Es ist eine untergegangene Welt, die uns Eva-Maria Herbertz in ihrem Buch präsentiert: eine Welt voller großbürgerlicher Villen mit Gemälden Alter Meister darin, eine Welt, in der sich Kunstsammler und Industrielle in exklusiven Clubs tummeln, die Verbindungen standesgemäß und die Ehen oft arrangiert sind. Im Zentrum dieser Geschichte steht Paul „Hulle“ Huldschinsky: gefeierter Innenarchitekt, Oscar-Preisträger und Lebemann. Das ist die Sonnenseite.

Dahinter aber liegen eine Internierung im KZ Sachsenhausen, Flucht und Exil in den USA.

Eine standesgemäße Welt

Als Paul Huldschinsky 1889 zur Welt kommt, sind die Weichen für eine erfolgreiche Karriere gestellt. Sein Vater ist der vermögende Industrielle und Kunstsammler Oscar Huldschinsky, seine Mutter die aus einer Großhändlerfamilie stammende Ida Brandeis-Weikersheim. Die Huldschinskys gehören zum Berliner Großbürgertum. Sie besitzen ein repräsentatives Stadthaus, an dessen Wänden Gemälde von Raffael, Boticelli und Rembrandt hängen.

In den Sommermonaten wohnen die Huldschinskys in einer hochherrschaftlichen Villa am Wannsee. Oscar Huldschinsky ist dazu noch Mitglied des elitären „Club von Berlin“, den Eva-Marie Herbertz so beschreibt: „Die Mitglieder verstanden sich als kaisertreue, überwiegend nationalliberale Männer, die gegen gesteigerten Nationalismus und Größenwahn sowie gegen Antisemitismus eingestellt waren. Etliche der zunächst 180 Clubmitglieder waren zumeist getaufte Juden.“ Auch Oscar Huldschinsky ist Jude, wendet sich aber später von seiner Religion ab und lässt seinen Sohn Paul protestantisch taufen, was damals durchaus häufig vorkam.

Der Vater sorgt auch dafür, dass sein Sohn standesgemäß heiratet, doch Paul Huldschinsky wird in der Ehe nicht glücklich. Eva-Maria Herbertz‘ Buch zeigt, wie wichtig den Patriarchen der großbürgerlichen Familien standesgemäße Verbindungen waren.

Zwischen Krieg und Kunst

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, wird auch Paul Huldschinsky eingezogen. An der Front kämpft er allerdings nicht. Als erfahrener Reiter übernimmt er in seinem Regiment die Ausbildung und Pflege der im Krieg eingesetzten Pferde. Ein Selbstbildnis, das Huldschinsky als Soldaten darstellt, zeugt von seinem großen zeichnerischen Talent. Auch beruflich hilft es ihm weiter, denn Huldschinsky studiert Architektur, konzentriert sich aber schon früh auf die Inneneinrichtung großbürgerlicher Wohnungen und Häuser. Vom Bauhaus hält er nichts. Er verachtet die damit verbundene Rationalität und Funktionalität der Architektur, die er als kalt und unpersönlich empfindet. Paul Huldschinsky, das zeigt dieses Buch, ist ein Kind seiner Zeit und trotzdem ein Unzeitgemäßer.

Dank seiner Kontakte bekommt Huldschinsky lukrative Aufträge als Inneneinrichter, doch er ist keiner, der seine Arbeiten schnell fertig macht. Geld spielt für ihn keine Rolle. Wenn es alle ist, werden mit dem guten Namen Schulden gemacht.

Doch die großbürgerliche Welt zerbricht. Huldschinskys Vater verliert sein Vermögen und muss 1931 seine Kunstsammlung versteigern. Sein Sohn Paul sieht in Hitlers Machtübernahme zunächst keine Gefahr, doch das Buch zeigt eindrücklich, wie sein sorgloses Leben Stück für Stück schwindet. 1938 wird Paul Huldschinsky im KZ Sachsenhausen interniert und kommt nur durch eine geradezu groteske familiäre Beziehung wieder frei.

1939 geht Paul Huldschinsky nach Kalifornien ins Exil, doch eine typische Emigrationsgeschichte ist es nicht, denn Huldschinsky liebäugelt schon länger mit Amerika. Im Gegensatz zu vielen deutschen Exilanten schafft er es, sich in den USA nicht nur ein neues Leben aufzubauen, sondern auch eine neue Heimat zu finden. Huldschinsky verkauft Antiquitäten, richtet das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades (Los Angeles) ein und wird Set Designer in den Filmstudios von Hollywood. Es gelingt ihm, die Neue Welt mit der Alten zu verbinden. Die großbürgerliche, aus dem späten 19. Jahrhundert stammende Innenausstattung, die er für den Film „Gaslight“ entwirft, ist eine Erinnerung an seine eigene Kindheit. Für seine „Interior Decoration“ bekommt Paul Huldschinsky 1945 den Oscar verliehen.

Ein Leben wird wiederentdeckt

2008 hatte der Journalist Heinrich Wefing geschrieben: „Leider jedoch verlieren sich nach Huldschinskys Tod alle Spuren. Weder ist das weitere Schicksal seiner Familie bekannt noch der Verbleib seines Nachlasses.“

Eva-Maria Herbertz hat Paul Huldschinskys Spuren wiederentdeckt und sein Schicksal, genau wie das seiner Familie, sichtbar gemacht. Das war aber nur möglich, weil sie den jahrzehntelang in Kartons und Kommoden aufbewahrten Nachlass in den USA ausfindig gemacht hat. Das Buch speist sich aus der genauen, geradezu intimen Kenntnis dieses Nachlasses, aus langen Gesprächen mit Huldschinskys noch lebender Tochter und aus den Briefen, die Paul Huldschinsky zeitlebens geschrieben hat.

Es ist ein Buch, das auf knapp 200 Seiten ganz nah an seiner Hauptfigur bleibt und dabei die Biografie eines Vergessenen zeichnet. Das Panorama von Paul Huldschinskys Geschichte entfaltet sich dabei nicht aus einem breit angelegten historischen Entwurf, sondern – und das ist gut so – aus dem ganz konkreten Verfolgen der Verästelungen eines Lebens, seiner Höhepunkte und Abgründe.

Eva-Maria Herbertz „Endstation Hollywood. Das Leben des Paul ‚Hulle‘ Huldschinsky (1889-1947)“, Hentrich & Hentrich, Leipzig 2024, 22 Euro. 184 S., mit zahlreichen Abbildungen

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