Drei deutsche Bundesländer führen den Namen Sachsen im Namen. Alle drei mit guten Gründen, die irgendwo in der Geschichte ihre Wurzeln haben. Aber was bezeichnete der Name tatsächlich? Und warum beschäftigte das im Jahr 2023 ausgerechnet die Historische Kommission für Sachsen-Anhalt so besonders, dass die Suche nach dem Ursprung des Namens eine ganze Tagung zur Folge hatte, auf der namhafte Historiker/-innen mit der Wünschelrute durch die fassbaren Belege gingen? Die Beiträge dieser Tagung sind alle in diesem dicken Band versammelt.
Und wer sich schon immer mal mit der Knobelaufgabe beschäftigt hat, wird hier zu seiner Freude erfahren, dass auch die Historikergemeinde noch allemal knobelt und rätselt und natürlich alles, was so gängig ist, infrage stellt. So wie die Herkunft des Namens der Sachsen.
Denn wie wir heute wissen, ist so manches, was sich die Gelehrten des späten Mittelalters dachten über die Ursprünge von Land und Leuten, zwar gut erfunden, aber in der Regel falsch. So wie die vielen Herkunftslegenden der Sachsen mal aus Norwegen, mal aus Dänemark, mal aus den verbliebenen Truppen Alexanders des Großen, die auf wilden Irrfahrten gleich Odysseus mit den Resten ihrer Flotte an der Ostsee anlandeten.
Es war eine Zeit, als sich quasi jedes Herrscherhaus eine solche Legende ausdenken ließ, um sich irgendwo in einem richtig alten Stammbaum zu verorten – die einen bei Alexander dem Großen, die anderen bei den Römern und damit den Trojanern. Wissenschaftlich war das alles nicht. Und auch die Frage, ob nun ausgerechnet das germanische Kurzschwert Sax den Namen für die Sachsen hergab, ist nicht belegt.
Aber zumindest wahrscheinlicher als die makedonische Variante. Denn da die Urkunden und Chroniken fehlen, weiß ja niemand, was die Sachsen eigentlich ursprünglich darstellten. Einen Stamm? Einen Stammesverband – also letztlich einen Zusammenschluss mehrerer Stämme, als es darum ging, ein paar Schlachten zu schlagen? Zum Beispiel nach Britannien überzusetzen und dort ein paar neue Königreiche zu gründen?
Sächsische Räume
Was vereinte dann diese Stämme? Und wo genau lebten sie, als sie im 4. Jahrhundert zum ersten Mal begannen, aus dem Dunkel der Geschichte herauszutreten? Darüber gibt es – die Beiträge blättern es in aller Schönheit auf – jede Menge Theorien. Wirklich greifbar werden sie erst unter Karl dem Großen, der viele Jahre brauchte, um die Sachsen in den Sachsenkriegen zu besiegen und seinem Frankenreich einzuverleiben.
Da ist man schon in jenem Gebiet, das nach dem Wweiten Weltkrieg den Namen Niedersachsen bekam. Obwohl der Name hier jahrhundertelang gar nicht mehr verwendet wurde. Und auch gar nicht das ganze alte Stammesgebiet mit Westfalen, Engern und Ostfalen zu Niedersachsen kam.
Westfalen verleibte sich das neue Bundesland NRW ein. Und Ostfalen erstreckte sich zum großen Teil über das heutige nördliche Sachsen-Anhalt. Mit alten sächsische Städten wie Magdeburg und Halberstadt. Da ist man schon mittendrin in der deutschen Geschichte, in der deutsche Herzöge von Anfang an eine wichtige Rolle spielten. Die Ottonen als erste deutsche Könige und Kaiser mittendrin. Zu ihrer Zeit war der Raum um Magdeburg das Zentrum des ostfränkischen Reiches. Und bis weit in die Neuzeit verstanden sich die hier lebenden Menschen auch tatsächlich als Sachsen. Im ganz ursprünglichen Sinn.
Und hier lag auch jenes (Rest-)Herzogtum, das direkt mit der sächsischen Kurwürde verbunden war. Ziemlich in Randlage zum ursprünglichen Herzogtum Sachsen, das seinen Mittelpunkt in Braunschweig und Lüneburg hatte. Mit der Entmachtung Heinrichs des Löwen 1180 aber wanderte der Herzogtitel zu den Askaniern im heutigen Sachsen-Anhalt und nach dem Aussterben der Linie Sachsen-Wittenberg 1423 zu den Wettinern.
Das klingt alles ganz einfach. Aber damit wurden die Einwohner der Markgrafschaft Meißen noch nicht automatisch zu Sachsen. Dem spüren mehrere Beiträge nach, die sich mit alten Urkunden, Landkarten, Genealogien, Wappen und Titeln beschäftigen. Selbst die alte Behauptung, spätestens im 16. Jahrhundert sei in Obersachsen so eine Art sächsisches Selbstbewusstsein entstanden, scheint nicht zu stimmen, eher Wunsch gewesen zu sein als gelebte Realität.
Ein Titel macht noch keinen Sachsen
Was mehre Beiträge sehr feinfühlig untersuchen. Denn mit der Übernahme der Kurfürstenwürde titulierten sich die Wettiner zwar fortan als sächsische Kurfürsten. Aber noch galten die mittelalterlichen Sichtweisen auf Macht, definierten sich die Fürsten über ihre Herrschaften. Aber das bedeutete nicht, dass damit auch gleich das ganze Herrschaftsgebiet als Sachsen begriffen wurde. Schon gar nicht von den Bewohnern, denen die Titulaturen ihrer Herren im besten Fall egal waren. Und auch die sächsische Kanzlei brauchte mehr als ein Jahrhundert, um tatsächlich vom Kurfürstentum Sachsen zu sprechen.
Was noch lange nicht bedeutete, dass das bei Autoren und Kartenmalern damals auch so verstanden wurde. Denn gerade im alten Stammesgebiet der Sachsen war das Bewusstsein, sächsisch zu sein und zu sprechen, noch lange Normalität. Wobei selbst die Sprache für neue Verwirrungen sorgt – man denke nur an Luther und den verkürzten Ausspruch, er habe sich die sächsische Kanzleisprache zum Vorbild genommen bei der Übersetzung der Bibel.
Also nicht einmal das, was die ganz gewöhnlichen Bewohner der Wettiner Fürstentümer sprachen. Wobei man in der Gegend von Wittenberg natürlich (nieder-)sächsisch sprach, in modernerer Definition also Niederdeutsch. Und der riesige Raum, in dem über Jahrhunderte Niederdeutsch gesprochen wurde, erzählt natürlich auch vom „Export“ einer Mundart durch die Ostexpansion des deutschen Reiches.
Das eigentliche Sächsisch findet man auch heute noch eher in den „plattdeutschen“ Varianten als im schönen Obersachsen, wo es durch die Ostexpansion zu einer regelrechten Mundartenverschmelzung gekommen ist, die aber wenig mit dem zu tun hat, was man so gern als Hochdeutsch versteht, das spätestens mit Luther und Gottsched begann, die Mundarten im Norden und Osten zu verdrängen. Was mit Handel und Herrschaft zu tun hat, aber auch mit Dichtung. Denn wer im zunehmend aufgeklärten deutschsprachigen Raum gelesen werden wollte, der schrieb Hochdeutsch.
Städtebund und Sachsenspiegel
Wer aber empfand sich eigentlich wann als Sachse? Wie prägten Herrscher das Eigenbild ihrer Untertanen? Oder waren die Selbstdefinitionen der Menschen viel stabiler als die wandelbaren Herrschaftsverhältnisse?
Eins jedenfalls wird deutlicher – wie sehr gerade das heutige (nördliche) Sachsen-Anhalt über Jahrhunderte als tatsächlicher Kern des „alten“ Sachsen begriffen wurde. Was auch mit der Rolle der großen Städte im sächsischen Städtebund zu tun hat, aber auch dem mit Magdeburg eng verknüpften sächsischen Stadtrecht (das über 1.000 Städte im Mittelalter annahmen). Aber damit auch mit jenem fleißigen Eike von Repgow, der mit dem „Sachsenspiegel“ das „sächsische“ Landrecht seiner Zeit verschriftlichte.
Auf einmal tut sich – Beitrag um Beitrag – eine ganze Palette völlig verschiedener Sichten auf das Sächsische auf, das manchmal viel mehr umfasste als nur die Umschreibung eines Territoriums oder einer Herrschaft. Das aber auch immer wieder eine durchaus nutzbare Klammer war, wenn die Gelehrten der Neuzeit versuchten, Landschaften und ihre Flora und Gesteine zu ordnen.
Was kein leichtes Unterfangen war. Denn wo wir heute gern von festumrissenen Landesgrenzen ausgehen, gab es diese im Mittelalter gar nicht, hatten Kartographen ihre liebe Not, fest umrissene Herrschaften auf ihre Karten zu bannen. Und sie werden damit ebenfalls als Akteure sichtbar, die unser heutiges Verständnis von Herrschaftsräumen illustrativ gestalteten. Und damit Raumbezüge herstellten, die die Bewohner des Mittelalters noch gar nicht kannten. Sie lebten in einer völlig anderen Vorstellungswelt.
Und auch was uns heute scheinbar so einfach mit der Zuordnung von Wappen gelingt, war im Mittelalter überhaupt nicht selbstverständlich.
Alles fließt
Umso eifriger aber schrieben selbst Gelehrte der frühen Neuzeit Herrschaftsbäume und Wappen bis in die Vorzeit zurück, verpassten selbst sagenhaften Urvätern der Fürstengeschlechter moderne Wappen. Und so wird der Sammelband für alle, die sich mit den verschlungene Wegen der sächsischen Geschichte(n) beschäftigen wollen, ein durchaus bunter und fluider Eindruck dieser Entwicklung.
Und er macht deutlich, wie sehr die Nutzung des Namens Sachsen auch immer ein Versuch war, Herrschaftsräume überhaupt zu definieren und eine Klammer zu finden für lauter divergierende Geschichten, die selten bis nie eindeutig waren. Oft ging es, wie die Herausgeber betonen , um „gezielte Identitätspolitik“. Motto: Der Name macht das Volk.
Und man darf sich durchaus auch an die verschlungenen Wege erinnern, wie die Deutschen zu ihrem Namen kamen. Und bis heute mit allerlei Verrenkungen versuchen zu erklären, was alles deutsch ist – und was nicht. Aber das nur am Rande.
Die vielen von den hier beitragenden Historikerinnen und Historikern genutzten Ansätze, dem Sächsischen in all seinen Spielarten beizukommen, zeigen im Grunde exemplarisch, wie sich „Landesidentitäten“ eigentlich erst in der frühen Neuzeit überhaupt erst auszubilden begannen und viele Hof-Historiker geradezu emsig daran arbeiteten, eine solche Identität von Land und Herrschaft überhaupt erst einmal zu definieren. Oder auch einfach zu erfinden, wenn das opportun erschien.
Und natürlich darf man sich mit den Vortragenden auch jedes Mal fragen, welches Sachsen eigentlich gemeint ist. Etwa auch im Namen Sachsen-Anhalt. Denn spätere Zuschreibungen haben oft frühere überschrieben. Etwa die preußische Provinz Sachsen, die Existenz der früheren askanischen Herzogtümer oder gar die Geschichte Ostfalens, das einst das Kernland der Ottonen war.
Ein bereichernder Band und einer, der wirklichen Geschichtsinteressierten richtig Spaß machen wird, weil er Beitrag um Beitrag zeigt, dass Geschichte niemals so eindeutig und linear passiert, wie sie die meisten Geschichtsbücher zu erzählen versuchen.
Enno Bünz, Henning Steinführer, Christoph Volkmar (Hrsg.) „Der Name Sachsen“ Mitteldeutscher Verlag, Halle 2025, 80 Euro
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