Als Sachsens Umweltminister am 25. Juli über die beim Hochwasserschutz-Ausbau so störenden Bürgerinitiativen lästerte, haben ganz bestimmt auch die Forscher aus dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) aufgehorcht. Bürgerbeteiligung ist ja ein Thema, mit dem sie sich aus gutem Grund auch beschäftigen.
Sie ist keine Erfindung der letzten Jahre. Aber der Freistaat Sachsen tut eine Menge dafür, Bürgerbeteiligung zu verhindern oder gar vom Tisch zu wischen, wie jüngst erst beim geplanten Neubau für die B87. Seit “Stuttgart 21” wird in Deutschland über Bürgerbeteiligung debattiert, und die Politiker, die das Wort “Wutbürger” benutzten, zeigten sehr deutlich, was sie vom Bürger und seinem (gesetzlich verankerten) Recht auf Beteiligung an großen Bauvorhaben halten.
Das bekommen die engagierten Bürger auch beim notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien und der notwendigen Stromtrassen zu spüren: Man urteilt über die Bürgerinitiativen, macht sie lächerlich – bindet sie aber nicht in die notwendigen Planungen mit ein.
Nun schreiben auch die Forscher des UFZ den sächsischen Regierungsvertretern ins Stammbuch: Die Beteiligung der Anwohner an der Planung und Umsetzung des Katastrophenschutzes ist die wirksamste Vorsorge.
Sie trägt dazu bei, ein Bewusstsein für mögliche Katastrophen zu schaffen, das Vertrauen in die Behörden zu verbessern und mehr Eigenverantwortung für Katastrophenschutz und -vorsorge zu übernehmen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine europäische Studie, die den Umgang mit Naturgefahren untersucht hat. In Deutschland hat dafür das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die Aufarbeitung der Hochwasserkatastrophen wie zum Beispiel der Elbeflut 2002 analysiert, die sich im August zum zehnten Mal jährt.
Es sei eine große Herausforderung für das Risikomanagement, zu verstehen, wie Betroffene auf Naturgefahren reagieren, um die besten geeigneten Maßnahmen für eine effektive Risikokommunikation, die Einbeziehung der Betroffenen und die Notfallvorsorge zu treffen, schreiben die Forscher im Abschlussbericht des EU-Forschungsprojektes CapHaz-Net.
Allgemein wird angenommen, dass sich Menschen umso mehr schützen, je stärker ihnen das Risiko einer Naturkatastrophe bewusst ist. Warum sich Menschen schützen, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Dazu gehört beispielsweise die Erinnerung an erlebte Katastrophen oder eine Vorstellung davon, welche Schäden zu erwarten sind. Dass Naturkatastrophen wie die Elbeflut 2002 oder der Tsunami in Japan 2011 zu großen Verlusten geführt haben, lag auch mit daran, dass die Betroffenen viele Jahre von solchen Katastrophen verschont wurden und sie sich die Dimensionen nicht vorstellen konnten.
Bei der Auswertung verschiedenster Studien, die sich mit der Wahrnehmung von Naturgefahren wie zum Beispiel Hochwasser, Sturmfluten usw. befassten, kamen die Wissenschaftler jedoch zu dem überraschenden Ergebnis, dass selbst ein stärkeres Risikobewusstsein nicht automatisch zu mehr persönlichen Schutzmaßnahmen und damit zu einer besseren Vorsorge vor Naturkatastrophen wie Hochwasser führt. Die Studie konnte aber auch zeigen, dass Vertrauen in Schutzmaßnahmen und verantwortliche Behörden ein entscheidender Faktor ist.
Die Wissenschaftler empfehlen daher, die Betroffenen besser in die Planung und Umsetzung der Schutzmaßnahmen einzubinden, denn gerade dadurch entsteht überhaupt erst Vertrauen.
“Dann haben diese eine bessere Vorstellung, was die Behörden im Katastrophenfall leisten können und was nicht. Dies hilft sehr, sich auf solche Situationen vorzubereiten und zu wissen, welche Maßnahmen ich selber treffen muss, um die sich keine Behörde kümmern wird”, erklärt Dr. Christian Kuhlicke vom UFZ, der als Sozialgeograph seit Jahren solche Katastrophen untersucht und Sprecher des Arbeitskreises Naturgefahren der Deutschen Gesellschaft für Geographie ist.
Etwa 400 Millionen Euro wurden vom Freistaat Sachsen seit 2002 bereits in Schutzmaßnahmen der höchsten Prioritäten wie etwa dem Hochwasserschutz in Dresden, Eilenburg oder Grimma investiert. Bis 2020 sollen es insgesamt eine Milliarde Euro sein.
Allerdings hat der Freistaat Sachsen auch seine Bürger aufgefordert, mehr Eigenvorsorge vor Hochwasser zu treffen und angekündigt, in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen staatliche Hilfen auszuzahlen, da die Gefahren jetzt bekannt sind. Dieser Politikwechsel soll dazu beitragen, dass die Schäden beim nächsten Hochwasser wesentlich geringer ausfallen, da so eine “Vollkasko-Mentalität” vermieden werden soll. Aber er hat auch weitreichendere Folgen, die in der Öffentlichkeit bisher kaum diskutiert wurden.
“Der Bürger wird so zum Manager seines eigenen Risikos. Das schafft neue Ungleichheiten. Denn die Investitionsbereitschaft hängt nicht allein von der Wahrnehmung des Risikos ab, sondern vor allem von den vorhandenen Ressourcen eines privaten Haushalts”, erklärt Kuhlicke.
Dazu kommt ein weiterer kritischer Punkt: Öffentliche Investitionen in den Hochwasserschutz werden priorisiert, das heißt eine Ansammlung von 200 Häusern wird eher durch einen Deich geschützt als lediglich zwei Häuser.
“Dies mag aus Effizienzgründen nachvollziehbar und gerechtfertigt sein, nur ist es auch gerecht? Während einigen Siedlungen der durch die Allgemeinheit finanzierte Schutz gewährt wird, bleiben andere vorerst ungeschützt, und deren Bewohner müssen im Schadensfall die Kosten selbst tragen. Wir meinen deshalb: Es ist notwendig, ein rechtliches oder politisches Instrument zu entwickeln, das die beschriebenen neu entstandenen Ungleichheiten ausgleichen bzw. mindern kann”, regen Kuhlicke und Dr. Volker Meyer, Wirtschaftsgeograph am UFZ an. Beide haben in den letzten Jahren zusammen mit anderen Kollegen diverse Untersuchungen unter anderem an der Mulde in Sachsen durchgeführt.
E hat sich einiges getan seit der Flutkatastrophe an der Elbe von 2002, stellt das UFZ fest. Betont aber auch: Es gibt aber auch jenseits von Baumaßnahmen und technischen Lösungen noch viel zu tun. Besonders gilt dies für Behörden und Betroffene, die von einander lernen sollten. Regelmäßiger Kontakt und verlässliche Informationen könnten beiden Seiten helfen, an einem Strang zu ziehen und auf künftige Katastrophen besser vorbereitet zu sein.
Quelle: Tilo Arnhold / UFZ
Lesen Sie dazu auch einen Standpunkt von Dr. Christian Kuhlicke und Dr. Volker Meyer in der aktuellen Ausgabe des UFZ-Newsletters: “Bedingt vorbereitet? 10 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser”:
www.ufz.de/index.php?de=10690
www.caphaz-net.org
Das Sächsische Umweltministerium hat in dieser Woche auch eine Broschüre “Hochwasser geht alle an!” veröffentlicht. Sie kann ab sofort im Internet unter www.publikationen.sachsen.de kostenfrei bestellt und heruntergeladen werden. Sie ist außerdem erhältlich beim Zentralen Broschürenversand der Sächsischen Staatsregierung, Hammerweg 30, 01127 Dresden, Tel. (0351) 2103672, E-Mail: publikationen@sachsen.de.
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