Was der โ€žPostillonโ€œ kann, kann auch Katapult: sich einfach mal ein ehrwรผrdiges Alter zulegen, obwohl das Projekt noch blutjung ist. Neun Jahre oder zehn, was macht das schon? Bei Katapult in Greifswald dachte man sich: Da kรถnnen wir trotzdem feiern. Futter ist genug da, Schampus und Konfetti auch. Also sammeln wir erst mal lauter fetzige Geburtstagsgedanken unserer Leute ein, packen einen Berg bewรคhrter Grafiken dazu und packen das Ding dann den Leuten auf den Gabentisch. Gesagt, getan.

Pรผnktlich zur Buchmesse liegt โ€ž100 Jahre Katapultโ€œ an der Theke. Bunt wie gewohnt. Denn was das ganze Redaktionskollegium um Grรผnder und Herausgeber Benjamin Fredrich hier feiert, ist natรผrlich die schรถne Kunst der Karte, die der Katapult-Verlag zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Nicht nur, weil sich mit bunten Karten komplizierte Sachverhalte so gut darstellen lassen, sondern weil Karten auch SpaรŸ machen kรถnnen. Kein Buch ohne Augenzwinkern, kein Kartenwerk ohne Kinderstreiche.

Denn die Welt ist eben nicht nur bierernst oder staubtrocken, riecht nicht รผberall nach Schule und braucht auch nicht immer ein Ingenieurstudium. Eigentlich ist sie ein groรŸer Zufall, der hier am Rand der MilchstraรŸe auch eine Spezies mit besonders groรŸem Gehirn hervorgebracht hat, das diese Spezies aber โ€“ wie man bei Kurt Vonnegut (in โ€žGalapagosโ€œ) nachlesen kann โ€“ meistens zu allerlei Unfug, Blรถdsinn und richtig dummen Aktionen benutzt. Und sich dabei trotzdem noch geriert, als hรคtte man ernsthaft รผber den Quatsch nachgedacht, den man da gerade angerichtet hat.

Unter Clowns

Weshalb unsere Erde eben an vielen Stellen auch eher so aussieht, als hรคtten hier ein paar Clowns ein Sandkastenspiel gespielt und hinterher keine Lust mehr gehabt aufzurรคumen. Die menschliche Geschichte ist ein Chaos, bei dem der Zufall Wรผrfel geworfen hat. Aber eben oft auch ungerecht war. Denn die ganzen Spielzeuge haben in der Regel jene Raufbolde bekommen, die die anderen Kinder im Sandkasten immer nur getreten und gemobbt haben.

Weshalb so viele Lichter auf der Erde sich irgendwo in der Ecke tummeln, wo die Raufbolde wohnen, und andere Weltgegenden nur mit grauer Farbe angemalt werden kรถnnen. Viele Katapult-Leser werden manche Karte wiedererkennen.

Denn hier liegt so eine Art โ€žthe best ofโ€œ vor, manche aus dem Katapult-Magazin, andere aus den Bรผchern des Verlags, wieder andere von der aktuellen Website gemaust. Dahinter steckt immer dieselbe Truppe, die eigentlich eine Disziplin besonders ausgefeilt hat: Wie man die drรถgen Nachrichten aus dem Ticker mal anders, frecher und lebendiger vorzeigen kรถnnte. Nebst etlichen geografischen Seltsamkeiten, รผber die nur Leute stolpern kรถnnen, die nicht stur drauflosfahren, um anderer Leute Lรคnder zu besetzen.

Warum hat Moses 40 Jahre gebraucht fรผr eine Strecke, fรผr die ein rรผstiger Wanderer nur 145 Stunden braucht? Was sieht man eigentlich von ร„gypten, wenn man nachts darรผberfliegt? Oder wer findet den Druckfehler auf Seite 28?

Es geht ja den Menschen wie den Leuten: Am Ende rutschen einem die dollsten Dinge durch, wenn man schon glaubt, alles richtig gemacht zu haben. Meist ist das in dem Moment passiert, in dem einer eine Runde Schokokuchen oder saure Drops spendiert hat. Oder endlich einer die Kaffeemaschine neu befรผllt hat. Stรถrungen gibt es in jeder Redaktion immer viel zu viele. Auch selbst produzierte.

Krone der Schรถpfung

Da flucht dann nicht nur der Grafiker, der endlich das Tool gefunden hat, mit dem sich die Besiedelungsdichte in Europa so schรถn plastisch darstellen lรคsst. Oder in den USA oder in Deutschland. Da bekommt man so schรถne Bevรถlkerungsgebirge und kann nur hoffen, dass die Leute dort trotzdem nicht alle รผbereinander liegen, sondern noch Platz haben, sich durchs Gewรผhl zum nรคchsten Kiosk zu kรคmpfen.

Aber natรผrlich nutzen die Kartenmaler bei Katapult ihr Werkzeug auch dazu, Dinge augenfรคllig zu machen, die sich der gewรถhnliche Sterbliche nicht bildhaft vorstellen kann. Die Krรผmmung eines schmalen Landstrichs namens Chile etwa oder die Verbreitung Afrikanischer Elefanten, die Gefรคhrdung der europรคischen Kรผsten durch den steigenden Meeresspiegel aufgrund der Klimaerwรคrmung oder die Schรคden an der ukrainischen Infrastruktur anhand der nรคchtlichen Beleuchtung des Landes โ€“ vor dem Krieg und nun mitten im Krieg.

Denn natรผrlich ist auch โ€žKartenmalenโ€œ aktuell. Es zeigt auch, was Menschen anrichten. Gewollt oder ungewollt. Eine Doppelgrafik macht schรถn anschaulich, wie der Mensch auf die Natur schaut โ€“ und wie die Natur auf den Menschen schauen wรผrde, wenn sie das denn kรถnnte. Was manche Menschen nur zu gern vergessen, weil sie sich als โ€žKrone der Schรถpfungโ€œ verstehen. Aber auch eine Krone kann verloren gehen, wenn sie ihre 3 Kilogramm Hirnmasse nicht zum Denken benutzt.

Es gibt SpaรŸ-Karten und die bekannten โ€žLustige Ortsnamenโ€œ-Karten, Spiele mit Flaggen und Tieren im Wappen, Leuchtturm-Karte und internationale Schimpfwort-Karten. Also so ziemlich alles, was konservative bรผrgerliche Zeitungen auch nicht auf der letzten Seite verรถffentlichen wรผrden, weil sie glauben, Leser seien humorlose, verbitterte und gestrenge Leute, die bei jedem VerstoรŸ gegen das Reglement humorlose, verbitterte und gestrenge Leserbriefe schreiben. Und zwar direkt an den Chefredakteur. Und wenn sie den nicht mรถgen, an den Herausgeber.

Was dann zum Ergebnis hat, dass 99 Prozent des deutschen Journalismus vรถllig humorlos und lehrerhaft ausfallen. Und Zeitunglesen deshalb nicht wirklich SpaรŸ macht.

SpaรŸ fรผrs Auge

Dabei lernt man mit SpaรŸ besser. Das wissen begabte Lehrerinnen schon lange. Etwa bei der Frage, warum es im europรคischen Lรคndern verschiedene Spurweiten bei der Eisenbahn gibt oder warum ein Liter Mineralwasser 579 Mal klimaschรคdlicher ist als ein Liter Leitungswasser.

Oder wer eigentlich 1990 bis 1994 die ganzen von der Treuhand verscherbelten DDR-Betriebe gekauft hat. Oder wo es in Mitteleuropa wirklich ein dichtes Radwegenetz gibt โ€“ und wo nicht. Politische Konflikte wie um Taiwan oder die Westsahara lassen sich mit Karten genauso griffig darstellen wie das Potenzial von Wind und Solar auf der Welt, das die Befรผrworter fossiler Verbrennung so gern ignorieren und kleinreden.

Karten hauen einem das einfach bildlich um die Ohren. Da gibt es nichts zu deuteln. Erschrecken darf man trotzdem โ€“ etwa รผber die schon zubetonierte Flรคche auf Erden oder die fehlenden Zugรคnge zu sanitรคrer Grundversorgung natรผrlich zuallererst in den Lรคndern, die jetzt mit massiven Kรผrzungen der Entwicklungshilfe rechnen mรผssen.

Es ist ein Buch, das sozusagen Bauchgrummeln mit lustigen Entdeckungen verbindet. Und so manchen wieder freundlich stimmen dรผrfte, der aus der Schule eine tief sitzende Abneigung gegen geografische Karten mitgenommen hat. Und zugleich ist es eine Art Querschnitt durch zehn Jahre fleiรŸiger Kartengestaltung. Jetzt darf noch einmal gefeiert werden.

Denn dass auch die nรคchsten zehn Jahre lustig werden, kann einem ja keiner versprechen. Und auch die vergangenen waren nicht immer nur Sonnenschein, gibt Benjamin Fredrich zu. Aber vielleicht gibt es ja in zehn Jahren wieder ein Geburtstagsbuch. Man muss nur durchhalten und darf sich von den Eskapaden eines Burschen mit 3 Kilogramm Quatsch in der Birne (Vonnegut) nicht entmutigen lassen.

โ€ž100 Jahre Katapultโ€œ, Katapult Verlag, Greifswald 2025, 28 Euro

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