Am 24. November wurde im Kunstmuseum Moritzburg in Halle eine Ausstellung eröffnet, die weit über Halle hinausstrahlt und eine Zeit erlebbar macht, in der die ganze Region in Bewegung geriet. 2025 erinnert das Land Sachsen-Anhalt zum Beispiel an die Bauernkriege unter der großen Überschrift „Gerechtigkeyt“. Es war das Zeitalter der Reformation, aber auch das einer kulturellen Blüte, bei der sich einige Wissenschaftler schwer tun, sie als Frührenaissance zu bezeichnen.
Insbesondere Leonhard Helten hat damit ganz offensichtlich seine Probleme, weil Renaissance ja eigentlich die „Wiedergeburt der Antike“ bedeute und eigentlich auch nur für Italien gelte. Dort wieder ist der Begriff Frührenaissance für das 15. Jahrhundert etabliert – quasi als Vorabend der Hochblüte, die dann mit Namen wie da Vinci, Botticelli, Raffael, Tizian oder Michelangelo verbunden ist. Und außerdem wäre eine direkte Rezeption der italienischen Renaissance so nicht nachweisbar. Zumindest klingt seine Argumentation so.
Geschenkt.
Denn dieser wirklich reich ausgestattete Katalog zur Austellung, die vom 24. November 2024 bis zum 2. März 2025 in der Moritzburg zu sehen ist, belegt tatsächlich, dass kein Begriff treffender ist für diese Epoche als der der Frührenaissance. Nur dass man sich das eben nicht wie eine simple Übernahme vorstellen darf, wie es etliche Historiker in der Vergangenheit sahen. So geschieht Geschichte nicht.
Ganz zu schweigen davon, dass die italienische Renaissance in großen Teilen eben mehr war als nur eine Wiederentdeckung der Antike und ihrer Kunst – letztlich etwas vollkommen Neues, das heute eben nicht dadurch fasziniert, dass man darin die Antike rezipiert sieht, sondern den Glanz der feudalen Welt (Nord-)Italiens mit ihren prächtigen Fürsten und dem Stolz reicher Städte, die ihren Reichtum in Mode, Kunst und Architektur sichtbar machten.
Drei Wettiner Fürsten
Der Katalog ist gespickt mit 41 Beiträgen, die jeder für sich scheinbar nur einen Aspekt, ein Detail aus der opulenten Sonderausstellung beleuchten. Aber schon die einleitenden Beiträge im Buch machen deutlich, dass damals – ungefähr von 1478 bis 1525 – im europäischen Norden ganz ähnliche Prozesse abliefen wie in Italien. Mächtige Fürsten entwickelten neue Formen der Repräsentanz, wetteiferten regelrecht miteinander und übernahmen dabei nur zu gern neue Formen und Moden auch aus Italien.
Europas Fürstentümer waren dabei wie kommunizierende Röhren und alles passierte praktisch parallel – in Wien, in Augsburg, in Nürnberg, in den Niederlanden, in den beiden wettinischen Fürstentümern und – damit beginnt hier die Geschichte – im Erzbistum Magdeburg, wo Ernst von Sachsen, der dritte Sohn des Kurfürsten Ernst von Sachsen, 1476 mit gerade einmal zwölf Jahren zum Erzbischof gewählt wurde.
Sein Vater Ernst ist bekannt durch die legendäre Leipziger Teilung von 1485, als die beiden Brüder Ernst und Albert das Kurfürstentum teilten und damit dafür sorgten, dass es künftig zwei Sachsen gab: das albertinische Herzogtum mit Meißen, Dresden und Leipzig, und das ernestinische Kurfürstentum mit Wittenberg, Torgau und Weimar. Und noch ein paar anderen Residenzen, die sich dann vor allem Friedrich III., genannt der Weise, ausbauen ließ, der ja bekanntlich 1502 auch seine eigene Universität in Wittenberg gründete und dann mit Martin Luther auch jenen Theologieprofessor berief, der mit seinem Thesenanschlag von 1517 die ganz und gar nicht mehr heile christliche Welt in Aufruhr versetzen würde.
Die Reformation wurde in den letzten Jahren schon mit mehreren eindrucksvollen Ausstellungen sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Sachsen und Thüringen gewürdigt. Da standen logischerweise Luther und seine Mitstreiter im Fokus und die Fürsten wurden in ihrer Beziehung zur Reformation gezeigt.
Ein Thema, das Thomas Bauer-Friedrich, dem Direktor des Kunstmuseums Moritzburg, besonders am Herzen lag, wurde dabei meist nur gestreift: die Prachtentfaltung an den Höfen dieser Zeit und die heute noch in Kirchen, Museen und Sammlungen sichtbare Revolution, die die Kunst in Mitteldeutschland damals erlebte. Verbunden nicht nur mit berühmten Malern wie Lucas Cranach d.Ä. oder Albrecht Dürer, sondern auch durch viele nicht so berühmte vertreten, manchmal auch namenlose Zunftgenossen, die ebenso anspruchsvolle Werkstätten unterhielten.
Die Schlösser der Fürsten
Einige dieser Künstler bekommen im Band eigene Beiträge – so wie Hans Schäufelein (der mit Dürer zusammenarbeitete), Hans Effelder, der Illustrator Georg Lemberger (der mit dem Drucker Melchior Lotter in Leipzig zusammenarbeitete) oder der „Meister der byzantinischen Madonna“. Es ist nicht nur Dürer, der hier für ein völlig neues Künstlerselbstbewusstsein steht, das sich gerade in dieser Zeit in Deutschland erst ausbildete. Fürsten holten sich ganz bewusst die besten Künstler ihrer Zeit an ihre Höfe, überhäuften sie mit Aufträgen, gaben ihnen die Ausgestaltungen von Kirchen und Schlössern zur Aufgabe.
Es ist keine Überraschung, wenn die Beiträge in diesem Band zunehmend in sächsische Richtung schwenken – an den Hof Friedrich des Weisen in Wittenberg und Torgau und den Georg des Bärtigen in Meißen und Dresden. Und zwangsläufig rücken einige der berühmtesten Bauten dieser Zeit in den Fokus – die Albrechtsburg genauso wie das Schloss zu Wittenberg und natürlich die Moritzburg selbst, deren Bau und prächtige Ausstattung meist nur mit Kardinal Albrecht von Brandenburg in Verbindung gebracht wird, dem Nachfolger von Ernst von Sachsen, der 1513 an der Syphilis starb.
Der aber eben auch den Grundstein zur Moritzburg legte, nachdem er 1478 den Zugang zur Stadt Halle erzwungen hatte und die aufmüpfigen Bürger unter seine Fuchtel gebracht hatte. Ernsts Rolle als Renaissance-Fürst wird nicht nur im Beitrag zur Baugeschichte der Moritzburg deutlich, sondern auch in einem Beitrag, der ihn als Kirchenfürst zeichnet, der sein Amt genauso prächtig auszugestalten wusste wie sein Bruder Friedrich der Weise.
Immerhin gehörte er zu den mächtigsten Fürsten im Reich, verfügte nicht nur über Halle, sondern auch über Halberstadt, Magdeburg und später auch noch Mainz. Und er lebte eben nicht das Leben eines Mönches, sondern das eines Fürsten, der auf Prachtentfaltung, Jagd und Feste nicht verzichtete. Und sich dabei wohl auch die aus Amerika eingeschleppte Syphilis zuzog.
Ein neues, schnelles Medium
Was möglicherweise ein Grund dafür ist, dass er schon zeitlebens mit Stiftungen für sein Seelenheil sorgte, die Dome in in Halberstadt und Magdeburg vollendete und im Magdeburger Dom eine Grabkapelle einrichten ließ – wo er dann auch seine letzte Ruhestätte fand. Auch seine Grabtumba wurde von einem der berühmtesten Künstler der Zeit gestaltet – Peter Vischer d.Ä. Auch hier unübersehbar der Sinn für höchstes Kunsthandwerk und eine Präsentation weit über den Tod hinaus.
Was eben auch ein neues Gefühl für menschliche Präsenz in der Welt deutlich macht: Die reichen Mäzene ließen sich bildlich selbst verewigen in den Arbeiten der besten Künstler ihrer Zeit – auf Gemälden, auf Grabplatten, auf Münzen und Medaillen und auch als Skulptur, so wie Friedrich der Weise, der sich von Hans Daucher als Betender darstellen ließ.
Heute bestaunt man alle diese Kunstwerke in Domen, Museen und Sonderausstellungen und übersieht dabei oft, dass hier ein völlig neues Selbstbewusstsein sichtbar wird, das sich gravierend von den bildlichen Darstellungen der vorhergehenden Epochen unterschied. Es waren eben auch die Fürsten, die sich nun auf einmal als Akteure und Handelnde in einer sich rasant verändernden Welt begriffen.
Und dazu trug auch etwas bei, was meist losgelöst betrachtet wird, obwohl es das – schnellste – Medium der Zeit war und das Wissen der Europäer über sich und die Welt revolutionierte: der Buchdruck. Weshalb man in Sachsen gar nicht erst die Künstler aus Italien importieren musste (auch wenn sich Friedrich der Weise einen eher zweitrangigen Maler aus Venedig besorgte), denn das neue Wissen verbreitete sich in Buch und Grafik so schnell, dass man auch im etwas kühleren Norden sehr schnell ziemlich genau wusste, was es in Italien an Neuem gab.
Und es sich anverwandelte. Oder anverwandeln ließ. Denn mit der – etwas verspäteten – Frührenaissance in Mitteldeutschland entstanden hier eben auch die Werkstätten selbstbewusster Künstler, die ihre Arbeiten jetzt auch mit ihrem Namen signierten und sich vor allem auch selbst darstellten. Auch sie waren nun Persönlichkeiten, die sich in Gemälden in Beziehung setzten zu den antiken und biblischen Themen. Oder sich sogar im Selbstporträt malten – mit dem aufmerksamen Blick eines Dürer, der zu fragen scheint: Wer bin ich eigentlich?
Malfabriken und Kunstwerkstätten
Während Maler wie Cranach gleichzeitig regelrechte Malfabriken aufbauten, die die zahlungskräftige Kundschaft auch mit den Porträts der berühmten Personen ihrer Zeit versorgten. Ein heute sehr vertrauter Vorgang, bei dem man sich kaum noch vorstellen kann, wie es sich eigentlich in Zeiten lebte, in denen die Bürger nicht einmal wussten, wie ihr Fürst aussah. Aber die Betrachtung der Bilder macht den Forscherinnen auch Dinge sichtbar, auf die ein oberflächlicher Betrachter kaum achtet – obwohl auch sie um 1500 eine Revolution waren.
Irma Blanca König etwa macht in ihrem Beitrag deutlich, wie Lucas Cranach selbst in seinen biblischen Bildmotiven die sich deutlich wandelnde Mode am Hof Friedrich des Weisen festhielt – die Prachtgewänder der Fürsten genauso wie die von italienischer Mode inspirierten Kleider der Frauen und Mädchen.
Es ist fast logisch, dass der berühmteste Maler aus Mitteldeutschland gleich mehrere Kapitel im Buch erhielt. Denn durch Lucas Cranach wissen wir, wie Friedrich der Weise und sein Bruder Johann aussahen, aber auch, wie das Volk und die betuchten Bürger sich kleideten. Es sind die Menschen des frühen 16. Jahrhundert, die sich auf Altarbildern, in Bibelillustrationen und Heiligenporträts tummeln. Selbst die Lucretia auf dem Titel steckt in einem Prachtkleid ihrer Zeit, auch wenn sie scheinbar keine richtige Lust hat, sich den Dolch in die Brust zu stoßen.
Und so nebenbei erfährt man auch, dass der Turm auf dem Berg im Hintergrund gar nicht so zufällig da steht: Es könnte ein kleiner Hinweis auf die Wartburg sein, die den Kurfürsten von Sachsen gehörte und wo Luther bekanntlich als Junker Jörg das Neue Testament übersetzte.
Und natürlich untersuchen mehrere Beiträge auch die Frömmigkeit an den Höfen dieser Zeit. Es war ja nicht nur Friedrich der Weise, der sich eine riesige Reliqiensammlung zulegte, die Wittenberg regelrecht zum Pilgerort machte. Jede Kirche, jede Stadt hatte einen Schutzheiligen. Doch mit dem Buchdruck änderte sich auch die Sicht der Menschen auf ihre Einbettung in die Welt. Marie Wickern schreibt in ihrem Beitrag ganz bewusst von der „Entdeckung der Geschichte“.
Auf einmal ist Geschichte
Noch so eine Veränderung, die wir heute kaum noch wahrnehmen, weil wir damit aufwachsen, dass wir bewusst in einem Strom der Geschichte leben. Jedes Land, jede Stadt hat eine Geschichte. Aber die Haltung des Menschen ändert sich gravierend, wenn er aufhört, sich nur als ein fremdbestimmtes Wesen auf Erden zu begreifen, sondern sich nun als Gestalter des eigenen Schicksals sieht. Der Protestantismus kam überhaupt nicht zufällig genau in diesem Moment auf die Welt.
Und in den Bildern Cranachs, Dürers und Holbeins begegnen einem nun auf einmal Menschen, die nicht mehr andächtig nur nach oben schauen zum Kreuz Christi, sondern den Betrachter herausfordernd selbst ins Auge nehmen. Menschen, die sich als Gestalter des eigenen Lebens begreifen – und die Welt als einen veränderbaren Ort.
Genau das macht die Ausstellung in der Moritzburg jetzt sichtbar. Und damit auch den Aspekt, den auch die Italiener stets mitmeinten, wenn sie von Renaissance sprachen. Denn damit meinten sie immer auch ein neues Selbstbewusstsein, das sich eben auch mit Bezug auf die antiken Autoren gegen die Weltdeutung der päpstlichen Kirche stellte. Die Welt wurde zur Bühne von Menschen, die ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nahmen.
Und gerade Renaissancefürsten wie Heinrich der Weise, Erzbischof Ernst oder Georg von Sachsen standen für diesen Übergang, für ein verändertes Bild von fürstlicher Selbstdarstellung. Was nun einmal den Boden bereitete für die Reformation, die nun einmal mehr als nur einen Theologen brauchte, der sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Die Ausstellung lädt geradezu ein, diesen – für die Zeitgenossen ganz bestimmt atemberaubenden – Prozess wahrzunehmen, dieses selbst in Gemälden sichtbar werdende Gefühl „Alles ist möglich“, mit dem ein neues Zeitalter eingeläutet wurde.
Die Bilderflut einer Umbruchszeit
Das muss im Katalog gar nicht erst betont werden. Der Eindruck stellt sich von ganz allein ein, wenn man die einzelnen Beiträge liest und so mitbekommt, was sich damals tatsächlich alles geändert hat und wie Kunstwerke verschiedenster Art den neuen Anspruch auf Gesehenwerden umsetzten. Geschaffen von Künstlern, die jetzt aufhörten, sich als dienstbare Handwerker zu verdingen, sondern sich ebenbürtig den Auftraggebern gegenübersahen, deren Konterfei sie für Jahrhunderte verewigten. Auch das ein völlig neues Empfinden von Geschichte – nämlich einer Geschichte, die in die Zukunft gerichtet ist. Und von der die Renaissancefürsten in Mitteldeutschland durchaus annehmen durften, dass sie mit ihrem Handeln darin eine Rolle spielen würden.
Und selbst wer die Ausstellung in der Moritzburg verpassen sollte, bekommt die Fülle der Ausstellung mit diesem durchaus schwergewichtigen Buch selbst in die Hand. Ein Buch, das mit vielen eindrucksvollen Bilderstrecken eben auch zeigt, wie gerechtfertigt das Wort Renaissance auf dem Titel ist, denn hier wurde nun einmal ein neues Zeitalter geboren, das bis heute als eine unübersehbare Zäsur sichtbar ist. Eine Zeitenwende, in der Menschen begannen, sich selbst als Erschaffer ihrer eigenen Welt zu begreifen. Also geradezu bewusst in ihre eigene Geschichte eintraten. Ein „Hier stehe ich“ in vielen Facetten. Das auch den Betrachter einbezieht: „Schau mich an. Nimm mich wahr.“
Die Zeit der Demut war vorbei. Und gerade Mitteldeutschland ist – durch seine machtbewussten Fürsten geprägt – ein Ort, an dem man diesen Zeitenwandel in künstlerischer Hülle und Fülle erfahren kann.
Christian Philipsen, Thomas Bauer-Friedrich und Philipp Jahn „Frührenaissance in Mitteldeutschland. Macht. Repräsentation. Frömmigkeit“, E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2024, 45 Euro
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