Makellose Zähne nach 2 Millionen Jahren - darüber freuen sich Forscher. Ihre einstigen Besitzer eher nicht. Vor etwa zwei Millionen Jahren gerieten ein älteres Weibchen und ein junges Männchen der Art Australopithecus sediba in einen Erdrutsch, ihre Überreste wurden augenblicklich unter den Sedimenten begraben. Was für die beiden eine Katastrophe war, brachte auch Leipziger Forscher jetzt auf die Spur ihres Speiseplanes.

Der Paläoanthropologe Lee Berger von der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika, und seine Kollegen beschrieben im Jahre 2010 die Überreste dieses neu entdeckten Homininen. Jetzt untersuchte ein aus neun Experten bestehendes internationales Forscherteam die Zähne der beiden Austrolopithecinen, die aufgrund der ungewöhnlichen Todesumstände ihrer Besitzer einmalige Eigenschaften aufweisen. Auch Leipzigs Evolutionsforscher aus dem Max-Planck-Institut am Deutschen Platz waren mit dabei.

Amanda Henry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ein internationales Forscherteam untersuchten die Abnutzungsmuster an den Zähnen und winzigste Pflanzenfragmente im Zahnstein zweier Vertreter der Art Australopithecus sediba aus Malapa, Südafrika, und fanden heraus, dass diese zu Lebzeiten auch pflanzliche Nahrung zu sich genommen hatten. Bestätigt wurde diese Annahme durch Isotopenanalysen der Skelette. Die Forscher fanden in den Zähnen der beiden Homininen hauptsächlich Reste von Baumrinde und holzigen Geweben; dies konnte bisher bei anderen frühen Homininen nicht festgestellt werden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Ernährung von Australopithecus sediba im Vergleich zur Ernährung anderer ähnlich alter afrikanischer Homininen überraschend anders war. Geleitet wurde die Studie von Lee Berger von der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika.

“Unter den fossilen Funden früher menschlicher Überreste ist dieser Fund einmalig. Es handelt sich um den ersten direkten Beweis dafür, was unsere frühen Vorfahren in den Mund nahmen und kauten – was sie aßen”, sagt Lee Berger. Initiiert wurde die aktuelle Studie durch Bergers Entdeckung von Flecken auf den Zähnen, bei denen es sich vermutlich um Zahnbelag beziehungsweise Zahnstein handelte.”Die Konservierungsart war äußerst ungewöhnlich”, sagt Peter Ungar von der University of Arkansas, der im Rahmen der Studie minimalste Abnutzungsspuren an den Zähnen untersuchte. “Der Zustand der Zähne war makellos.” Da die zwei Australopithecinen durch den Erdrutsch begraben und sofort von Sedimenten umhüllt wurden, waren ihre Zähne teilweise sogar von einem schützenden Luftkissen umgeben.

Dies ermöglichte es den Forschern erstmals, drei verschiedene Analysemethoden auf die Fossilien anzuwenden: Die Zahnoberflächen wurden auf winzigste Abnutzungsspuren hin untersucht und der Zahnschmelz einer Isotopenanalyse unterzogen. Da die Zähne seit dem Tod ihrer Eigentümer nicht mit den Elementen in Berührung gekommen waren, war sogar der Zahnstein, der sich zu deren Lebzeiten an den Zahnrändern gebildete hatte, noch gut erhalten. In diesem Zahnstein fanden die Forscher Phytolithen, die versteinerten Überreste von Pflanzen, die diese frühen Homininen vor zwei Millionen Jahren gegessen hatten.

“Es ist das erste Mal, dass wir diese drei Analysemethoden auf eine bzw. zwei Proben anwenden konnten”, sagt Ungar. Henry ergänzt: “Wir hoffen, diese Studie inspiriert zukünftig zu weiteren fachübergreifenden Studien. Wir schätzen uns glücklich, ein so multidisziplinäres Forscherteam im Rahmen dieser Studie vereint zu haben.”

Anschließend untersuchten die Forscher die Ernährungsweise der beiden Homininen: Die Ergebnisse unterscheiden sich von dem, was man bisher über die Ernährung unserer frühen Vorfahren wusste. Die Zähne zeigen mehr Rillen und komplexere Abnutzungsspuren, als man sie von früheren Australopithecinen kennt. Auch die Isotopenanalyse verrät, dass hauptsächlich Teile von Bäumen, Sträuchern und Kräutern konsumiert wurden, Gräser hingegen weniger.Die Phytolithen gaben Auskunft über den Speiseplan der beiden Australopithecinen: Ihre Nahrung enthielt Baumrinde, Blätter, Seggen, Gräser, Früchte und Bestandteile von Palmen. Um sicherzustellen, dass die Zahnbeläge tatsächlich der Ernährung und nicht einer Verunreinigung nach dem Tode geschuldet waren, untersuchten die Forscher die Sedimente, in denen die Homininen begraben waren. “Die Untersuchung ergab, dass es sich bei den im Zahnstein enthaltenen pflanzlichen Überresten mit Sicherheit nicht um eine Kontamination durch umgebende Sedimente handelt”, sagt Marion Bamford von der University of the Witwatersrand, die die Phytolithenanalyse durchführte.

“Persönlich fand ich es überraschend, dass unsere frühen Vorfahren Baumrinde aßen”, sagt Berger. “Obwohl Primatologen seit Jahren bekannt ist, dass Primaten – einschließlich der Menschenaffen – Baumrinde als eiserne Reserve in Notzeiten zu sich nehmen, hatte ich sie nicht auf dem Speiseplan eines frühen menschlichen Vorfahren vermutet.”

Matt Sponheimer von der University of Colorado in Boulder, USA, der die Isotopenanalyse durchführte: “Mithilfe einer Art Laser-Zahnbehandlung an zwei längst verstorbenen Patienten haben wir untersucht, was uns der im Zahnstein enthaltene Kohlenstoff über die Ernährung der Homininen aus Malapa verraten kann. Die Ergebnisse zeigen, dass sich ihre Ernährung von der anderen früher Homininen unterscheidet und eher der von Schimpansen ähnelt. Wir hatten nicht erwartet, dass es Ernährungsunterschiede zwischen Australopithecus sediba und anderen Homininen der Gattung Australopithecus und frühen Vertretern der Gattung Homo geben würde, da Forscher eine enge Verwandtschaft von Australopithecus sediba mit einem Vertreter dieser beiden Gattungen vermutet hatten.”

Ungar ergänzt: “Die Zähne scheinen einem Tier zu gehören, das in Wäldern vorkommende Nahrungsmittel nutzte”. Diese Art der Nahrungsaufnahme unterscheidet sich von der Nahrungsaufnahme anderer Australopithecinen. “Wenn man sich die chemische Zusammensetzung der Zähne betrachtet, ähnelt diese eher der von Zähnen einer Giraffe. Viele der anderen Tiere dort ernährten sich nicht von Nahrungsstoffen aus Wäldern.”

“Die Ergebnisse der Studie erzählen eine wirklich schöne Geschichte über diese beiden Individuen”, sagt Ungar. Berger ergänzt: “Einen direkten Beleg davon zu haben, was unsere frühen menschlichen Vorfahren in ihre Münder steckten und kauten und dass Spuren davon nach zwei Millionen Jahren noch erhalten sind, ist wirklich bemerkenswert.”

Lee Berger von der University of the Witwatersrand leitete das Projekt. Amanda Henry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Marion Bamford von der University of the Witwatersrand und Lloyd Rossouw vom National Museum Bloemfontein in Südafrika untersuchten die Phytolithen. Peter Ungar analysierte winzigste Abnutzungsspuren an den Zähnen. Benjamin Passey von der Johns Hopkins University, Matt Sponheimer und Paul Sandberg von der University of Colorado in Boulder, USA, und Darryl de Ruiter von Texas A&M führten die Isotopenanalyse durch.

Quelle: Sandra Jacob, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

www.eva.mpg.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar