Wie geht man mit dem Erbe um, wenn man in den Hinterlassenschaften der Großeltern über Dokumente stolpert, die belegen, wie sehr sie in die NS-Ideologie verstrickt waren? Hilft da auch die Nüchternheit des Historikers, der die Vorgänge einfach nimmt, wie sie waren, ohne zu richten? Denn aus Geschichte lernt man ja nur, wenn man versteht, warum Menschen so handelten, wie sie gehandelt waren. Auch wenn es im Fall der Verlagsbuchhandlung Helene Schaufuß KG ein bisschen komplizierter war. Helene Schaufuß war die Großmutter von Thomas Schaufuß.

Und in den Prozess, den der heute in Berlin lebende Enkel hier behandelt, wurde sie verwickelt, als ein anderer Leipziger Verlag – die Sunnwend-Verlag GmbH – 1936 Klage wegen Urheberrechtsverletzung gegen die 1934 gegründete Verlag Helene Schaufuß KG anstrengte. Eine Klage, die durchaus hätte Aufsehen erregen können. Immerhin ging es um das „Horst-Wessel-Lied“, das im frühen NS-Regime geradezu zur zweiten Nationalhymne geworden war.

Geschrieben und 1929 veröffentlicht vom Berliner SA-Sturmmann Horst Wessel, der durch seinen Tod zum Märtyrer für das NS-Regime geworden war. Wer die Urheberrechte für dessen Lied für sich beanspruchen konnte, hätte ja eigentlich im Hitlerreich richtig gute Geschäfte machen können.

Das dachte sich nicht nur Helene Schaufuß. Das dachten sich nach einer vorsichtigen Zählung von Thomas Schaufuß damals mindestens 40 deutsche Verlage, die das Lied – mal mit, mal ohne Noten – in Büchern und auf Schallplatten veröffentlichten. Und das, ohne nach den Urheberrechten zu fragen.

Geschäfte machen mit einem SA-Lied?

Eigentlich logisch, dass sich die Angehörigen von Horst Wessel dachten, dass sie eigentlich Anspruch auf eine Beteiligung hatten, und deshalb mit dem Leipziger Sunnwend-Verlag Kontakt aufnahmen, den Gustav Groschwitz schon 1931 gegründet hatte. Und der Name sagt ja alles: Hier ging es vor allem um Nazi-Literatur und dazugehörige Tonaufnahmen. Und das Horst-Wessel-Lied gehörte auch hier zum Programm. Es ging also auch um einen Streit zweier Verlage, die beide mit dem zum nationalsozialistischen „Volkslied“ gewordenen Lied Geld verdienen wollten.

Und wahrscheinlich liegt Thomas Schaufuß nicht falsch in der Annahme, dass sich der Sunnwend-Verlag ganz bewusst den viel jüngeren Verlag von Helene Schaufuß ausguckte, um einen exemplarischen Urheberrechtsprozess anzustrengen. Da standen die Chancen besser, diesen Prozess zu gewinnen und damit auch zu klären, wer eigentlich die Urheberrechte innehatte und das Lied allein verwerten durfte. Mit der Familie von Horst Wessel im Hintergrund hätte das vielleicht klappen können.

Doch die Richter am Leipziger Landgericht sahen das anders und konnten weder im Lied noch in der aus alten Soldaten- und Marschliedern abgekupferten Melodie irgendeine originäre Urheberschaft entdecken. Aber Otto Gaumer, der Geschäftsführer des Sunnwind-Verlages gab nicht auf, zog auch vors Oberlandesgericht, das ebenfalls keinen schützenswerten künstlerischen Wert in Wessels Lied „Die Fahnen hoch …“ entdecken konnte.

Die Urteilsbegründung erzählt eigentlich alles, was man zur Qualität dieses Liedes wissen muss. Schaufuß aber nutzt natürlich auch die Gelegenheit, die Genese des Liedes zu erzählen – von den vielen Vorgängern in der Marsch- und Bänkel-Lieder-Dichtung über die konkurrierenden Versionen im linken Liedermilieu bis hin zu den Persiflagen auf diesen letztlich ziemlich simplen Text, bei dem man eigentlich nicht wirklich weiß, wer da eigentlich wen erschossen hat.

Urheberrecht und Maßnahmenstaat

Aber Gaumer wandte sich dann auch noch an die höchste Instanz – das Reichsgericht in Leipzig. Und das entschied dann ganz im Sinne des neuen Zeitgeistes und die Richter entdeckten in dem Lied eine ganz originäre Schöpfung im Sinne des kämpferischen Selbstverständnisses des Reiches. Ein Vorgang, der durchaus von Opportunismus und Anpassung zeugt. Und von etwas, was Schaufuß besonders beleuchtet: Wie sich die Machtinstanzen im „Dritten Reich“ austarierten und konkurrierten.

Und wo eigentlich nach wie vor gültige wirtschaftsrechtliche Regelungen (wie das Urheberrecht) zwar weiter galten, aber gerade da, wo es um zentrale faschistische Medieninhalte ging, direkt mit dem Maßnahmenstaat kollidierten. Und so ein Fall liegt hier wohl vor: Der oberste Propagandachef des NS-Reiches, Joseph Goebbels, muss sich an diesem Punkt eingeschaltet haben, die Prozessakten aus dem Verkehr gezogen haben und jede Berichterstattung über den Prozess untersagt haben.

Für den Verlag Helene Schaufuß KG war ex trotzdem das Ende. Er ging in Konkurs. Ein Schicksal, dem etwas später auch der Sunnwind-Verlag folgte. Nicht unbedingt nur durch die Prozesskosten bedingt, sondern auch durch eine veränderte Marktlage. Die Zeit, in der man mit einem Sammelsurium an NS-Medien gute Geschäfte machen konnte, waren vorbei. Und das „Horst-Wessel-Lied“ wurde von Goebbels sowieso in aller Stille aus dem Verkehr gezogen. Es passte nicht mehr zum etablierten NS-Staat.

Aber der Fall ist – so Thomas Schaufuß – exemplarisch für eine historische Dispositivanalyse nach Michel Foucault. Denn danach ist Macht immer etwas Dynamisches und produziert ihre eigenen Konflikte und Widersprüche. Auch in einem autoritären Staat ist Macht nicht nur an einem Punkt platziert, sondern verschiedene Machtansprüche geraten in Konflikte und ergeben dann im Ergebnis ein oft geradezu chaotisches Bild.

Denn um das Urheberrecht auszuhebeln, hatte Goebbels das „Horst-Wessel-Lied“ einfach zum Eigentum der „Bewegung“ erklärt. Und indem er dem Gericht die Akten entzog, wurde auch ein endgültiges Urteil im Prozess verhindert.

Ein Blick in alte Adressbücher

Was dabei ein bisschen ins Hintertreffen gerät, ist natürlich das Schicksal von Helene Schaufuß, für die die Insolvenz ihres Verlages ja eine Katastrophe gewesen sein muss. Aber der Blick in die Leipziger Adressbücher zeigt, dass zwar Helene mit ihrem Namen für den Verlag stand und ihr Mann Rudolf Geschäftsführer war. Aber während Helene den Verlag verantwortete, ist Rudolf Schaufuß für 1934 als Verlagsbuchhändler in der Luisenstraße 19 in Volkmarsdorf verzeichnet.

Und die Buchhandlung betrieb er auch noch nach der Insolvenz der Helene Schaufuß KG und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg. Da hieß die Straße dann Mottelerstraße. Heute ist das die Hildegardstraße. Nur ist von einer Buchhandlung nichts mehr zu sehen. Das alte Volkmarsdorf ist hier völlig verschwunden und ein Parkplatz erinnert nicht mal ansatzweise daran, dass hier mal eine Buchhandlung gewesen sein könnte.

Thomas Schaufuß geht recht kritisch mit seinen Großeltern um. Zu Helene schreibt er: „Wie die meisten Deutschen erkannte sie nicht rechtzeitig die Ziele des Faschismus mit seinen Eckpfeilern Extremismus und Größenwahn.“ Aber vielleicht ist die Geschichte seiner Großeltern für etwas ganz anderes exemplarisch: für die Anpassungsbereitschaft vieler Menschen an ein Regime und seine Werte, in dem sie irgendwie vielleicht sogar auf einen grünen Zweig würden kommen können.

Medienpolitik im NS-Reich

Mit einem ganzen Katalog von Büchern und Schallplatten, die dem Geist des „Dritten Reiches“ huldigten. Die Titel veröffentlichte der Schaufuß-Verlag auch im Börsenblatt. Scheiterte der Verlag tatsächlich nur am verlorenen Urheberrechtsprozess? Oder gruben sich all die Verlage, die mit NS-Text- und Liedgut meinten, riesige Geschäfte machen zu können, gegenseitig das Wasser ab? Die Frage muss offen bleiben. Das könnten vielleicht nur die persönlichen Dokumente von Helene und Rudolf Schaufuß verraten.

Aber so nebenbei zeigt das Buch eben mit zwei Verlagen auch ein wenig von der Szenerie Leipziger Verlage in der NS-Zeit, die für gewöhnlich beim Thema Buchstadt nicht beleuchtet wird. Samt einem Blick in die oft diffusen Rechtsverhältnisse im NS-Reich, in denen letztlich ein Propagandaminister einen Prozess abwürgt, der so überhaupt nicht in seine Medienpolitik passte.

Die Thomas Schaufuß übrigens auch ein wenig beleuchtet. Denn 1937 steht ja nicht nur für eine Stabilisierung des NS-Reiches. Es steht auch für eine deutliche Veränderung in der Medienlandschaft. Statt kämpferischer Apppelle waren nun Vergnügungen angesagt, um das Volk bei Laune zu halten. Denn wer sich vergnügt, stellt keine Fragen. Und schaut lieber weg, wenn ein Regime sich Stück für Stück auf einen großen Krieg vorbereitet.

Thomas Schaufuß „Der Gerichtsprozess um die Urheberrechte des Horst-Wessel-Liedes 1936“ Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2024, 22 Euro.

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