Erst einmal ist das Jahresende nah. Und Schwarwel hat aus 600 Karikaturen und Cartoons, die im letzten Jahr entstanden, 100 ausgewählt, die das ganze Jahre wieder einmal auf den Punkt bringen. So, wie es war. Oder besser: Wie sich die Leute benahmen, die es einmal mehr zu einem Jahr gemacht haben, in dem menschliche Narretei neue Höhen erklomm und viel zu viel Stoff bot, den auch der fleißigste Karikaturist nicht abarbeiten konnte.

Schon die Titelgrafik sagt genug aus über den Lärm und das Gezeter in diesem Jahr, bei dem der apokalyptische Ton immer schriller wurde und ganz offensichtlich immer mehr Zeitgenossen froh wären, wenn der Weltuntergang endlich käme. Damit dieses Gejaule aufhört. Ein Gejaule, das nicht ganz grundlos in der Welt ist. Denn damit machen reaktionäre Parteien und Politiker Politik. Sie leben und gedeihen von der Angst der Menschen und davon, dass sich die apokalyptischen Bilder in den Köpfen festsetzen. Denn wer in Panik ist, der hält nicht inne, krempelt nicht die Ärmel hoch und will wissen, was er jetzt tun könnte, um die Krise einzudämmen.

Das wäre eine andere Republik und eine andere Politik. Und auch die Selbstdarsteller in den Talkshows würden anders reden, ginge es wirklich darum, die sich aufschaukelnden Krisen in den Griff zu bekommen. Da ginge es dann um kluge und machbare Vorschläge und die Frage, wie man das – gemeinsam – umsetzt.

Angst macht einsam

Aber Angst vereinzelt auch. Wer zu Hause in seiner kleinen Panikkammer sitzt, der kommt nicht auf die Idee, sich Verstärkung zu holen und das zu tun, was man tun kann. Denn anders als all die Angstmacher behaupten, können wir allesamt eine Menge tun. Nur: Feige sein ist bequemer. Mit „Frieden!“-Schildern herumrennen, während es eigentlich darum geht, einfach den immer noch um ihr Leben und ihre Freiheit kämpfenden Ukrainern zu helfen.

Man merkt schon, dass hinter all der Bissigkeit, die in Schwarwels Karikaturen steckt, ein stiller menschlicher Ernst steckt. Diese leise Hoffnung, dass sich Menschen einfach anständig benehmen könnten. Männer zumal. Denn 2024 war das Jahr der brüllenden, rücksichtslosen und selbstgerechten Männer. Die Karikaturen-Auswahl macht es überdeutlich. Vom frauenverachtenden Präsidentschaftskandidaten bis zum Finanzminister, der das Bürgergeld zusammenstreichen wollte, vom pöbelnden bayerischen Ministerpräsidenten bis zum frauenverachtenden Ajatolla.

Na gut: Frauen haben sich auch hervorgetan. Als Chefinnen rechtspopulistischer Parteien, wo sie das Menschenverachtende so hübsch mit weiblichem Augenzwinkern verbrämen. Es ist leider so: Auch Frauen sind nicht gefeit vor der gelebten Bosheit und der Verachtung schwächerer Menschen. Leider. Aber eigentlich sollten wir es gelernt haben: Die hübsche Larve ist wie so oft nur die Maske für die immer mehr zum neuen „Normal“ werdende Homophobie. Denn wer sich daran aufschaukelt, dass immer irgendwelche anderen schuld sind daran, dass es in der heimischen Wohnstube mittlerweile so panisch zugeht, der verliert natürlich aus dem Blick, dass unsere Krisen von Menschen verursacht sind. Und von Menschen gelöst werden könnten.

Wenn die sich nicht immer nur zu gern in ihre lethargische Herummaulerei flüchten würden. Immer den eigenen Nabel im Blick. Und um Ausreden nie verlegen. Die längst zum Kehrreim gewordene Strophe dazu aus den Mündern von Politikern, die selbst keine Ideen haben: „Die Grünen sind schuld!“ Natürlich, wer denn sonst? Wer anders ist ja 2024 nicht vorgeprescht mit Ideen, wie man vielleicht was ändern könnte.

Vorsicht: Aufregung!

Auf einmal merkt man, wie sinnentleert die politischen Staßenkämpfe geworden sind. Und dass wir das „Die Grünen sind schuld!“ immer dann zu hören bekommen, wenn man von den Selbstgerechten eigentlich mal Vorschläge hören möchte, wie es besser ginge. Leere gefüllt mit einer einzigen Schuldzuweisung. Was für ein piefiges Land, dessen größte Kunst mittlerweile geworden ist, bei jedem Vorschlag für eine Veränderung den baldigen Untergang herbeizureden.

Nicht zu vergessen diese schrecklichen Klimaaktivisten, die sich 2024 statt auf Autostraßen lieber auf Flugplätzen festklebten und den ganzen Groll der Luftfahrtbranche abbekamen. So eine Rücksichtslosigkeit …

Oder doch nicht? Ist die Luftfahrtbranche eigentlich ein rücksichtsvolles Projekt für ein schöneres menschliches Miteinander? Wahrscheinlich in der Businessklasse, wo die Schönen und Prächtigen unter sich sind. Mit recyceltem Kaffeebecher, um sich ein grünen Blättchen ans Revers zu heften.

Es hann schon passieren, dass man nach dem Durchblättern dieser mittlerweile 14. Auswahl aus Schwarwels Zeichenkabinett noch einmal all die heftigen Gefühle erlebt, die das Jahr 2024 so blutdrucksteigernd gemacht haben. Der Zorn auf die Gleichgültigen, Rücksichtslosen und Verlogenen steckt in jedem Federstrich. Und wenn man noch ein Herz hat und ein bisschen Verstand, dann teilt man diesen Zorn. Dann möchte man …

Männer mit Keulen

… am liebsten selbst zur Feder greifen und genauso aufspießen, was einen an menschlichem Phlegmatismus im Grunde jeden Tag auf die Palme bringt. Denn die Grölenden, Nölenden und Jammernden hören ja nicht auf. Sie scheinen sich regelrecht wohl zu fühlen in ihrem Seifenschaum des permanenten Selbstmitleids. Denn wer die Schuld immer nur bei Anderen sucht, der muss ja nichts tun. Oder? Der darf sich einwinseln in seiner Apokalypse und Leute wählen, die einem einreden, es könne alles wieder wie früher sein. Man müsse nur die Uhr zurückdrehen.

Dass man sich da ziemlich schnell in einen Steinzeitmenschen verwandeln kann, zeigt eine Karikatur aus dem November. Da braucht man ja nur eine fette Keule und muss seinen Kopf nicht mehr anstrengen, um sich vielleicht ein paar Gedanken darüber zu machen, wie man selbst dazu beitragen könnte, die Welt ein bisschen besser zu machen. Einige Leute lieben ja die Steinzeit und insbesondere die gemutmaßten Vorstellungen davon, wie Männer in der Steinzeit mit Frauen umgehen durften. Was wahrscheinlich nie so war. Aber für viel zu viele Männer gehört dieses Bild zum Grundbestand ihrer ausgestellten Männlichkeit. Und wer das anspricht, bringt ihr ganzes schönes Selbstbild ins Wanken.

Mit dem sie doch Wahlen gewinnen …

… und am Ende dieses Jahres den Eindruck vermitteln, dass die gesellschaftliche Uhr um Jahrhunderte zurückgedreht wurde. Irgendwie in dunkle Zeiten, als Männer nichts anderes brauchten als Keule und Lendenschurz, um wie echte Kerle auszusehen. Obwohl das wahrscheinlich nie so war. Mal schauen, welche Partei als erste beginnt, keulenschwingende Kraftprotze auf ihre Wahlplakate zu malen.

Schwarwel „Das Ende ist nah!“, Glücklicher Montag, Leipzig 2024, 9,90 Euro

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