Eigentlich hätte sich Christopher Steele so viel Bekanntheit nie im Leben gewünscht. 22 Jahre lang arbeitete er für den britischen Geheimdienst MI6, bevor er sich mit seinem Partner Christopher Burrows selbstständig machte und 2009 Orbis Business Intelligence gründete, ein Unternehmen, in dem sie ihre nachrichtendienstliche Erfahrung international tätigen Unternehmen zur Verfügung stellen. Auch dieses Unternehmen lebt von besten Kontakten in Autokratien wie Russland und China.

Und wer weiter so gut vernetzt ist, bekommt nun einmal auch Dinge mit, die normalerweise auch Geheimdienste sammeln und weiterleiten (sollten), um ihre Regierungen zu warnen. Mit einigen solcher Aufklärungen machte Orbis Furore – so 2009 mit der Aufdeckung der Korruption um die Vergabe der Fußball-WM 2018 und 2022, bei denen England als Bewerber natürlich betroffen war – aber nach der ersten Runde aus dem Rennen flog, weil ganz offensichtlich hinter den Kulissen bestochen wurde und sich etliche FIFA-Funktionäre von den Verbänden der späteren Gewinnerländer korrumpieren ließen.

Eigentlich das schon ein Thema für ein Buch, denn diese Korruption in den großen Sportverbänden zerstört natürlich auch die Idee von Fairness im Sport, macht die großen Sportereignisse zu Schaufensterveranstaltungen für autokratische Regime. Aber sein Buch „Ungefiltert“ hat Christopher Steele nun geschrieben, weil all die Dinge, die im 2017 von BuzzFeed geleakten sogenannten „Steele-Dossier“ mit Trumps erneutem Wahlsieg 2024 wieder hochaktuell und brisant sind. Und eben nicht ausgeräumt oder gar aufgearbeitet.

Wenn Regierungen sich taub stellen

Dabei hätte das Papier nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen. Auch wenn sich Steele seit 2016 intensiv bemüht hatte, auch und gerade die amerikanischen Behörden zu warnen und aufzuklären über die engen Verstrickungen Donald Trumps und etlicher seiner damaligen Mitarbeiter mit Moskau. Verstrickungen, die Trump möglicherweise auch erpressbar machen. Bis heute.

Aber hinter Steele liegen auch Jahre immer neuer Anklagen und Prozesse, betrieben von diversen russischen Oligarchen, die im Trump-Dossier Erwähnung finden, aber auch von Donald Trump selbst, der die Londoner Gerichtsbarkeit nutzte, um Steele und Orbis auf diese Weise in teure Prozesse zu verwickeln, die über Jahre enorme Anwaltskosten verursachten.

Während gleichzeitig eine heftige mediale Kampagne gegen Steele losgetreten wurde und Steeles Ehefrau Katherine, die im britischen Staatsdienst tätig war, aus ihrer Arbeit entfernt und in den verfrühten Ruhestand abgedrängt wurde.

Weder US-amerikanische noch britische Regierungsbehörden schienen die geringste Lust gehabt zu haben, sich mit den brisanten Informationen aus dem Dossier wirklich zu beschäftigen. Viele Manifeste, die Steele zuvor schon geschrieben hatte, waren einfach in irgendwelchen Aktenschränken verschwunden. Aus welchen Gründen auch immer. Als wollten sich die diversen Regierungsbehörden – bis hin zum FBI – nicht wirklich mit der Frage auseinandersetzen, was es eigentlich bedeutete, wenn ein Mann mit derart dubiose Verbindungen nach Moskau auf einmal Präsident der mächtigsten Nation auf Erden wird.

Wenn Klagen mundtot machen sollen

So gut wie alle Klagen vor Londoner Gerichten wurden abgewiesen, auch wenn die teuren Prozesse trotzdem Jahre dauerten und Steeles Familie darunter zu leiden hatte. Weshalb eine der Forderungen Steeles am Ende dieses Buches lautet, dass dieser Klageweg für eindeutige „lawfare“-Klagen nicht mehr offen stehen darf. Denn das nutzen nun einmal vor allem allerlei korrupte Personen, die damit gesellschaftliches Engagement und die Aufklärungsarbeit von Medien oder solchen Recherche-Instituten wie Orbis verunmöglichen wollen.

„Insbesondere das Rechtssystem meines eigenen Heimatlandes Großbritannien ist so schon lange missbraucht worden: als Waffe in den Händen steinreicher Leute mit bösen Absichten“, schreibt Steele. „Wenn Oligarchen und Despoten und Möchtegern-Autokraten ganz routiniert die britischen Gerichte anrufen, um ihren Willen zu bekommen, und eine Armee der besten Anwälte engagieren, die man in Großbritannien kaufen kann, um Kritiker, Andersdenkende und Whistleblower einzuschüchtern und mundtot zu machen, dann ist das ein Problem, das unser alle Grundfreiheiten im Kern bedroht.“

Aber letztlich schrieb Steele sein Buch auch, weil auch die vier Jahre nach Trumps Abwahl an der Gemengelage nichts geändert haben. Im Gegenteil: Moskau hat seine Methoden, auf westliche Demokratien und ihre Wahlen direkt Einfluss zu nehmen, weiter verfeinert und ausgebaut.

Und das betrifft nicht nur die USA, wo diese russische Einflussnahme in der Wahl von 2016 zum großen Politikum wurde (was auch „Der Mueller Report“ belegte), sondern alle wichtige Nationen des Westens – auch Deutschland, wo die zuständigen Regierungsbehörden sich genauso ratlos anstellen, was diese systematische Attacke auf die deutsche Demokratie betrifft.

Die Sicht von Christopher Steele

Denn im Kreml hat man begriffen, wie man die demokratischen Länder des Westens spalten und schwächen kann. Und dort Kräfte unterstützt und möglicherweise an die Macht bringt, die nur zu gern den Narrativen russischer Politik folgen. Mit dem Überfall auf die Ukraine 2022 ist die Sache noch viel prekärer geworden. Und trotzdem zögern und zaudern Politiker im Westen und folgen selbst große Medien den Erzählsträngen, die ihnen von ganz und gar nicht unparteiischen Behörden und intrigierenden Parteikämpfern mitgegeben wurden.

Das verzerrt die Wahrnehmung, lässt einen Donald Trump, der ohne Zaudern auch regierungsamtliche Geheimpapiere ohne Schwärzungen veröffentlicht, als Kämpfer für die Meinungsfreiheit dastehen (der er nicht ist), während Christopher Steele geradezu als Intrigant dasteht, der sich das alles nur aus den Fingern gesogen hat.

Das geht natürlich auch gegen seine Ehre als erfahrener Geheimdienstmann. Und so schrieb er jetzt dieses Buch, um all diesen falschen Geschichten seine Sicht auf die Dinge entgegenzusetzen und zu erzählen, wie es wirklich war. Von Anfang an.

Beginnend mit seiner Kindheit über die Zeit als MI6-Mitarbeiter (zu der auch eine Stationierung in Moskau gehörte just in der Zeit, als die Sowjetunion in die Brüche ging), übe die Gründung von Orbis und die ersten Fälle, bei denen die Ermittlungen von Orbis auch schon eine politische Dimension erreichten, bis ins Jahr 2016, als er geradezu verzweifelte, weil insbesondere US-amerikanische Behörden seine Warnungen vor Trumps Moskau-Connections nicht ernst nahmen.

Was dann – wie er schildert – eben auch zu vermehrten Versuchen führte, weitere Entscheidungsträger wie Abgeordnete des Kongresses zu informieren und zum Handeln zu bewegen. Noch acht Jahre später ist sein Frust darüber spürbar, wie schwerfällig selbst die Behörden in den USA und Großbritannien agieren, die eigentlich für den Schutz der Demokratie geschaffen wurden. Und auch darüber, dass Behörden wie das FBI selbst dringend notwendige Absprachen zur Geheimhaltung nicht einhielten – was möglicherweise tragische Folgen für mehrere der Informanten hatte, die im „Steele-Dossier“ erwähnt wurden.

Wenn Politik zum Wünsch-dir-was wird

So nebenbei bekommt man als Leser auch mit, wie politisch eigentlich die Arbeit von Geheimdiensten ist, wenn sie ihre Arbeit ernst nehmen und ihre Regierung tatsächlich fundiert über die Entwicklungen in Ländern wie Russland informieren. Normalerweise die wichtigste Basis dafür, dass Regierungschefs ihr autokratisches Gegenüber richtig einschätzen und daraus auch die richtigen politischen Schlüsse ziehen. Was aber auch in Deutschland nicht passierte.

Auch Angela Merkel beendete niemals ihre Goodwill-Politik gegenüber Putin, auch nicht 2014, als der zum ersten Mal seine „grünen Männchen“ auf der Krim und im Donbass einrücken ließ.

Steele schreibt von der „politisch-rationalen Realität“, die eigentlich westliche Politik bestimmen sollte. Doch stattdessen wird ausgerechnet die zunehmende Aggressivität eines autokratischen Systems wie das in Moskau immer wieder negiert und schöngeredet, während man sich mit aller Macht den inneren Hahnenkämpfen um die Macht widmet und Politik in eine Show der wütenden Egos verwandelt.

In den USA zwar schon vor Trump zu beobachten. Aber seither hat sich diese Radikalisierung gerade bei den Republikanern noch weiter verschärft, die nur bereit sind, alle Bündnisse mit befreundeten Demokratien aufzukündigen und damit die Weltlage regelrecht zu destabilisieren.

Und das spielt natürlich zuallererst den Autokraten in die Hände, die längst schon öffentlich jubeln, wenn Typen wie Trump eine Wahl gewinnen. Aber 2024 war nun einmal nicht mehr das Jahr, in dem Steele guten Gewissens ein neues Dossier ans FBI weiterreichen konnte. Inzwischen hat er gelernt, dass nichts, was man dem FBI zu treuen Händen gibt, tatsächlich auch unter Verschluss bleibt. Und längst ist auch nicht mehr sicher, dass die Informationen dann nicht direkt an die Autokraten weitergereicht werden, mit denen populistische Politiker ihre „Deals“ machen.

Wenn Autokraten keine Rote Linie kennen

Als ganz normale Bürger und Mediennutzer erlebt man ja in der Regel eine politische Welt, in der jede Menge Theater gemacht wird und ein paar eher belanglose Probleme im Land alleweil zu großem Zirkus aufgeblasen werden, während die Außenpolitik irgendwie wie eine Nebensache abgehandelt wird. Selbst dann noch, wenn offensichtlich ist, dass eine fremde Macht mit Cyberangriffen und Manipulation direkte Einmischung in Landesangelegenheiten betreibt.

Aber das führt letztlich in die Katastrophe. Die Botschaft darf man durchaus mitnehmen aus Steeles Buch: Man kann die Machenschaften fremder Autokratien nicht derart ignorieren, sondern muss darauf reagieren. Bis hin zu einer wirklich robusten Außen-, Wirtschafts- und Militärpolitik.

Das klingt, als wäre das Politik aus dem 19. Jahrhundert. Aber genau nach solchen Maximen agieren heutige Autokraten und mischen sich schön längst massiv in die inneren Angelegenheiten westlicher Staaten ein. Und deshalb zielt insbesondere Moskau darauf, die westliche Demokratie und vor allem EU und NATO zu destabilisieren.

Wobei Putin direkt entgegenkam, dass sich die westlichen Geheimdienste nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 vor allem auf den islamistischen Terror konzentrierten und wichtige Kräfte aus der Beobachtung der Autokraten abzogen. Was ebenfalls Teil der massiven Unterschätzung Putins in den folgenden Jahren war.

Längst hat Steele den Wert seriöser Nachrichtenmedien für sich entdeckt, ist immer öfter in Zeitungen und TV-Sendungen präsent. Denn wenn die Regierungen nicht reagieren, wenn man ihnen die Erkenntnisse aus der eigenen Recherche auf den Tisch packt, und stattdessen sogar den Überbringer der Nachricht verteufeln, dann gehören die Informationen in die Öffentlichkeit. Dann muss dort erzählt werden, mit welchen Mitteln autokratische Regime wie das in Moskau nun schon seit Jahren daran arbeiten, die Demokratie zu zerstören und dabei auch vor dem Kauf vom willigen Politikern und Parteien nicht zurückschrecken.

Die größte Bedrohung

Steele hat sich von all den Angriffen, Verleumdungen und Klagen nicht abschrecken lassen. Denn er sieht, welche Folgen es hat, wenn Regierungen wie die in Moskau das Gefühl bekommen, dass ihnen der Westen nichts mehr entgegenzusetzen hat und freundlich wegschaut, wenn man ein friedliches Nachbarland überfallen lässt. Dass das nicht nur eine „neue Weltunordnung“ ist, ist Steele nur zu bewusst. Es zielt direkt auf die Demokratie und die Freiheit Europas. Wenn Putin die Ukraine bekommt, wird er damit nicht aufhören. Das wissen alle Länder, die schon einmal unter russischer Knute standen.

Im Grunde ist Steeles Buch eine Abrechnung mit der westlichen Selbstgefälligkeit, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion um sich griff und das Gefühl erzeugte, jetzt würde ein friedliches Zeitalter von ganz allein Wirklichkeit werden.

Aber so denken Autokraten nicht. Und das müssen wohl auch westliche Regierungen und Geheimdienste wieder lernen, wenn die Länder Europas ihre Freiheit bewahren wollen. Und eine Lehre hat Steele aus dem Jahr 2016 gezogen: „Zurzeit kommt die größte Bedrohung der westlichen Demokratie und des Rechtsstaats von Donald Trump und seiner Republikanischen Partei, die immer stärker zu willigen Helfern Putins werden.“

Geschrieben hat er das im Juli 2024, noch hoffend, Joe Biden würde die Präsidentschaftswahl gewinnen. Auch wenn schon damals ein möglicher Sieg Trumps nicht unwahrscheinlich war. Aber an Aktualität hat sein Buch deshalb nichts verloren.

Im Gegenteil: Es hat noch mehr Brisanz gewonnen. Und dürfte jedem, der das aktuell inszenierte Chaos auf allen Kanälen nicht mehr erträgt, eine ganz gute Orientierung sein, wo die heutigen Konfliktlinien in der (Welt-)Politik tatsächlich verlaufen. Es ist die Sicht eines einstigen Geheimdienstoffiziers, der hier konsequent seine eigene Geschichte erzählt und wie es 2017 zu dem „Medien-Tsunami“ um das „Steele-Dossier“ kam und wer dabei das allerhöchste Interesse hatte, den Autor als Schwindler darzustellen.

Ein Buch zum Munterwerden in einer Zeit, in der nicht nur die Leute im Kreml alles tun, um die so mühsam errungene Demokratie im Westen zu demolieren.

Christopher Steele „Ungefiltert. Trump, Russland und der globale Kampf um die Demokratie“ C. H. Beck, München 2024, 28 Euro.

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