoleküle vor allem entlang der Nervenfasern bewegen, kann anhand der Bewegungsrichtung ein Rückschluss auf die Ausrichtung der Nervenfasern gezogen werden. Durch eine anschließende Traktographie werden aus einer Vielzahl an MRT-Daten informative und künstlerische 3D-Rekonstruktionen großer Nervenfaserstränge des Gehirns berechnet.
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Die Forscher verglichen die 3D-Scans fixierter Gehirne anschließend mit Schnittpräparaten der Hirnrinde. So konnten sie die 3D-Nervenfasern den in der Histologie wohl bekannten Schichten der visuellen Hirnrinde zuordnen. “Wir haben uns bei dieser Studie Gewebe aus der visuellen Hirnrinde angesehen”, erklärt Leuze. Dort gebe es nämlich mit dem sogenannten Gennaristreifen eine Struktur, die bereits im 18. Jahrhundert erstmals beschrieben wurde, deren genauer Aufbau und Funktion aber bis heute ein Rätsel bleiben. Mit der 3-D-Darstellung dieser Region hoffen die Wissenschaftler nun, den Antworten ein gutes Stück näherzukommen zu sein.
Mit der neuen Möglichkeit einer räumlichen Darstellung von Nervensträngen in der Hirnrinde eröffnen sich der Forschergruppe auch viele neue Fragen: Mit welchen Arealen sind die horizontalen Fasern vernetzt? Welche Funktion haben sie? Wo entspringen diese Fasern, und was ist deren Zielregion? “Nur wenn wir das Netzwerk der visuellen Hirnrinde im Detail verstanden haben,” so Leuze “können wir beginnen darauf zu schließen, wie das Gehirn aus den vielen einzelnen visuellen Informationen ein Gesamtbild der Welt erstellt.”
Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
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