Das kommunale Wohnungsunternehmen LWB probiert auf der Karl-Liebknecht-Straße was Neues aus. Man sieht es nicht gleich, sah es auch nicht unbedingt, wenn einem die Messanlage an der Hausfassade nicht auffiel, die hier ein Jahr lang angebracht war. Die Fassade ist mittlerweile saniert. Im Herbst ziehen die ersten Mieter ein. Die Messanlage ist wieder dran.
Beim Vorüberfahren sieht sie aus wie der Rest eine Werbeinstallation. Unten im 1963 erbauten Lückenfüller aus dem Jahr 1963 sieht der Passant den Klamottenladen “Taylor”, der zu den Urgesteinen auf der “Karli” gehört. Ansonsten hat das Haus mit der Nummer 77 auf den ersten Blick nichts Besonderes. Auf den zweiten auch nicht. Ein Neubau aus DDR-Zeiten, eben, der jetzt wieder fit gemacht wird für neue Mieter. Das Neue steckt in der Dämmung. Und im Anstrich. Ein doppeltes Pilotprojekt, bei dem die LWB unter anderem mit der Uni Leipzig, dem Leibniz-Institut für Troposphärenforschung und der Firma Saint-Gobain Weber zusammenarbeitet. Alle wollen wissen, ob es funktioniert, das mit dem Anstrich.
Das mit der Dämmung hat die Firma schon in der Praxis ausgeführt. Es funktioniert. Das Fachchinesisch dazu: “Das Vakuum-Wärmedämm-Verbundsystem ‘weber.therm LockPlate’ ist gut ein Drittel effizienter als bisherige Vakuum-Isolationssysteme. Mittels einer patentierten Verlegetechnik kann Wärmebrücken wirkungsvoll entgegengewirkt werden. Zudem ist das System nur etwa halb so dick, so dass die ursprüngliche Form der Fassade kaum mehr verändert und Material eingespart wird.”
Erfinder dieser neuartigen Dämmung ist Dr.-Ing. Libor Kubina. Er hat der eingeladenen Presse am Donnerstag, 23. August, vor Ort erklärt, wie es gelingt, die von außen so scheinbar gewöhnliche Dämmung dünner zu machen als übliche Dämmungen. Ist doch auch nur Styropor, oder? – “Luft ist ein guter Dämmer”, sagt Dr. Wolfram Maier, bei der Saint-Gobain Weber in Düsseldorf für Forschung und Entwicklung zuständig. “Vakuum ist noch ein besserer Dämmer.” Kern der einzelnen Platten ist also ein Vakuumkern, eingebettet in das montagefertige Styropormodul, das nicht nur einfach – wie sonst üblich – schön neben das nächste Teil geklebt wird. Die Module werden – mit den entsprechenden Aussparungen – übereinander gesetzt, so dass im Inneren die Vakuumisolationen übereinander lappen und Wärmebrücken möglichst ganz vermieden werden.
“In Baden haben wir das System schon mehrfach montiert”, erzählt Maier. “Jüngst haben wir auch in Potsdam ein Großprojekt verwirklicht.” In Leipzig ist es das erste Projekt dieser Art. Auch für die LWB ein Ausprobieren, denn wenn die Parameter so gut sind wie versprochen, könnte das Dämmsystem, so Gabriele Haase, auch in anderen Sanierungsprojekten der LWB eingesetzt werden. Musteranlage im energetische Umbau der LWB sind derzeit die Gebäude in der Kreuzstraße.
Im Grunde, so Maier, wird mit der deutlich dünneren Dämmung der Dämmeffekt erreicht, den man für ein Passivhaus braucht. Ein Thema, das auch im Leipziger Wohnungsbau immer wichtiger wird, denn die Energiepreise kennen nur noch einen Weg: nach oben.
Der Vorteil der schmaleren Dämmung ist natürlich: Man kann auch Gebäude in Straßenzügen dämmen, wo die dicken Packungen bisher nicht möglich waren, weil sie die Raumkante völlig verschieben. Interessant ist das System auch für die Leipziger Gründerzeit: “Ich hab selbst ein 100 Jahre altes Haus”, sagt Kubina. “Und ich habe es mit dem System gedämmt. Es geht tatsächlich.”
Die Dämmung sieht man. Aber den Anstrich? Schön weiß malen kann ja jeder sein Haus.
Aber die Karli 77 ist das erste Gebäude in Leipzig mit einem photokatalytischen Putz. Das heißt: Der Putz ist in der Lage, an seiner Oberfläche Luftschadstoffe zu reduzieren. Grundlage dafür ist ein Metalloxid, das sehr oxidationsfreudig ist und schon bei geringer Sonneneinstrahlung beginnt, mit dem in der Luft enthaltenen NO und NO2 zu reagieren. “Eine Art nachgelagerter Katalyse”, erklärt Prof. Dr.-Ing. Frank Dehn von der Gesellschaft für Materialforschung und Prüfungsanstalt des Bauwesens Leipzig (MFPA), die das Produkt entwickelt hat.
Übliche Katalyse-Verfahren setzen gleich nach der hochgradigen Verbrennung im Motor eines Autors oder im Kraftwerk an und versuchen dort, die entstehenden Stickoxide gleich zu binden. “Mit der Einführung des Dreifach-Katalysators in der EU hat man zwar gedacht, man könne das NOx-Niveau deutlich senken”, sagt Prof. Dr. Hartmut Herrmann vom Leibniz-Institut für Troposhärenforschung. “Aber das Niveau verändert sich seit Jahren nicht. Das Wachstum der Fahrzeugflotten hat den gewünschten Effekt ausgeglichen.
Was dann auch für das hohe Aufkommen von Stickoxiden in den Städten sorgt. Und für entsprechende Folgebelastungen wie Ozon und Feinstaub. Denn am Ende der diversen Reaktionsketten in der Luft stehen eigentlich immer Nitrate, die zur Ursache für einen Teil der Feinstaubbelastung werden.
Die Frage war also: Wie bekommt man NO und NO2 schon vorher aus der Luft? – Im Labor ist der jetzt eingesetzte katalytische Prozess schon erprobt. “Teilweise auch schon in natürlicher Umgebung”, sagt Dehn. “Aber noch nicht im großflächigen Versuch und über einen längeren Zeitraum.”
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Man sei froh, dass man die LWB als Partner dafür habe gewinnen können. Und Gabriele Haase ist wiederum stolz darauf, dass die LWB immer gern mit Forschungseinrichtungen kooperiere. In diesem Fall also gleich mit zwei. Denn das Institut für Troposhärenforschung begleitet das Projekt mit einer Langzeitmessung. Ein Jahr lang hat man nun die Luftschadstoffe am Haus ohne entsprechende Putzschicht gemessen. Ein Jahr lang soll jetzt auch gemessen werden, was auf dem neuartigen Putz passiert, ob sich die Laborergebnisse im Alltag der “Karli” auch so bestätigen.
Auch der Katalysator-Putz verwandelt die Stickoxide aus der Luft in Nitrate um. Die werden dann, wenn alles funktioniert wie gedacht, bei jedem Regen einfach in die Kanalisation gespült. “Im Vergleich zu den üblichen Mengen an Stickoxiden im Abwasser sind die Mengen vernachlässigbar”, sagt Prof. Dr. Hartmut Herrmann.
Die Zukunftsvision wären natürlich ganze Quartiere, die mit so einem Putz versehen sind und wo so im Kleinräumigen die Konzentration von Stickoxiden in der Luft gesenkt werden kann. Das aber, so Dehn, ist erst einmal noch Zukunftsmusik. Jetzt ist man bei der MFPA erst mal gespannt auf die Messergebnisse, die in einem Jahr ausgewertet werden können.
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