Dieser chinesische Philosoph liegt Michael Wittschier am Herzen. Deswegen hat er gleich zwei Bücher vorgelegt, die Meister Zhuang den deutschen Zeitgenossen nahebringen. Gerade deshalb, weil er aus der Perspektive der europäischen Rationalität scheinbar so unbegreiflich ist. Ist er aber nicht wirklich. Eher erzählen die Weisheiten dieses Philosophen, der vor 2.300 Jahren in China lebte, von etwas, was heutige Politiker scheinbar vergessen oder auch nie gelernt haben: Wie man Dinge in Bewegung bringt, ohne mit dem Holzhammer Schaden anzurichten.
Es ist vielleicht sogar kein Zufall, dass Zhuangzi seine Sicht auf die Welt zeitlich fast parallel zu den Denkern der Stoa in Griechenland entwickelte. Es gab zwar keine direkten Kontakte. Aber es war eine Phase der Zivilisationsentwicklung in Ost wie West, in der neue Technologien das Wirtschaften und Zusammenleben der Menschen prägten und veränderten.
Eine Zeit, in der sich auch die frühen Gedanken über das Herrschen, den Staat, das Machbarkeitsdenken der Menschen entwickelten. Und nicht nur in Europa entstand dabei das Selbstverständnis, man könne alles bewerkstelligen, was Menschengeist sich ausdenken kann. Im modernen Sinne formuliert: Der Glaube an die Wunder der Technologie wurde geboren, der längst auch Staat und Gesellschaft umfasst.
Und dann stellt einem Wittschier diesen chinesischen Philosophen vor, der mit seinen Aussagen geradezu alle vor den Kopf stößt, die überzeugt sind davon, dass man nur genug Kraft, Macht, Zeit und Geld einsetzen muss, dann könne man alles erreichen – egal, ob als disruptive Technologie, als rücksichtsloser Konzern oder als Staatsmann, der Politik betreibt wie eine Schlacht.
Unsere Welt ist so erfüllt von diesem Lärm der Macher (schöne Grüße an alle Plakatsprüche-Macher), dass man bei diesem stillen, freundlichen Meister Zhuang geradezu verwirrt ist. Einem Mann, der auch die Einladung, Premierminister eines Kaisers zu werden, ausschlug – mit Bildern, die eher verblüffen, weil sie direkt aus der Tierwelt stammen.
Das Gleichgewicht von Himmel und Erde
Hat er also einfach das Loblied der Faulheit gesungen, wenn er immer wieder betont, dass die Dinge geschehen, wenn man gar nichts tut? Nicht wirklich. Auch wenn man bei Zhuangzi viele Stellen findet, in denen er seine Zuhörer daran erinnert, dass der Mensch erst wieder zur Einheit mit seiner Welt kommt, wenn er Muße und Entspannung findet.
Also aufhört, irgendwelchen äußeren Zielen nachzujagen, was augenscheinlich schon im China seiner Zeit ein Problem war und die Menschen irre werden ließ am Sinn ihres Lebens. So ein bisschen dachten sie wohl auch schon wie die heutigen Menschen, die selbst ihre Freizeit zum Perfektionsmarathon machen, immerfort rotieren, flexibel und leistungsorientiert sind, auf Perfektion justiert – ohne zu merken, dass sie dabei sich selbst völlig verlieren.
Das hat Folgen. Wittschier zitiert Zhuangzi mit den Worten: „Daher heißt es Gelassenheit, Heiterkeit, Einsamkeit, Rückzug (innere) Leere, Nichtsein und Nichtstun – das ist das Gleichgewicht von Himmel und Erde, der Kern von Dao und Lebenskraft.“
Etwas, was viele Menschen nur finden, wenn sie sich wirklich mal auf eine ziellose Wanderschaft begeben, das Einssein suchen mit der Welt und sich selbst. Den selten gewordenen Moment von echter Sorglosigkeit. Wieder mit Zhuangzi gesprochen: „Der Weg entsteht, indem er gegangen wird.“
Was schon über den Moment des Einsseins hinausweist – nämlich darauf, wie Menschen Dinge tun und verändern können. Nicht durch einen großen Kraftakt und bedingungsloses Streben auf ein fernes Ziel hin. Sondern durch kleine Schritte, das Gehen des möglichen Weges. Ohne dabei Zerstörungen anzurichten, Gewalt auszuüben. Auch der lebenden Natur gegenüber nicht.
Ein Thema, das sich in erstaunlicher Breite in Zhuangzis Texten findet. „Keinen Schaden verursachen“ hat Wittschier das Kapitel überschrieben, in dem er Zhuangzis Sicht auf die lebendige Welt deutlich macht. Was nicht nur Tiere und Pflanzen betrifft – ja bekanntlich ein sehr heutiges Thema – sondern auch die Menschen und sich selbst.
Ein Punkt, an dem bei Zuhangzi die Gleich-Gültigkeit ins Spiel kommt. „Wenn du die zahllosen Lebewesen gleichermaßen in dein Herz schließt, wen nimmst du dann noch besonders unter deine Fittiche? Das wird als Unvoreingenommenheit bezeichnet.“
Gutes Regieren ist wie Pferdehüten
Es ist ein anderes Verhältnis zur Welt als jenes, das die Bewohner der Moderne für gewöhnlich haben, die alles auf sich beziehen und die Dinge, Tiere, Pflanzen und Landschaften danach bewerten, welchen Wert und Nutzen diese für sie haben. Ein Denken, das augenscheinlich schon im alten China dominierte – und das für Zhuangzi der direkte Weg in das Ungleichgewicht war, in die Zerstörung der Dinge, die uns leben lassen, sowieso.
Es ist, als betrachtete man mit Zhuangzi unsere heillos gewordene Gegenwart mit all ihren brachialen Zerstörern, Kraftmeiern, Marktbeherrschern und „Machern“. Und schüttelt mit ihm nur den Kopf: „Daher verursacht der große Mann mit dem, was er tut, keinen Schaden für andere, bildet sich nichts ein auf seine Menschlichkeit und seine Wohltaten.“
Es muss auch zu Zhuangzis Zeiten Typen wie Trump, Musk und Putin gegeben haben. Typen, die auch heute noch glauben, sie würden mit ihrem brachialen Agieren die Welt verändern, gar verbessern. Das macht sich in Nachrichten und Geschichtsbüchern immer gut. Heldengeschichten für Leichtgläubige und Dumme, die die Folgen dieses Agierens nicht begreifen. Und eins trifft zumindest zu: Das Agieren dieser Polterer sorgt für Aufmerksamkeit, alle starren wir gebannt auf diese Typen und die Schäden, die sie als Nächstes anrichten.
Aber muss man alles zerstören, wenn man die Welt verändern will? Genau das sieht Zhuangzi nicht so. Selbst den Regierenden seiner Zeit gibt er Ratschläge, wie wirklich gutes Regieren vor sich geht. „Regieren ist wie Pferdehüten“, greift Wittschier das Bild auf, das Zhuangzi dafür gefunden hat: „Den Staat zu regieren, worin unterscheidet es sich vom Pferdehüten? Man muss alles fernhalten, was den Pferden schadet – das ist alles.“
Gib dem Eigennutz keinen Raum
Der Einklang mit der Natur spiegelt sich im einsichtigen Regieren. „Entsprich den Lebewesen, so wie sie sind, und gib dem Eigennutz keinen Raum – so ist der Staat geordnet“, schreibt Zhuangzi. Man spürt schon beim Lesen, wie weit wir davon entfernt sind, dass weder der Einklang mit der Natur zu unserem heutigen Leben gehört, noch die Verbannung des Eigennutzes. Im Gegenteil: Eigennutz drängt sich überall auf, geriert sich als Eigenrecht und setzt sich rücksichtslos durch. Überall.
Man spürt mit Wittschier, wie fern wir nicht nur dem Weltverständnis eines Zhuangzi sind, sondern auch uns. Denn was der alte Meister da anspricht, ist etwas zutiefst Menschliches, an dem auch alle Technologie nichts ändern. Wir sind Teil der Natur. Und am glücklichsten sind wir, wenn wir im Einklang mit uns und der Welt sind. Was wir aber nur dann sind, wenn wir aufhören zu lärmen, zu rennen, zu wüten, zu schuften, Zielen nachzujagen, die gar nicht unsere eigenen sind. Und vor allem immerzu Schaden anrichten, indem wir andere verletzen, plagen, beiseite drängen.
Und vor allem: nie zur Ruhe kommen, das Nichtstun finden, in dem wir uns wieder als Teil einer lebendigen Welt empfinden können. Als Teil des großen Unfassbaren, das uns hervorgebracht hat. Und das auch noch da sein wird, wenn unser ganzes lärmendes Tun zu Ende ist. An einer Stelle findet Zhuangzi dafür das Bild von den Fischen im Fluss. So müsse man sich durchs Leben bewegen.
Und gerade weil er so viele Bilder bietet, die den Einklang mit der Natur beschreiben, wird deutlich, wie viel dieser Philosoph den Bewohnern der Moderne tatsächlich beibringen kann. Die ja nun einmal unter der permanenten Überforderung leiden und ihre Gefühle des Nicht-Geliebtseins in Aggression austoben. Arme Würstchen eigentlich. Die aber zumeist an den Hebeln der Macht sitzen und die Erde plündern, wo sie können, weil nichts sie bremst. Weil ihnen das Mit-Gefühl mit der lebendigen Welt völlig abhandengekommen ist.
Leben in Paradoxien
Und deshalb verblüffen auch Bilder bei Zhuangzi, der seinen Schülern immer wieder versuchte beizubringen, wie man leben sollte – mal wie eine Wachtel, mal wie die Kinder. Unvoreingenommen, neugierig und aufgeschlossen. Und im Sinne Zhuangzis: nutzlos. Ein Wort, das verstört, wenn man es mit den Maßstäben der Moderne betrachtet, wo wir immerfort darauf getrimmt werden, irgendwem nützlich, zu Nutzen zu sein. Sodass wir immerfort außer uns sind. Aber nie wie Zhuangzi einfach mal völlig nutzlos.
Was nicht ausschließt, dass viele Sprüche Zhuangzis widersprüchlich wirken, paradox geradezu. Aber gerade da merkt man, dass der Mann eben die Widersprüchlichkeit des Menschen nicht negiert hat. Auch seine eigene nicht, denn er wusste, dass er den Zustand völliger Nutzlosigkeit erst ganz am Ende finden würde. Vorher leben wir alle in Paradoxien.
Und müssen für uns selbst immer wieder aufs neue klären, was wir tun wollen. Und wie wir es tun wollen. Ob im Einklang mit uns und der Natur. Oder so, wie es auch zu Zhuangs Zeiten viele taten: indem sie Tiere, Pflanzen und Landschaften domestizierten, unterjochten, abrichteten. Und sich dann wunderten, dass sie mit sich selbst nicht glücklich wurden.
Und das alles ist noch immer so. Und für manche wird Wittschiers Buch ein sehr hilfreicher Einstieg sein in das Denken Zhuangzis. Oder gar in die von Viktor Kalinke herausgegebene Übersetzung des „Zhuangzi“.
Michael Wittschier „Zhuangzi besser verstehen“ Sisifo im Literaturverlag Leipzig, Leipzig 2025, 19,95 Euro.
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