Manche Leute lieben ja kleine Bücher. Ganz kleine Bücher. So wie die Miniaturen, die der Letschiner Verlag Sol et Chant gestartet hat, weil es ganz offensichtlich ein Publikum gibt, das lieber kleine Portionen liest. Also ungefähr das Format von Erzählungen in fast Reclam-Größe. Was man so schafft am Abend vorm Einschlafen oder in der Bahn. Das Buch passt in die Jackentasche. Und manchmal ist es auch ein Comeback.

So wie in diesem Fall. Denn erstmals veröffentlicht wurde diese Erzählung der dänischen Autorin Janne Teller auf Deutsch 2014 als E-Book bei „Hanser Box“. Dort freilich war sie nur kurzzeitig verfügbar. Also fragte Verleger Jan Groh einfach mal bei Janne Teller selbst an, wie es um eine neue Veröffentlichung des Textes stehe. Und die Autorin war begeistert.

Auch weil es eine Geschichte ist, die von ihrer Brisanz nichts verloren hat. Wenngleich sie eigentlich nur die sehr persönliche Geschichte einer dänischen Journalistin erzählt, die von ihrer Redaktion ausgeschickt wurde, den Gerüchten nachzugehen, im Karen-Blixen-Museum in Nairobi würde es spuken. Deutsche Leser/-innen kennen Karen Blixen zumeist als Tania Blixen. Unter diesem Namen wurden ihre Bücher in Deutschland veröffentlicht.

Aber spukt es wirklich im längst zum Museum gewordenen Karen-Blixen-Haus? Streift die weltberühmte Autorin tatsächlich nachts durch die Räume und setzt sich dann an ihre Schreibmaschine?

Die Geister der Vergangenheit

Mehrere Nächte bringt die Journalistin in dem Museum zu. Aber sie bemerkt keine Geister. Eigentlich hat sie auch ganz andere Sorgen. Denn nach Nairobi entsandt wurde sie auch deshalb, weil sie vor Jahren schon einmal hier lebte, den Ort und die Sprache der Menschen kennt. Nur hat das eine Kehrseite, denn damals endete ihr Aufenthalt in einer Tragödie.

Da war sie mit einem Oppositionsführer liiert, der in den blutigen Unruhen damals zu Tode kam – und die Mörder ließen das die Geliebte mit einer boshaften Postsendung auch wissen. Sie ging also nicht in Frieden fort. Tief verletzt und gleichzeitig zutiefst verunsichert.

Sie hat mit ihrem eigenen Trauma zu kämpfen, das sie nun am letzten Tag ihrer Recherchereise mit aller Wucht einholt. Eine Reise, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Paul unternommen hat. Aber Paul schafft ihr zusätzliche Probleme. Selbst auf dieser Reise nutzt er die Gelegenheit zu Seitensprüngen.

Die kargen Dialoge im Auto lassen ahnen, wie groß die Distanz zwischen den beiden ist und dass Paul ganz bestimmt nicht der Mann ist, dem die Heldin selbst in gefährlich anmutenden Situationen vertrauen möchte. Obwohl sie die Erinnerung bei dieser letzten Fahrt mit Wucht trifft und sie sich beinahe verfährt.

Es ist sogar ein besonders seltsamer Moment, der sie fast die Kontrolle verlieren lässt: Der in ihr aufkeimende Wunsch, das Mädchen, mit dem Paul geschlafen hat, durch die Museumsleitung entlassen zu lassen, einfach durch eine kleine Spende an das Museum bekräftigt. Ein Gedanke, der auf einmal da Wort Neokolonialismus auftauchen lässt und die Erinnerung an eine Szene mit ihrem damaligen Geliebten Albert, in der sich beide genau darüber unterhalten haben.

Wohlmeinende Gäste

Man wird das Wort nicht einfach los, indem man Bücher über Afrika schreibt. Auch wenn man es so gut meinen sollte wie Karen Blixen. Es bleibt das mitgedachte Gefälle, mit dem auch die wohlmeinenden Gäste aus dem Norden auf die Länder Afrikas schauen.

Und was ist der Rechercheauftrag anderes als ein neuer Aspekt des Neokolonialismus? Soll er beweisen, dass die Kenianer alle schrecklich abergläubisch sind und nur der kühle Norden ganz rational, weshalb es im Museum einfach keine Geistererscheinungen zu sehen geben kann? So eindeutig ist der Rechercheauftrag zwar nicht. Aber im Lauf dieser Fahrt zum Museum wird eben auch deutlich, dass die Gäste aus dem Norden eigentlich selbst aufgeladen sind mit den Geistern ihrer eigenen Vergangenheit. Und ihren eigenen zwischenmenschlichen Problemen.

Die auch dadurch entstehen, dass wir einander nicht so akzeptieren können, wie wir sind. Und auch einander so nicht sehen wollen. Und das gilt für den Blick auf die Anderen genauso wie auf die uns Nächsten – also diesen Paul beispielsweise, der nun einmal so ist, wie er ist. Es ist ein geradezu triumphaler Akt, mit dem sich die Journalistin ganz am Ende von dieser Last befreit, all diese unausgesprochene Dinge immer nur aushalten zu müssen. Auch zur Überraschung Pauls. Und zu ihrer eigenen.

Es ist – wenn man das Buch in der Hand hält – nur eine kleine Geschichte. Irgendwie eine Beziehungsgeschichte. Aber eben nicht nur die eines Pärchens, das zur Recherche ins ferne Nairobi gereist ist. Sondern auch die der Heldin mit Afrika und seinen Bewohnern. Es geht so ganz beiläufig eben auch um die eigene (post-)kolonialen Prägung.

Denn: Wer sind wir eigentlich, wenn wir uns so auf die Reise nach Afrika machen? Mit welchem eigenen Ballast an Erwartungen und Selbstgewissheiten reisen wir, ohne sie zu hinterfragen? Und mit welchen Vorstellungen unseres eigenen Besserseins, die der Realität nicht standhalten, wenn es wirklich darauf ankommt?

Alles Fragen, die Janne Teller eigentlich antippt, auch wenn sie scheinbar nur erzählt, wie eine dänische Journalistin in Nairobi versucht, ein paar Geistergeschichten aufzuklären.

Janne Teller „Afrikanische Wege“ Sol et Chant, Letschin 2024, 5 Euro.

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