So ganz Unrecht hatte er ja nicht, als Helmut Kohl den Satz herausließ: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Denn was da herauskommt, ist Teil eines Kreislaufs, in dem wir leben. In dem nichts überflüssig ist. Und auch nichts einfach so im Nichts verschwindet. Im Gegenteil: Was als Fäkalsprache mittlerweile auch in unsere Parlamente spült, ist tatsächlich ein wertvoller Rohstoff. Und ein gefährlicher, wenn man an die Methanausscheidungen der heutigen Rinderhaltung denkt.
Es sagt sich so flapsig: „Ist ja alles Kacke.“ Aber mit diesem zweiten Goldeimer-Buch wird noch einmal deutlicher, dass man das Fortgespülte nicht verachten sollte.
Denn es fehlt natürlich irgendwo, wenn wir es einfach die Rohrleitungen hinunterjagen und dann vielleicht nicht – wie das immer noch weltweit geschieht – einfach in die Flüsse und Meere entsorgen, statt es auszufiltern und dann zu verbrennen. Denn es sind wichtige Düngestoffe, die auf den Feldern fehlen. Weshalb Unternehmen wie Goldeimer inzwischen Toilettenanlagen entwickeln, wo alles Abgeschiedene fein säuberlich getrennt gesammelt und in die Kreisläufe zurückgespeist wird.
In städtischen Kläranlagen ist das nicht so einfach. Auch dazu gibt e eine Karte. Sie wurden ja im 19. Jahrhundert entwickelt, weil die ungeklärt in die Gewässer geleiteten Ausscheidungen der Menschen für zahlreiche Epidemien verantwortlich waren. Kluge Ärzte und Forscher hatten damals genug zu tun, den Verantwortlichen klarzumachen, dass es selbst der simple Brunnen mitten in der Stadt sein konnte, der für immer neue Seuchen im selben Stadtgebiet verantwortlich war.
Gigantische Geschäfte
Es war ein langer Lernprozess. Und in vielen Staaten unserer Erde hat er noch nicht einmal zu dem Standard der geklärten Abwässer geführt, den Deutschland inzwischen hat. Obwohl auch hier bei Starkregenfällen die Kacke in die Flüsse fließt. Ungeklärt, weil die Anlage für diese Sturzfluten nicht ausgelegt sind. Wer also an Kacke denkt, muss auch an eine Zukunft denken, in der die so sinnvolle Abwassersysteme des 19. Jahrhunderts völlig überfordert sind.
Da wird auch die Mannschaft bei Katapult nur kurz gestöhnt haben, als die Truppe von Goldeimer zum zweiten Mal mit dem Wunsch antrabte, ein Buch über Fäkalien machen zu wollen. Mit 65 Karten drin. Oder 64. Denn wo die meisten Leute nur erleichtert stöhnen, wenn sie alles mit einem Knopfdruck in der Unterwelt verschwinden lassen, denken die einen an die Millionen Tonnen wertvoller Düngerstoffe, die da einfach verloren gehen.
Die nächsten denken an die Millionen Kubikmeter sauberen Trinkwassers, die da mit der Spülung in die Abwasserkanäle rauschen. Die nächsten denken an die armen Flüsse mit ihren Bewohnern, die bei Starkregen mit allem möglichen Zeug aus der Kanalisation geflutet werden (und jeder Menge Zeug, das einfach nicht in die Kloschüssel gehört). Und wieder andere denken an die ganzen Arznei- und Schwermetallrückstände, die da in die Gewässer gelangen.
Man merkt schnell: Unsere Notdurft ist ganz und gar kein kleines Thema. Es umspannt die Welt. Es hat seine lustigen Seiten – etwa wenn man die Kackeproduktion diverser Tiere in Karten packt oder wenn man ausrechnet, wieviele Cheops-Pyramiden alle Menschen auf der Erde so zusammenkacken. Aber schnell merkt man: Es geht um wertvolle Ressourcen – nicht nur um Wasser, das in vielen Weltgegenden längst knapp ist. Sondern auch um Energie und sinnlosen Müll, den gerade die Bewohner des wohlhabenden Nordens verursachen, etwa wenn sie gedankenlos die Kinder in Wegwerfwindeln stecken.
Der unheimliche Rest
Was die Autoren dann natürlich zu Fragen brachte wie der Bereitstellung von Wickeltischen in Kneipenklos. Ergebnis für diverse deutsche Städte: mager. Und wenn mal ein Wickeltisch da steht, dann nur in der Frauentoilette. Was dann schon einmal klärt, in welche Restaurants Frauen mit kleinen Kindern überhaupt mal gehen können. Alles hängt mit allem zusammen.
Selbst ein großes Musikfestival mit den Überlebenschancen der Aale – säuberlich demonstriert am Glastonbury Festival. Wir sind also nicht nur daheim auf dem stillen Örtchen sehr, sehr gedankenlos. Wir sind es überall. Und gerade da, wo es um unsere Reste geht – ganz zu schweigen von dem, was in diesen Resten so herumplempert – von Milliarden Bakterien und Viren angefangen bis hin zu ganzen Ladungen von Rauschmitteln, die in der freien Natur ebenso ihre fatalen Folgen zeitigen.
Und wer es nicht glaubt, wie sehr das Angebot öffentlicher Toiletten mit der Zahl sexueller Übergriffe zusammenhängt, bekommt dazu genau so eine Statistik wie die zu den Cholerafällen in der Welt, die direkt mit – fehlenden – Toiletten zu tun haben.
Dass das Thema der von unseren Fäkalien überlasteten Flüsse sogar mal olympische Dimensionen annehmen kann, zeigten ja die olympischen Spiele in Paris 2024, wo man vorher extra Milliarden in die Reinigung der Flusszuläufe investiert hatte, damit die Triathleten ihre Wettkämpfe auch im Fluss abhalten konnten. Es hat nicht ganz geklappt. Die Zahl der Kolibakterien war an den meisten Tagen zu hoch.
Das Projekt aber – so stellen die Autoren fest – ist zukunftsweisend. Denn die Seine ist nicht der einzige derart von Abwässern belastete Fluss in Westeuropa.
Dass die Zahl der Toiletten auch direkte Politik ist, zeigen die Statistiken zu Toiletten in Flüchtlingslagern. Das Buch macht so ganz nebenbei klar, dass der Umgang mit menschlichen Ausscheidungen eben schon lange kein lokales Problem mehr ist, sondern ein globales. Es erzählt von Armut und verlogenem Reichtum, von ungerechtem Ressourcenzugriff – auch von der Plünderung endlicher Ressourcen wie beim Phosphor.
Und eine mit vielen tiefroten Flecken gesprenkelte Karte erzählt davon, dass in Europa viele Gegenden künftig nicht nur mit Hochwasser rechnen müssen, sondern auch mit einem echten Wasserstressrisiko – also dem Versiegen der so dringend benötigten Wasserreserven. Und der Raum Leipzig gehört dazu – trotz der so schönen Auenlandschaft vor der Nase.
Das Ende ist nicht das Ende
Das Anliegen, nun also auch noch ein zweites Kacke-Buch zu machen, war also gar nicht so daneben. Im Gegenteil: Die Karten und Grafiken zeigen, dass auch die menschliche Notdurft längst ein globales Thema und ein mindestens regionales Problem ist. Noch eins, darf jeder stöhnen, dem einfache, lineare Zusammenhänge so viel lieber sind. So wie der lockere Griff zur Klospülung, mit dem man das Hingekackte einfach verschwinden lassen kann.
Aber in einer Welt wie der unseren verschwindet nichts so einfach. Die Folgen unsere Gedankenlosigkeit zeigen sich dann oft schon ein paar Kanalkilometer weiter, sorgen für Kosten und erzwingen neue Lösungen. Und ein anderes Denken über den Umgang mit dem, was wir da so herauslassen. Und das geht am Ende nicht nur die Techniker in den Klärwerken etwas an, sondern uns alle.
Denn eine kleine freundliche Grafik zeigt zwar nur den Kreislauf des Bieres. Aber das ist eben nur einer von unzähligen Kreisläufen der Stoffe, die am Ende wieder auf unserem Teller oder in unseren Gläsern landen. Man mag gar nicht dran denken. Aber irgendwie ist es auch gar nicht so doof, trotzdem dran zu denken.
Es schult unser Wissen über eine Welt, in der nichts wirklich verschwindet und wir tagtäglich mit den Folgen unserer vielen Gedankenlosigkeiten zu tun haben. Meist merken wir es gar nicht. Doch es wäre vielleicht nicht dumm, es trotzdem zu merken. Und in Kreisläufen zu denken, aus denen wir uns alle nicht herausnehmen können.
Goldeimer „65 Karten über Kacke“< Katapult Verlag, Greifswald 2025, 24 Euro.
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