Menschen sind in der Regel mehr als nur ihr Beruf und ihr Familienstatus. Denn was sie wirklich bewegt, das leben sie in der Regel in Hobbys aus. Und werden damit manchmal sogar zur Legende, so wie Manfred Seifert, der vielen Reudnitzern und Neuschönefeldern noch als Bäckermeister in Erinnerung ist. Aber schon früh hat er sich ein Hobby zugelegt, mit dem er landesweit von sich Reden machte. Preise und Urkunden in der Bäckerei Seifert in der Husemannstraße 1 in Neuschönefeld erinnern noch heute daran.
Denn Manfred Seifert (1939–2018) stieg nicht nur nach seiner Bäckerlehre 1968 in das väterliche Geschäft ein, sondern begann auch 1957 mit dem Hobby, das ihn ein Leben lang begleiten sollte. Da kaufte er sich seine erste Schmalfilmkamera, die AK 8. Und Dokumentarfilme gerade aus dem von ihm selbst in seiner grauen Tristesse geliebten Leipzig waren dann ein Teil der Filmproduktion, mit der er das Filmleben in der DDR bereicherte. Sein Dokumentarfilm von 1983 „Mein Leipzig – lobt das keiner mehr?“ steht stellvertretend für dieses Engagement für seine Heimatstadt.
Aber wirklich bekannt wurde er landesweit für seine Trickfilme, die er in stundenlanger Feinarbeit daheim am selbstgebauten Lichttisch herstellte. Einige sind heute sogar auf YouTube zu finden. Um diese Silhouetten-Filme auf höchstem Niveau erstellen zu können, nahm er auch Kontakt zum DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden und zum Urgestein der ostdeutschen Trickfilmkunst Bruno J. Böttge auf.
Tünche
Wobei sich der DEFA-Enthusiast Jens Rübner berechtigterweise die Frage stellte, wie ein viel beschäftigter Bäckermeister dieses Hobby mit seinem sowieso schon zeitverschlingenden Beruf unter eine Hut bekommen konnte. Denn der bedeutete auch in DDR-Zeiten: um vier Uhr in der Frühe aus den Federn und den Backofen anschmeißen. Zeit, an einer der staatlich erwünschten Arbeitsgemeinschaften im Kulturbund teilzunehmen, war da gar nicht. Seifert war mit seinem Hobby auf sich allein gestellt. Auch wenn seine Frau ihm half bei der akribischen Arbeit an den Filmen. Meist blieb nur der backfreie Montag für diese Lieblingsbeschäftigung.
Aber zeitlebens ließ sich Seifert davon nicht abbringen. Denn die kleinen Filme ermöglichten ihm – humorvoll – die ganz alltäglichen menschlichen Schwächen aufs Korn zu nehmen. Schwächen, die ja bekanntlich mit dem Ende der DDR ganz und gar nicht verschwunden sind. Im Gegenteil: Manche Leute halten diesen schäbigen Umgang mit der Umwelt, ihrer Stadt und ihren Mitmenschen für etwas völlig Normales und sogar für Charakterstärke. Manche halten das sogar für eine ostdeutsche Tugend.
Die Liebe zu seiner Stadt
Nur Manfred Seifert hätte dazu nur seinen Kopf geschüttelt, erzählen seine Filme eben doch von den wirklichen Tugenden, die den Menschen im Leben weiterbringen: Ehrlichkeit, Fleiß, Liebe zum eigenen Tun. Auch die Bäckerei in Neuschönefeld gab es ja nur, weil Seifert sich nach der zwangsweisen Schließung der vom Vater übernommenen Bäckerei in Hauptbahnhofsnähe noch einmal richtig in die Seile hängte, investierte und den neuen Laden in der Husemannstraße eröffnete.
Dort ist heute sein Sohn Lars der Chef, mit dem sich Rübner zusammengesetzt hat, um sich noch einmal durchs Familienarchiv zu blättern. Und durch die Fotosammlung – denn ein bisschen berühmt war Manfred Seifert ja schon und eine Leipziger Berühmtheit wie Peter Degner (1954–2020), der ganz in der Nähe in der Kreuzstraße wohnte, trank hier nur zu gern seinen Morgenkaffee.
Und so wie Manfred Seifert den schweren Neuanfang in der Husemann erlebte, so aufmerksam nahm er auch die schwierige Häutung des ganzen Stadtteils wahr, der ja Ende der 1980er Jahre schon zum flächenhaften Abriss vorgesehen war. Diese Verwandlung insbesondere von Reudnitz, die Seifert aus dem Fenster seiner Wohnung in der Straße der Befreiung (heute wieder Dresdner Straße) beobachten konnte, wurde 1997 zum Dokumentarfilm „Leipzig-Reudnitz“.
Panne
Es ist also nicht nur ein besonders ungewöhnlicher Akteur der Filmszene in der DDR, den Jens Rübner hier porträtiert, sondern auch ein Leipziger, dem das Dokumentieren seiner Zeit und seiner Stadt ein Herzensanliegen war. Denn was nicht festgehalten wird, verschwindet mit den Zeitgenossen, wird vergessen oder später völlig falsch erinnert.
Und das trifft in der Regel auch für sämtliche Hobbyaufnahmen zu, wenn sie nicht – wie bei Manfred Seifert – in ambitionierte Dokumentarfilme münden, die dann auch im zentralen Filmarchiv im Dresden ihren Platz gefunden haben. Wertvolles Material für alle künftigen Forscher und Filmemacher, die sich für die auf 16 mm festgehaltenen Zeitschichten interessieren. Oder schlichtweg Originalmaterial suchen, das eine Epoche lebendig werden lässt, die schon für heutige Leipziger oft in den Tiefen des Vergessens liegt.
Männer wie Manfred Seifert wussten das, als sie mit ihrer Kamera losliefen und das festhielten, was scheinbar nur ganz gewöhnlicher Alltag war. Aber aus Alltag wird Geschichte. Und oft genug begreift man die Gewalt der Veränderungen erst, wenn man die Bilder aus einer lange zurückliegenden Zeit sieht. Höchste Zeit also, den fleißigen „Montagsfilmer“ zu würdigen, mit einem Heft, das erzählt, wie außergewöhnlich sein Hobby war.
Jens Rübner „Der Montagsfilmer“, Jens Rübner, Leipzig 2024, 6 Euro.
Bestellen kann man die Broschüre direkt beim Autor unter defafan@web.de
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