2010 trat das Leipziger Forscher-Team um Svante Pääbo erstmals an die Öffentlichkeit mit der Meldung, sie hätten aus einem winzigen Teil eines fossilen Fingerknochens aus der Denisova-Höhle in Südsibirien eine (vorläufige) Fassung des Genoms erstellt. Immerhin ein heißes Eisen: Es war das Genom eines dritten Vertreters der Menschheit.

Den DNA-Sequenzen zufolge gehört dieser Knochen der Vertreterin einer zuvor unbekannten ausgestorbenen Menschenform, jetzt als Denisova-Menschen bekannt. Zusammen mit den Neandertalern sind die Denisova-Menschen die nächsten ausgestorbenen Verwandten der heute lebenden Menschen.

Das Leipziger Forscherteam hat nun neue hochempfindliche Techniken entwickelt, die ihnen ermöglichten, jede Base innerhalb des Denisova-Genoms etwa 30 Mal zu lesen. Die dafür benötigte DNA wurde aus weniger als 10 Milligramm des Fingerknochens gewonnen. Im Gegensatz dazu war in der 2010 veröffentlichten Version jede Position im Durchschnitt nur etwa zweimal sequenziert worden.

Dieser Auflösungsgrad reichte zwar damals aus, um die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Denisova, Neandertalern und modernen Menschen zu ermitteln, nicht jedoch, um die Evolution spezifischer Teile des Genoms genauer zu erforschen. Seitdem freuen sich zwar die Forscher über die Erkenntnis, dass es wohl auch einen dritten Weg der Menschheitsentwicklung gab. Aber wie sah er im Detail aus?

Die nun vollständige Version des Genoms ermögliche es, so teilt das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie mit, selbst die winzigen Unterschiede zwischen den Genkopien, welche dieses Individuum von seinem Vater beziehungsweise von seiner Mutter erbte, zu unterscheiden.Am heutigen Mittwoch, 8. Februar, will das Leipziger Forscherteam die gesamte Genomsequenz des Denisova-Menschen der Wissenschaftsgemeinschaft über das Internet zugänglich machen.

“Das Genom ist von sehr hoher Qualität”, sagt Matthias Meyer, der die Technologie entwickelte, die diese technische Errungenschaft erst ermöglichte. “Wir decken alle nicht-repetitiven Bereiche des Denisova-Genoms so viele Male ab, dass dieses Genom weniger Fehler enthält als die meisten bislang sequenzierten Genome heute lebender Menschen”.

Das Denisova-Genom ist das erste in so hoher Qualität vorliegende komplette Genom einer ausgestorbenen Menschenform und stellt – so schätzen die Leipziger Forscher ein – einen immensen Fortschritt in der genetischen Erforschung der menschlichen Evolution dar.

“Wir hoffen, dass Biologen dieses Genom nutzen werden, um genetische Veränderungen aufzuspüren, die für die Entwicklung moderner menschlicher Kultur und Technologie wichtig waren und die es dem modernen Menschen ermöglichten, vor etwa 100.000 Jahren in kurzer Zeit von Afrika ausgehend die gesamte Welt zu besiedeln”, sagt Svante Pääbo. Die Forscher gehen davon aus, dass das Genom auch neue Aspekte der Geschichte von Denisova-Menschen und Neandertalern offenlegen wird.

Die Leipziger Forschergruppe will noch in diesem Jahr auch eine nähere Beschreibung des Denisova-Genoms veröffentlichen. “Wir möchten das Denisova-Genom aber bereits jetzt für alle frei zugänglich machen”, sagt Pääbo. “Wir glauben, dass es vielen Wissenschaftlern für ihre Forschung Nutzen bringen wird”.

Das Projekt wurde von der Max-Planck-Gesellschaft finanziert und ist Teil der fast 30 Jahre umfassenden Forschungsarbeiten der Gruppe von Svante Pääbo auf dem Gebiet der alten DNA. Der Fingerknochen wurde 2008 von den Professoren der Russischen Akademie der Wissenschaften Anatoly Derevianko und Michail Shunkov während Ausgrabungsarbeiten in der Denisova-Höhle entdeckt. Die Denisova-Höhle ist eine einzigartige archäologische Fundstätte, die wahrscheinlich bereits vor etwa 280.000 Jahren von Menschen bewohnt wurde. Der Fingerknochen wurde in einer Schicht gefunden, die auf ein Alter von 50.000 bis 30.000 Jahre datiert wurde.

Das Denisova-Genom kann eingesehen werden unter: www.eva.mpg.de/denisova/

Als öffentlicher Datensatz in Amazon Web Services (AWS): http://aws.amazon.com/datasets/2357

www.eva.mpg.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar