Das Schöne an den Wissenschaftsmeldungen auf "Spiegel Online" ist: Man bekommt sie recht zeitnah und schön kurz und verständlich. So bleibt man ein klein wenig auf dem Laufenden über das, was jeden Tag auch an kleinen und großen Meldungen aus der Wissenschaft um den Erdball rollt. Das Meiste morgen vergessen, weil der nächste Berg Meldungen anrollt. "Deutsch stammt aus der Türkei", titelte das Online-Medium nun am Freitag, 24. August.

Wäre das Thema ganz neu und frisch, würde man vielleicht staunen: Wer hätte das geglaubt? Erst recht, nachdem Frank Schweizer in seinem bei Militzke erschienenen Buch “Seltsame Sprache(n)” so eindrucksvoll erklärt hat, wie groß die Kluft zwischen Deutsch und Türkisch tatsächlich ist und welche Lernleistungen Menschen aus der Türkei vollbringen, wenn sie Deutsch lernen.

Kann also nicht stimmen.

Im Text geht die Autorin Julia Merlot dann auf einen alten Streit unter Linguisten ein, die sich seit Jahrzehnten über den Ursprungsort der indoeuropäischen Sprachen streiten, die heute immerhin von rund 3 Milliarden Menschen gesprochen werden. Den ursprünglichen Begriff der “indo-germanischen” Sprachen hat 1810 Conrad Malte-Brun geprägt. Gemeinsame Wortwurzeln in hunderten heutigen Einzelsprachen deuten darauf hin, dass es irgendwann vor 8.000, 9.000 Jahren einen gemeinsamen Sprachursprung gab, den Forscher nun seit über 100 Jahren versuchen, mit den verschiedensten Methoden genauer zu bestimmen.

Lange Zeit dominierte die von Marija Gimbutas vorgebrachte These, der Ursprung des Indogermanischen / Indoeuropäischen sei bei den Steppenvölkern nördlich des Schwarzen Meeres in der so genannten Kurgankultur zu suchen. Eine These, die Frank Schweizer nicht nur recht witzig, sondern geradezu schräg fand, denn dadurch würden nomadisierende Steppenvölker auf einmal zu Schöpfern einer Sprache, in der viele landwirtschaftliche Ausdrücke darauf hindeuten, dass sesshafte Ackerbauern die Sprache entwickelt haben.

Was dann für die auch von Quentin Atkinson von der University of Auckland und seinen Kollegen vertretene These spräche, die jetzt im Fachmagazin “Science” veröffentlicht wurde und über die Julia Merlot auf “SPON” berichtet: Die Sprache entstand in der anatolischen Ackerbauernkultur. Darauf weisen Atkinsons neuere Forschungen hin. Und Merlot schreibt: “Von dort aus sollen sich die indoeuropäischen Sprachen vor 9.500 bis 8.000 Jahren nach Nordeuropa und Südostasien ausgebreitet haben.”

Sie zitiert auch Paul Heggarty vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig mit den Worten: “Die neue Studie bringt die Befürworter der Steppen-Hypothese in Erklärungsnot.”Was unsereins natürlich doppelt stutzig macht: Ereifern sich die Linguisten tatsächlich noch immer in diesem an Swift erinnernden Streit zwischen Anatolien und Kurgan-Kultur? War da nicht was? Ein Ereignis, das irgendwann vor 7.500 bis 9.500 Jahren die Welt veränderte und das in den letzten 15 Jahren die historische Forschungswelt beschäftigte? – Damals wiesen Walter Pitman und William Ryan nach, dass die (nicht nur in der Bibel) überlieferte Geschichte von der Sintflut einen realen Kern hat und wohl auf ein Ereignis zurückgeht, das eine hochentwickelte Kultur von den Ufern des damaligen Süßwassermeeres, das wir heute als Schwarzes Meer kennen, vertrieb: der Durchbruch der Wasser des Mittelmeeres durch einen schmalen Durchbruch in den tiefer gelegenen Süßwassersee.

Viele archäologisch nachgewiesene Wanderbewegungen scheinen in diesem Moment ihren Ursprung zu haben. Und auch die von Ackerbauern geprägte Besiedelung Mitteldeutschlands vor ungefähr 7.000 Jahren scheint in dieser Naturkatastrophe ihren Ursprung zu haben.

Aber natürlich haben wir mal kurz bei Paul Heggarty angefragt, der seit 2010 als Linguist am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie tätig ist. Er arbeitet – wie fast alle Forscher am Institut – disziplin-übergreifend, verknüpft Sprachforschung mit Archäologie und Genetik. So wird deutlicher, wie Menschen tatsächlich wanderten. Und mit ihnen ihre Sprachen. Freundlich und schnell antwortete er auf unsere Fragen. Auf Englisch, unsere Redaktion hat diese ins Deutsche übertragen:

Kurz-Interview mit Paul Heggarty

Kann es sein, dass hier zwei Thesen vertreten werden, die beide den eigentlichen Ursprung der Indoeuropäer immer wieder ausblenden: Ackerbauern, die einst am Schwarzen Meer siedelten, bevor vor 9.500 bis 7.500 Jahren der Durchbruch vom Mittelmeer geschah?

Ja, das ist im Prinzip natürlich vorstellbar.

Wird das in der Linguistik immer wieder ausgeblendet?

Normalerweise ja, aber nicht immer. Es gibt einige Sprachwissenschaftler, die die Hypothese von der Flutung des Schwarzen Meeres als eine mögliche Erklärung fraglich finden, die jedoch in gewisser Weise mit den beiden wichtigsten Hypothesen vereinbar ist. Don Stilo, der häufig hier in der Abteilung Linguistik am MPI-EVA in Leipzig gearbeitet hat, ist ein Linguist, der das genauer erforscht hat.

Oder gibt es andere Gründe, die Entwicklung des Indoeuropäischen von diesem Ereignis abzukoppeln?
Ein Grund dafür ist, dass die Flut-Hypothese in jeder Hinsicht nicht so breit akzeptiert wird. Es wird stark kritisiert und in Frage gestellt, wie groß die Auswirkungen tatsächlich gewesen wären, die das gehabt hätte. Weder die Ausbreitung der Landwirtschaft wird in Frage gestellt noch die Domestizierung des Pferdes (obwohl es Diskussionen über die Details von beiden gibt). Also sind das die verlässlicheren Grundlagen, auf denen unsere sprachliche Hypothesen aufbauen.

Zweitens würde eine Flut nur erklären, warum die Bevölkerung ein Stück weg vom Schwarzen Meer zog, um den steigenden Fluten zu entkommen. Es würde nicht helfen zu erklären, wie die Menschen so erfolgreich dabei waren, diese Länder von den Populationen/Völkern zu übernehmen, die vermutlich früher dort lebten. Es muss einen Mechanismus geben, der gewährleistet, dass diese Völker (oder zumindest ihre Sprache) erfolgreicher expandieren konnten, auf Kosten der anderen Populationen und Sprachen rundherum zu diesem Zeitpunkt.
Die Landwirtschaft oder die Domestizierung des Pferdes sind zwei bedeutende “Vorteile” in diesem Sinne. Eine Flut allein liefert auf dieser Ebene nicht viele Antworten.
Sie erwähnen auch noch die Bauern, als die Bevölkerung von der “Sintflut” verdrängt wurde. Aber wenn der Landbau in jeder Hinsicht so spektakulär erweitert wurde dank seiner anderen Stärken, warum brauchen wir dann überhaupt noch eine Flut?

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Drittens könnte eine Flut einige Bewegungen rund um das Schwarze Meer sofort erklären, aber sie kann sicherlich nicht erklären, wie indo-europäische Sprachen viele Tausende Meilen entfernt zu Ende gingen: in ganz Europa, viele im Nahen Osten, und die meisten in Nordindien. Auch hier kann die Landwirtschaft (oder Pferdehaltung) das besser erklären, ohne auf irgendeine Art eine Flut zu benötigen.

Man sieht also: Die Forscher diskutieren noch – und einige Forscher finden im Desaster am Schwarzen Meer durchaus eine mögliche Erklärung für die explosionsartige Ausbreitung verschiedener kultureller Errungenschaften und mit ihnen auch der indoeuropäischen Sprachen. Und natürlich auch für die Lokalisierung der Ursprungskultur, aus der all die faszinierenden Kulturen der heutigen indoeuropäischen Sprachfamilie hervorgingen. Natürlich ist die Frage berechtigt: Braucht es eine Sintflut, um so eine gewaltige Wanderungsbewegung auszulösen? So sind Forscher: Sie stellen auch alles, was auf den ersten Blick bezaubernd aussieht, gleich wieder in Frage.

Wie es aktuell steht, werden wir also Don Stilo fragen, wenn er aus seinem Urlaub zurück ist in Leipzig.

Der “Spiegel Online”-Beitrag: “Deutsch stammt aus der Türkei” unter www.spiegel.de

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