Eigentlich ist es eher ein Grund zum Nachdenken, den Rainer Vothel im Vorwort benennt: Vor 100 Jahren wurde das Bauhaus aus Weimar von erzkonservativen Kräften vertrieben. Die Bauhaus-Leute gingen nach Dessau, wo sie später ebenfalls vertrieben wurden. Doch ihre Auffassung von moderner Architektur prägt bis heute weltweit die Vorstellung vom modernen Bauen. Aber woran denken Dichter/-innen eigentlich, wenn sie an Architektur und Häuser denken?
Jedenfalls nicht an stolze, glühende Städte. Auch wenn sich das die Herausgeber von der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik vielleicht so gedacht haben mögen, als sie die Architektur zum Thema des neuen Poesiealbums machten. Was schon verblüfft. Auch und gerade im Zusammenhang mit den Nachwirkungen des Bauhauses und seiner Vorstellungen von pragmatischer Architektur. Denn davon kommt dann in den Gedichten nichts vor.
Auch kein Glanz der großen Städte, kein Lied vom Aufstreben der Metropolen. Nichts. Stattdessen viele Reminiszenzen an das Bauen und Gestalten früherer Epochen, als Bauherren noch das menschliche Maß anlegten, wen sie Pfeiler und Wasserspeier verbauten, Schönheit ganz anders im Blick hatten als die Architekten von heute, die irgendwie das Bauen in Würfeln und Kästen verinnerlicht haben.
Die Wohnmaschine, um Le Corbusier zu zitieren, der damit tatsächlich glaubte, den geringverdienenden Malochern in der modernen Stadt etwas Gutes zu tun – Bauen von der Stange. Das aber bis heute nicht wirklich Dichter zu hymnischen Lobpreisungen animiert. Als fehlte da etwas. Als würde so nur eine gleichgültige Stadt entstehen.
So wie bei Christoph Kleinhubbert: „Es ist die beste / Stadt für Blinde. Die Stadt der Städte mit ihren / verwaschenen Fassaden dem abgeblühten Lack …“ Oder die „mit Krach / gepflasterte Stadt“ bei Patrick Schild. Und auch bei Eline Menke spricht die Stadt nicht (mehr): „Jeder Stein könnte / Sprache sein. Manchmal gehe ich in die Knie, / hebe Worte von der Straße auf. Sie sind / nichts wert ohne Zungen, die sie klingen lassen.“
Als hätten die Dichterinnen und Dichter, die zu diesem Thema ihre Gedichte hinsandten, geradezu ihren Protest in Verse fassen wollen gegen die Wortlosigkeit leerer Architektur. Wohnmaschinen bergen nichts. Sie laden nicht ein zum Besingen.
Der moderne Turmbau zu Babel
Stattdessen fliehen die Autor/-innen in ihren Gedichten zu Waldmühlen, verfallenen Schlössern, alten Kapitellen, alten Fabriken. Oder gleich zu Pieter Bruegels Bild vom Turmbau zu Babel. Als wäre der heute noch immer genau so aktuell in seiner Sprachenverwirrung: „Verwirrung – Irrtum – nicht zur Höhe hin – / Abgrund ihr Größenwahn – die harten Winden / kreischen herzzerreißend – offene Wunde“, schreibt Katrin Bibiella.
Als hätte allein schon das Wort „Architektur“ bei den Schreibenden das ganze Entsetzen über die entfremdete Stadt von heute ausgelöst, das orchestrierte Unbehaustsein in Orten, die nicht mehr für die Menschen gedacht sind, die sich darin aufhalten. Die von etwas anderem erzählen – seltsam kalte und herzlose Vorstellungen vom Bauen. So wie in Jan-Eike Hornauers Gedicht: „Der Mensch, er denkt im Winkelmaß / und will rundweg im Rechteck sein, / denn klare Kante zeigt allein: / Der Schöpfer seiner Welt – er war’s!“
Doch irgendwie leben kann man in diesen Konstrukten nicht. Auch dann nicht, wenn man sich an die architektonischen Zumutungen der Vergangenheit erinnert. So wie Ulrich Schröder, der sich an seine Schule „aus der Kaiserzeit“ erinnert, oder Kerstin Döhler, die ein verlassenes Schloss durchstreift. Dahinter eine kompakte Welt aus Wehmut, so wie bei Helmut Blepp, der sich mit „Elternhäusern“ beschäftigt und ihrem Vergangensein: „Wer hier lebte / lebt nimmer fort“. Denn eine Seele bekommen die Häuser ja nur, wenn Menschen darin leben.
Sind sie fort, bleiben nur Erinnerungen, so wie sie Gero Ulbricht beschreibt: „Stumme Blicke in längst vergangenes Leben und / wo einstmals Sonne im Glas sich spiegelte, / sehe ich in einen Schlund“.
… das wär ein Traum
Und so flüchten sich die Dichter/-innen in Klostergärten (Andreas Knapp) oder in die Kirche Notre Dame de Chartres (Anne Mai), zum Kolosseum in Rom (Holger Brülls) oder überhaupt in die namenlose Welt der Kathedralen (Mathias Kröner). Denn wenn man diese steinernen Zeugnisse der Vergangenheit verlässt, tritt man wieder auf Straßen, auf denen man sich nicht mehr behaust fühlt.
Straßen in gesichtslosen Städten, in denen alles so seelenlos aussieht, dass Dichterinnen nur noch die Augen schließen können und davon träumen, dass es vielleicht einmal anders wäre. So wie Elke Hübener-Lipkau: „Mutiert das Hässliche zu Schön, / kann Kunst und Zweck – vereint im Raum – / harmonisch ineinandergehn. / Ein solches Stadtbild wär mein Traum.“
Das sitzt. Und kommt trotzdem unerwartet. Denn Gedichte, die Städte und menschliche Meisterschaft im Bauen besingen, gibt es ja. Nur stecken sie mittlerweile in angejahrten Bänden. Die Gegenwart hat den mit dichterischem Blick Schauenden nicht mehr viel zu bieten außer Erinnerung und letztlich Straßen, die nichts mehr erzählen. Die so eigentlich auch eine beklemmende Leere auslösen. Weil das, was noch gebaut wird und da steht, keinen Bezug mehr hat zum Lebendigen. Denn aus dessen Position schreiben ja die Dichter.
Sie sind anspruchsvoll, weil sie alles auf sich beziehen. Und sich ganz natürlicherweise fragen: Was hat das (noch) mit mir zu tun? Und so fassen sie in Worte, was die viele Anderen, die keine Gedichte schreiben, trotzdem denken und fühlen. Und nur nicht aussprechen können.
Und wenn, dann nicht so deutlich, wie zum Beispiel Michael Eschmann, wenn er „Neue Häuser“ beschreibt: „In der Dunkelheit kann / ich sie ertragen, / bei Lichte nicht, / hochkantige Betonklötze, / den Himmel erobernd / alle immer gleich / wie aus de Retorte / geboren / ohne Sinn und Verstand.“
Leerer Pragmatismus
Und trotzdem, wie wir wissen, unbezahlbar geworden, weil, schon lange nicht mehr für Menschen gebaut wird, sondern für Aktienfonds und Renditen. Während unsere Städte immer gesichtsloser werden, wortloser sowieso. Orte, zu denen keine Sehnsucht mehr hinzieht, sondern nur noch das blanke Geldverdienen.
Womit eben nicht nur die Architektur hier im Zwielicht steht in ihrem leeren und gefühllosen Pragmatismus, sondern das Denken über Städte überhaupt. Als wären sie verraten und verkauft, dunklen Mächten übereignet, die das Leben darin immer unbezahlbarer und sinnentleerter machen.
Oder um es mit Gero Ulbricht in Verse zu fassen: „Verfall der Moderne – es sind Momentaufnahmen, / Hochglanz mit verschwimmenden Konturen, / in neuen Fassaden, / Fassaden aus Beton und Glas in stählernen Rahmen.“
Quadratisch pragmatisch. Und trotzdem leer. Unfassbar für den, der ein Zuhause sucht, einen Ort, der wärmt und schützt. Und einem vertraut wird irgendwann. Doch dazu bräuchte es etwas, an dem man sich halten kann, festhalten, um sich nicht zu fühlen wie ein ungebetener Gast, der hier gar nicht willkommen ist. Unbehaust, wie sich die Dichter ganz offensichtlich heute fühlen.
Das sagt eine Menge über den Zustand unserer Städte. Und über das, was die entscheidenden Leute heute als Architektur verstehen, die es auch geben kann ohne Menschen. Reißbrettarchitektur. Und damit wohl die falsche Lehre aus dem, was vielleicht einmal mit der Bauhaus-Idee gemeint gewesen ist.
Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik (Hrsg.) „Poesiealbum neu. Architektur“, Edition kunst & dichtung, Leipzig 2024, 7,80 Euro.
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