Etliche Medien und Meinungsführer glauben immer noch, im Osten hätte man über 40 Jahre lang nur „Tote Oma“ und „Nudeln mit Tomatensoße“ gegessen. Und die Ostdeutschen würden das tatsächlich bis heute jeden Tag auf ihre Teller klatschen. Es gehört zu den vielen falschen Bildern vom Osten, mit denen faule Leute an Schreibtischen ihre alten Stereotype hätscheln. Statt sich endlich mal ein Deutschlandticket zu besorgen und loszufahren in die ganzen kulinarischen Ecken des Ostens. Zum Beispiel in den Spreewald.
So wie es Torsten Kleinschmidt hier tut im mittlerweile zwölften Band der „Besten Rezepte“ aus dem Buchverlag für die Frau. Da gibt es natürlich auch einen Band, in dem Herbert Frauenberger den Einfallsreichtum ostdeutscher Küchen sichtbar macht.
Aber spannend wird die ostdeutsche Küchenvielfalt tatsächlich erst, wenn man die regionalen Küchen erkundet. Möglichst mit Besuch vor Ort und einer Neugier auf Land, Leute und Sehenswürdigkeiten. Denn das gehört alles zusammen. Küchen haben Geschichte. Auch die Spreewaldküche, die aus ganz natürlichen Gründen für viele Fischgerichte, Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl und natürlich eine Vielfalt von Gurken bekannt ist.
Die Pellkartoffeln mit Quark gelten sogar als „Spreewald-Nationalgericht“, wie Kleinschmidt feststellt. Wobei es natürlich kein Politiker war, der das festgelegt hat. Sondern eigentlich die blanke Not, wie das oft so ist mit „Nationalgerichten“. In diesem Fall war es die von Friedrich II. in Preußen heimisch gemachte Kartoffel, die auch im Spreewald viele Ernährungsprobleme löste.
Die Herkunft der Gurken und ein Wanderer aus Berlin
Wie karg es sich in früheren Zeiten auch hier lebte, macht Kleinschmidt unter anderem im Kapitel zur „Spreewälder Speisekammer“ deutlich. Bis weit ins 18. Jahrhundert – so erzählt er – fand man in diesen Vorratskammern vor allem Getreide, getrocknete Linsen, Erbsen- und Bohnenkerne, eingelegtes Sauerkraut, Trockenfrüchte und vielleicht noch ein Stück Räucherspeck. Im Winter war Schmalkost angesagt.
Als sich im 16. Jahrhundert holländische Tuchmacher hier ansiedelten, kamen auch sie nicht auf einen grünen Zweig. Aber sie hatten Gurkensamen mitgebracht und begründeten damit die Gurkentradition im Spreewald, der damit die nahe preußische Hauptstadt Berlin belieferte.
Von wo sich dann im Jahr 1859 ein Journalist auf die Füße machte, der für seine „Wanderungen“ später weltberühmt wurde: Theodor Fontane. Mit zwei Freunden hatte er sich in der Nachtpostkutsche Richtung Lübben auf den Weg gemacht. Und mit seinen Berichten für die „Neue Preußische Zeitung“ machte er die Berliner auf das schöne Stückchen Land und Wasser vor ihrer Haustür aufmerksam. Heute leben viele Spreewälder vom Tourismus.
Gaststätten direkt am Wasser laden ein mit der Vielfalt Spreewälder Gerichte, auf Spreewaldkähnen kann man das beschauliche Gewässernetz erkunden und in Orten wie Lehde landen, die noch heute von der alten Spreewald-Einsamkeit künden. Und wer es etwas sportlicher mag, der nutzt einen der ausgeschilderten Radwanderwge, die Kleinschmidt natürlich auch erwähnt. Genauso wie Fürst Pückler und sein berühmtes Eis, die Auerochsen und natürlich die Geschichte der Sorben bzw. Wenden, die hier noch immer leben und ihre alten Bräuche pflegen.
Von Aal bis Zwiebelsuppe
Man bekommt – wie in den „Besten Rezepten“ üblich – also auch einen kleinen Führer zu Land und Leuten. Und drin und drumherum über 80 Rezepte zu typischen Spreewaldgerichten. Von Aal grün bis Sorbische Zwiebelsuppe. Womit eigentlich schon der Rahmen abgesteckt ist. Fleischgerichte sind – anders als etwa in Harz und Erzgebirge – deutlich in der Unterzahl. Dafür gibt es den frisch vorm Haus gefangenen Fisch, von dem auch schon Fontane schwärmte.
Und jede Menge Gemüse, wie es auf den fruchtbaren Böden im Spreewald wächst, alles wie vertraut in die vier Jahreszeiten sortiert. Und natürlich geht es mit Frühling und Osterfeuer los. Bis zum Erdbeer-Spargel-Salat ist es zwar noch eine Weile hin. Aber Knusprige Kartoffel-Gemüse-Puffer kann man sich an frischen Apriltagen schon genauso auf den Teller packen wie Würzige Krapfenbällchen.
Wer mag, kann auch die sorbische Kunst des Eierbemalens und den Brauch des Waleiens ausprobieren oder neugierig in den Spreewald fahren, ob die Maibäume tatsächlich am 1. Mai stehen oder von Rüpeln aus der Nachbarschaft umgesägt wurden. Im Sommer, wenn man dann viel in Bewegung ist – wandernd wie Theodor Fontane oder auf der Suche nach dem Schlangenkönig am Schloss Lübbenau – darf es dann durchaus herzhafter sein, mit Blumenkohl-Steaks, Hecht-Buletten, Schüsselsülze oder süß-saurer Kartoffel-Gurkensuppe.
Und auch wenn es an den Nachmittagskaffee geht, wird man im Spreewald nicht darben, mit Streuselkuchen, Rhabarberkuchen oder Spreewälder Quarkkuchen. Eindeutig: So karg wie noch im 18. Jahrhundert ist die Spreewälder Küche schon lange nicht mehr. Wenn auch fein abgestimmt auf die Zutaten, die hier tatsächlich in Fülle wachsen, auf den Inseln weiden oder im Wasser schwimmen.
Und den tröstlichen Satz für alle, die gerade keine Zeit haben, in den Spreewald zu fahren, hat Torsten Kleinschmidt auch parat: Man kann sich das alles auch in der heimischen Küche zubereiten und dabei vom Spreewald träumen.
Torsten Kleinschmidt „Die besten Rezepte aus dem Spreewald“ Buchverlag für die Frau, Leipzig 2025, 12,95 Euro.
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