Da war einmal ein kleines Dorf in Gallien, das sich mit den Kräften des Zaubertranks gegen die Römer wehrte, als Cäsar schon fast ganz Gallien erobert hatte. Es lag im sagenhaften Aremorica, nahe einer wunderschönen Felsenküste. Und das Schöne ist: Aremorica gibt es wirklich. Auch wenn man in Anja Stillers Buch keinen Geheimtipp findet, wie man das sagenhafte Dorf dort finden kann. Aber hinfahren kann man. Und leckere Gerichte gibt es auch.
Lange Zeit konzentrierte sich der Buchverlag für die Frau mit seinen kulinarischen Reisen vor allem auf (ost-)deutsche Landschaften. Dabei ist die erfahrbare und genießbare Welt viel größer. Was zumindest all jene wissen, die ihre Ferien nicht im Pauschalurlaub und in standardisierten Hotelburgen verbringen, sondern der eigenen Nase nach die Welt erkunden.
Und da gibt es allein in Europa so viele sagenhafte Gegenden, die man mit allen Sinnen – wirklich mit allen – entdecken kann, dass man sich eher wundert, warum sich Leute eigentlich ihren Urlaub von der Stange kaufen. 2023 gab’s deshalb schon eine Reiseempfehlung nach Südtitrol.
Also ab nach Aremorica. Was nichts mit dem großen Doppelkontinent Amerika zu tun hat, sondern schlicht mit einer „Landschaft vor dem Meer“. Und Meer gibt es jede Menge vor den Küsten jener französischen Provinz, in der Aremorica liegt: der Bretagne. Die wiederum eine Landschaft ist, die an eine ganz andere keltische Tradition erinnert. Denn sie heißt ja nicht ohne Grund (Klein)-Britannien: Es waren keltische Stämme, die hier vor rund 1.500 Jahren einwanderten, als Angeln und Sachsen die britische Insel eroberten.
Ein besonders Völkchen
Und die Bretonen haben sich tapfer Sprache und Kultur bewahrt. So ungefähr wie die Sorben in Sachsen – gegen alle Versuche des Staates, sie zu assimilieren und ihre Sprache auszulöschen. Das ist ja die Meise moderner Staaten: Dass alles gleich gemacht werden muss. Staatsmänner haben keinen Nerv dafür, wie es eine Kultur bereichert, wenn alte Sprachen und Kulturen überleben und gepflegt werden.
Bei einigen Festivals in der Bretagne kann man das (wieder) erleben. Auf die kommt Anja Stiller natürlich zu sprechen, nachdem sie die Geschichte, die Landschaft und die Eigenarten der Bretagne kurz beschrieben hat.
Mit nur zu berechtigten Hinweisen auf die faszinierenden alten Städte, die es sich hier zu entdecken lohnt – von der Hauptstadt Rennes über das viel berühmtere Saint Malo bis zum malerischen Morbihan, nach dem sogar eine ganze Bucht benannt ist. Die wiederum ihre landschaftlichen Reize hat, mit bizarren Felsformationen und zauberhaften Inseln.
Und nach wie vor scheint die Bretagne weitab all der Orte zu liegen, an denen sich die Touristen gegenseitig auf die Füße treten. Der Grund: möglicherweise das ozeanische Klima, das zwar für recht ausgeglichene Temperaturen sorgt (nie wirklich kalt im Winter und nicht so richtig heiß im Sommer), das aber eben auch ein sehr wechselhaftes Wetter aufbietet, das mitten am Tag völlig umschlagen kann.
Das ist dann eher etwas für Leute, die nicht so leicht frieren oder gewohnt sind, die Regenjacke immer dabei zu haben. Auch bei den Ausflügen in die uralten Kulturlandschaften, die an die Zeit vor 6.000 Jahren erinnern – mit jeder Menge Dolmen und Menhiren. Höhepunkt: Die Steinformationen von Carnac.
Tafeln wie Obelix
Aber Anja Stiller weiß ja, dass viele Leute nicht einfach so mal ihren Rucksack packen und in die Bretagne reisen können. Für sie sind ja diese kleinen Reiseeinladungen in besonderer Weise gedacht, denn mit diesen Büchlein kann man auch gleich die typischen Gerichte der Region entdecken, die man vielleicht im Leben nicht mehr bereisen wird. Aber man kann den Herd anschmeißen und nachkochen und -braten, was Anja Stiller im Rezeptteil dieses Büchleins versammelt hat. Natürlich alles typisch, manches auch noch mit seinem originalen keltischen Namen.
Und natürlich ordentlich portioniert. Man darf sich durchaus wie Obelix fühlen. Denn: „Hier kommen keine winzigen Feinschmeckerportionen auf den Tisch, sondern bodenständige einheimische Spezialitäten, zubereitet aus frischen, qualitativ hochwertigen Zutaten …“ Solche nämlich, die gleich nebenan geerntet und gefangen werden: Fisch, Meeresfrüchte, Lamm, Gemüse, Obst, salzige Butter und knusprig frisches Brot.
Und wenn Obelix dann die Karte studiert, dürfte er schnell in schwere Nöte geraten, was er nun bestellt oder ob er gleich alles auftafeln lässt – angefangen mit der Bretonischen Zwiebelsuppe über die Cotriade (für acht Personen – mit Makrele, Knurrhahn, Schellfisch, Goldbrasse, Meeraal – also all dem, was die Fischer vor der Küste aus dem Meer holen) bis Kig-Ha Farz, wo dann ordentlich Rind- und Schweinefleisch drin ist. Und zum Abschluss dann noch Bretonische Crêpes.
Am Ende der Welt
Zwischendurch lockten noch Moules et Frites (Schuscheln und Fritten), Jakobsmscheln und Fische in Salzkruste. Man merkt schon: Das Meer ist gleich um die Ecke. Und eigentlich kann man von hier bis England spucken. Auch wenn das aus der Sicht der Bewohner hier mal das Ende der Welt war – weshalb die westlichste Landschaft der Bretagne auch Finistère heißt: Ende der Welt. Man sieht Cäsar regelrecht da stehen am Strand und Ausschau halten: Soll er nun die Flotte rüsten, um auch noch das neblige Land da drüben einzukassieren?
Oder lieber da bleiben und sich ordentlich was zum Nachtisch auftafeln lassen, denn lecker Gebackenes gibt es hier auch: Far Breton (mit Backpflaumen und Armagnac), gefüllter Gateau Breton und Kouign-Amann. Klingt alles richtig bretonisch. Was es genau ist, darf jeder selbst herausbekommen. Die Rezepte sind wieder ordentlich erklärt. Man kann eigentlich nicht viel falsch machen, auch wenn man wohl erst mal einen Laden finden muss, der gesalzene Butter im Angebot hat.
Eine Küche zum Entdecken und ein Völkchen zum Entdecken, das sich aus guten Gründen noch immer zuerst als Bretonen versteht und erst in zweiter Linie als Franzosen. Was dann möglicherweise erklärt, warum René Goscinny und Albert Uderzo das kleine gallische Dorf genau hier platzierten – und nicht weiter südlich oder östlich. Denn hier lebt ja so ein selbstbewusstes Völkchen, das zwar gern mal rebelliert – wie einst François Mitterrand feststellte – aber am Sonntag fleißig die Regierung wählt.
Was man ja bedenkenlos machen kann, wenn die Regierung sich nicht in regionale Eigensinnigkeiten einmischt. Und sagenhaft ist es hier auch, verrät Anja Stiller noch, denn einige der wichtigsten Abenteuer der Artus-Sage sind hier lokalisiert, samt sagenhaftem Wald und verwunschenem See. Und da kann es schon mal passieren, dass einem beim Wandern ein geharnischter Ritter begegnet. Vielleicht.
Vielleicht auch nur, weil man im Wirtshaus dann doch zu viel bestellt hat, weil man einfach nicht widerstehen konnte.
Anja Stiller „Bretagne kulinarisch“ Buchverlag für die Frau, Leipzig 2024, 6 Euro.
Keine Kommentare bisher