„Lyrik ist ein Ort. Der Ort, an dem Unsägliches ausgesprochen werden kann, an dem versucht wird, das Unsagbare in Worte zu fassen“, schreiben die Herausgeber Hubert Klöpfer und Thomas Weiß im Vorwort zu diesem Gedichtband, in dem tatsächlich das geschieht, was Dichtung so wertvoll macht. Ein „sprachliches Wagnis“, ganz im Sinne Bert Brechts, dessen berühmtes Gedicht „An die Nachgeborenen“ auch im Titel zitiert wird. 1934/1938 entstanden, ist es heute so aktuell wie lange nicht. Als Mahnung. Und als Hoffnung.
Denn über Bäume kann und darf man durchaus reden. Auch heute noch. Vielleicht sogar heute gerade. Aber eben anders als vor dem Absturz der Deutschen in ihre schlimmste Diktatur. Genauso, wie auch nach Auschwitz noch Gedichte geschrieben werden müssen. Aber anders.
Denn das Geschehene ist nicht aus der Welt. Wir haben erlebt, wie leicht ein ganzes Land in das staatlich organisierte Verbrechen abstürzt und Menschenleben zu Nichts entwertet wurden. Es schimmert in vielen Gedichten der Autorinnen und Autoren auf, die auf Einladung des PEN-Zentrums Texte für diesen Band beigetragen haben, der zur Buchmesse vorgestellt werden wird.
Und wer ein Hosianna auf die Demokratie sucht, wird es in diesem Band nicht finden. Dichterinnen und Dichter wissen, dass ein Begriff wie Demokratie nur ein Abstraktum ist, das versucht, einen menschlichen Anspruch in die gesellschaftliche Dimension zu übersetzen. Da geht es dann nicht um Volksherrschaft, sondern um das Wahrgenommen-Werden als leidensfähiger Mensch. Damit ein uraltes Thema der Dichtung. Es geht um Anstand, Würde, Ehrlichkeit, Güte und die Kraft, auch über das Schlimme zu sprechen und ihm zu widerstehen. Da können auch Bäume zum Sprechen gebracht werden über die verschwiegenen Untaten.
Und so wird man auch keine Parolen, keine Propagandagedichte finden. Auch keine aus dem Häkelmustersatz „Ach, wie schön ist Demokratie!“
„Besorgnis“, „Widerspruch“ und „Utopie“
Dichter wissen, dass das Gemeinsame erst entstehen kann, wenn Menschen einander resepektieren und den Reichtum der Welt auch wahrnehmen. Sie ackern auf dem Feld, das die lauten Polterer mit ihren Reden und Phrasen zuschütten. Und dazu gehört auch immer – seit Goethe und Hölderlin schon – die Sorge um das Gemeinsame, das Leben, den Frieden, die Kinder und die Zukunft. Brechtsche Themen. Bachmannsche Themen. Friedsche Themen. Und so haben die beiden Herausgeber auch die aus 300 Einsendungen ausgewählten Gedichte in diesem Band in Kapitel geordnet: „Besorgnis“, „Widerspruch“ und „Utopie“.
Womit eigentlich schon fast alles gesagt scheint. Würden sich die drei Themen dann nicht in den ausgewählten Texten in alle möglichen Richtungen entfalten. Denn zur Besorgnis gibt es jede Menge Anlässe – in der Vergangenheit und in der kriegszerrütteten Gegenwart.
Marlies Birkle findet die mahnende Vergangenheit in Buchenwald noch immer gewärtig, Ralf Burnicki erzählt fast beiläufig, wie das „damals“ begann, als die Stimmen der Demokratie Stück für Stück mundtot gemacht wurden. Und nicht nur Patricia Falkenburg erzählt vom „Dämon Angst“, der heute schon wieder das menschliche Miteinander verwüstet und die Menschen im Umgang miteinander verhärtet.
Die Erschütterung sitzt tief. Und wieder sind es die Dichterinnen und Dichter, die mahnen, die an das Gewissen und die Fähigkeit ihrer Mitmenschen appellieren, die Gefahr zu sehen, die in dieser Verhärtung heranwächst. Reicht das? Erreichen sie diese Verhärteten überhaupt?
Die Frage stand auch zu Brechts und Kästners Zeiten. Aber wer schreibt, der kann nicht anders. Der muss diese Angst benennen. Und an das Mitgefühl der Mitlesenden appellieren. Denn die Gefahr besteht, dass wir abstumpfen, erlahmen und ermüden, weil die Lauten und Rücksichtslosen keine Hemmungen kennen. Und dann stecken wir in der unheilvollen „Leere danach“, wie bei Matthias Politycki: „Nun sind wir müde / und können nicht mehr.“
Unermüdlicher Widerspruch
Aber auch das muss benannt sein. Denn wer es nicht ausspricht, weckt auch bei den Mitleidenden keine Reaktion. Denn wenn man gemeinsam zum Erhalt des Menschlichen kämpfen will, dann muss man einander ermuntern und ermutigen. Darum geht es im Grunde auch in dieser Sammlung, in der ganz bewusst nach all den Befürchtungen der „Widerspruch“ gesetzt ist.
Denn Dichter müssen nicht gehorchen, können sich dem Hass und der Härte ganz bewusst verweigern. Und so auch an die Freundlichkeit ihrer Leserinnen appellieren. „Unermüdlich“, wie es auch hier einem Gedicht von Brecht entnommen ist, der aus eigener Erfahrung nur zu gut wusste, wie einen das herunterziehen konnte, wenn alle Aufrufe an ein Menschlich-Bleiben scheinbar unerhört verhallen.
Und so beschwört Marlies Blauth die Leisen, die da „singen von Hoffnung“. Sylvia von Keyserlinck beschwört ihre ganze Familiengeschichte und die Vielzahl der Länder, aus der all ihre Vorfahren kamen – als Widerspruch zu den platten und dummen Plänen der neuen Faschismus-Partei, die von Remigration dröhnt. Ahnungslos, wie der Reichtum dieses Landes immer aus Zuwanderung aus allen Himmelsrichtungen erwuchs.
Jakob Leiner setzt den Leuten, die sich „von verfaulten Herzen nähren“, den Vers entgegen: „Freiheit ist nämlich flügge geworden.“ Etwas, was man tausendmal wagen kann – „mit einem Zwitschern im Gesicht“. Und Jochen Weber besingt in „yin und yang“ gerade das Wunderbare daran, dass man überhaupt nicht normal sein muss. Weil das Auffallen unter lauter Normalen eigentlich das Normale ist. Man muss nur den Mumm haben, das für sich zu begreifen und zu leben.
Lass uns über Bäume sprechen
Und so geht es im Kapitel „Utopie“ gleich los, wenn Ramona Ambs ruft: „Komm lass uns / über Bäume sprechen / mitten im heutigen Kalt“. Und Sibylle Hoffmann begleitet den „Schrank meiner Mütter“ durch zwei Jahrhunderte.
Und wünscht sich, dass dieser Schrank auch noch Schwiegertochter und Enkelinnen Glück bringt. Verbunden mit der leisen Befürchtung, der Schrank müsste – wieder einmal – helfen, einen Krieg zu überstehen. Die Angst ist also nicht weg. Denn sie hängt damit zusammen, dass die Demokratie einen Bruder hat – den Frieden. Und dass die Zerstörung der Demokratie nun einmal Krieg bedeutet. Nichts anderes.
Das sieht man vor lauter Schlagzeilen oft nicht. Und vor lauter Kaltherzigkeit. Dass Demokratie auch ein zutiefst menschlicher Versuch ist, das Glück der Menschen zu sichern und zu verteidigen gegen die Kaltherzigkeit. Und daran haben alle Teil, die sie erhalten und reparieren. Der Bursche, der die Regenbogenflagge um seine Schultern legt, genauso wie der Klempner in Norbert Hummelts Gedicht „dichtung“, der seinen Schiller noch aus dem ff. beherrscht.
Mit jedem Gedicht verändert sich die Sicht auf die Welt. Und damit auch das, was einen fremd ist, wenn man seinen Standort nie verändert. „um uns zu verstehen, müssen wir / nicht alles voneinander wissen: / Neugier schürt das Begehren“, schreibt Chandal Nasser in ihrem Gedicht „was Liebe erduldet“.
Zeit für Zeitgedichte
Denn darum geht es letztendlich: Dichterinnen und Dichter sind neugierig, drehen jeden Stein um, schauen hinter die Vorhänge und aus dem Fenster. Sie können sentimental sein, nachdenklich, ironisch, sarkastisch, verblüfft usw. Was daraus entsteht, ist im besten Sinn – ganz nach Goethe – ein Zeitgedicht. Ein der Zeit verbundenes Gedicht, das die Zeit beleuchtet und aus ihr heraustritt.
Ein Thema, dem sich dann in einem abschließenden Essay Gerd Ueding widmet, der gleich mal bei Walt Whitman ansetzt: „Dich singe ich, Demokratie“. So lange ist das also schon Thema und wird nicht aufhören, Thema zu sein, solange dieses fragile Gespinst Demokratie angegriffen, zerredet, bedroht und verächtlich gemacht wird. Denn die Dichter wissen: Das trifft das verletzliche Menschliche, das geht an jedes menschliche Hoffen und Sorgen. Und die Dichter können gar nicht deutlich genug davon reden, wie groß die Bedrohung ist. Und wie wertvoll das, was wir zu verlieren drohen.
Hubert Klöpfer, Thomas Weiß „Gespräche über Bäume. Gedichte zur Demokratie“ Körner Edition Klöpfer, Stuttgart 2025, 22 Euro.
Termintipp: Der Herausgeber Thomas Weiß wird die Anthologie „Gespräche über Bäume“ auch im Rahmen der Leipziger Buchmesse vorstellen.
Donnerstag, der 27. März, 20.30 Uhrnim Alten Rathaus, Grüner Salon
Samstag, der 29. März, 15.30 Uhr auf dem Messegelände, PEN-Stand Halle 5, Stand G505
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