Im Mai konnte der Mรผnchner Verlag YES Publishing einen Band mit den verstรถrend faszinierenden Infografiken von Katja Berlin vorlegen. Grafiken, die nicht nur zeigen, wie schrรคg und seltsam das Denken der Rechtspopulisten in Deutschland ist, sondern unser aller Denken. Und das macht nun der nรคchste Band noch viel deutlicher. Ein Band, der eigentlich zeigt, wie sehr wir alle von falschen politischen Mรคrchen manipuliert werden. Aber auch von der eigenen Pantoffelmentalitรคt.
Den รผberhaupt ersten Band mit entlarvenden โTorten der Wahrheitโ mit den in โDie Zeitโ verรถffentlichten Grafiken von Katja Berlin legte YES Publishing sogar schon 2023 vor: โWofรผr Frauen sich rechtfertigen mรผssenโ.
Ein Thema, das auch im neuesten Band natรผrlich vorkommt, denn die Diskussion รผber alles, was Frauen angeht, Frauen machen, Frauen zustรถรt und Frauen (scheinbar) falsch machen, wird von Mรคnnern befeuert, die krampfhaftest bemรผht sind, an alten Rollenbildern festzuhalten und sich mit Hรคnden und Fรผรen dagegen wehren, dass Frauen wie gleichwertige Menschen behandelt werden.
Man ist ja von Zeit zu Zeit geneigt, den schรถnen Versprechungen von Gleichberechtigung tatsรคchlich Glauben zu schenken und die Gegenwart fรผr ein Paradies der Emanzipation zu halten. Doch ein Blick in die Wirklichkeit (und alle Statistiken) zeigt, dass das alles nur schรถne Versprechungen sind. Wer im Pantoffel-Land Deutschland eine Familie grรผnden will, merkt sofort, was alles falsch lรคuft, erstarrt ist oder als faule Ausrede aus den Mรผndern entscheidender Mรคnner trรถpfelt.
Im Land der Spieรer-Debatten
Was einmal als gezeichneter Bรผrowitz in Katja Berlins erstem Bรผrojob entstand, hat sich lรคngst zu einem der bissigsten und herzerfrischendsten Beitrรคge in deutschen Medien entwickelt. Meist reichen ein, zwei, drei bunte Balken mit kleinen, eindeutigen Aussagen, und es klatscht einem regelrecht ins Gesicht, wie sehr diese Grafiken die ganze Wahrheit รผber uns und unser spieรiges und vergangenheitsbesoffenes Deutschland aussagen.
Und รผber unsere Neiddebatten, die ganzen zornigen Diskussionen รผber Frauen, Auslรคnder, Kinder, Woke und sonstige Minderheiten, die regelmรครig โ auch in den groรen, mรคnnerdominierten Medien โ abgekanzelt werden. Zurechtgewiesen, weil sie ganz offensichtlich die geltenden Spielregeln nicht begriffen haben und am Ende selbst schuld daran sind, was ihnen zustรถรt und wo sie landen.
Und manche Grafiken sind so simpel und eingรคngig, dass man sich fragt: Wer wรคhlt denn dann eigentlich stรคndig die Mรคnner, die uns dann in politischer Verantwortung all diesen Bockmist erzรคhlen, der das Land nur lรคhmt, kleinredet oder gleich mal nahe am Untergang sieht? Haben diese Pfeifen keine Frauen, die ihnen zu Hause die Wahrheit ins Gesicht sagen?
Etwa wenn sie โ egal wie die Konjunktur im Superwirtschaftsland Deutschland gerade lรคuft โ predigen: โWir mรผssen sparen. Wir mรผssen sparen. Wir mรผssen sparen.โ
Jede Hausfrau weiร, dass man dann, wenn man mal Geld hat, die Waschmaschine reparieren lassen muss oder neue Klamotten fรผr die Kinder kauft. Nur deutsche Finanzminister augenscheinlich nicht. Hรคtte das Buch Seitenzahlen, wรผrde ich auch gleich die Seite verraten, auf der dieser Konjunkturzyklus der dummen Ausreden zu sehen ist. Hat es aber nicht.
Die nรผchterne Weltsicht der Frauen
Was aber gar nichts macht, denn egal, von wo man blรคttert: Man wird beschenkt. Manchmal auch mit einem befreienden Lachen, das einem die Trรคnen in die Augen treibt. Etwa wenn Katja Berlin sichtbar macht, welche Auslรคnder in deutschen Groรstรคdten die weitreichendsten Probleme machen. Spoiler: Es sind nicht die Asylsuchenden, sondern Groรinvestoren aller Himmelsrichtungen.
Aber noch viel schรถner sind Katja Berlins Bilder zur tatsรคchlichen Diskussionskultur der Deutschen, die irgendwie noch aus dem spรคten 19. Jahrhundert zu stammen scheint, gerade wenn es um Frauen geht und ihre Rolle als Mutter โ als Noch-nicht-Mutter, Jetzt-aber-Mutter, Nun-leider-Mutter. Oder wer sorgt eigentlich zu 80 Prozent fรผr beitragsfreie Kinderbetreuung? Die Antwort findet man im Buch genauso wie die Lรถsung des Rรคtsels, woran man fรผr Kinder vermarktete Lebensmittel erkennt.
Bei der deutschen Gleichstellungsdebatte darf einem tatsรคchlich die Verzweiflung ins Gesicht springen, genauso wie beim Thema โSichtbarkeit von Frauenโ. Das eben nicht nur Frauen angeht. Aber Frauen merken es zwangslรคufig, Mรคnner merken es meistens nicht einmal, wenn ihnen eine Frau auf den Fรผรen steht.
Und es sind eben in der Regel nicht die Nachbarn (auch wenn es auf die oft genug auch zutrifft), die einen mit den ganzen bekloppten Debatten behelligen, รผber die sich โdie Deutschenโ so gerne aufregen.
Auch wenn es in der Regel nur รผberbezahlte Mรคnner in รผberheizten Redaktionsstuben sind, die sich jeden Tag einen neuen Grund dafรผr ausdenken, sich echauffieren zu kรถnnen โ zum Beispiel รผber Verspรคtungen oder Erziehung (meistens die von anderer Leute Kinder) oder den Strukturwandel, der in deutschen Zeitungsdebatten eigentlich nur mit drei Argumenten verkauft wird: โWollen wir nicht. Kรถnnen wir nicht. Geht nicht.โ
Im Land der Miesepeter
Man erkennt den ganzen lรคhmenden und triefnasigen Mulch tatsรคchlich wieder, der einem tรคglich als โpolitische Debatteโ angedreht wird. Gerade die mediale (Schein-)Diskussion ist von dieser Miesepeter-Mentalitรคt geprรคgt. Etwa wenn einer mal einen klugen รnderungsvorschlag macht, aber dann umgehend zur Sau gemacht wird, wenn nicht alles daran perfekt ist. Es geht manchen Mรคnnern eben auch wie Frauen: Sie animieren die hosentragende Konkurrenz zum Mobben und Niedermachen.
Und so ist auch die schรถne Torte entlarvend, aber nur allzu treffend: โWas derzeit die Debatten beherrschtโ. Ein bisschen ist es die Kรผnstliche Intelligenz, aber dominierend ist etwas ganz anderes, was eigentlich in den Boulevard gehรถrt, aber lรคngst alle nur noch schein-seriรถsen Medien beherrscht: die kรผnstliche Empรถrung.
So etwas lieben die Deutschen: Niedermachen, Zerreden, Schlechtmachen, Unken, Verteufeln. Alles, was heute ist, ist sowieso schlecht, frรผher war eh alles besser. Nur dass man fรผr gewรถhnlich, als man in diesem Frรผher lebte, genauso geredet hat. Der Deutsche lebt immer in der Sehnsucht nach einem War-einmal, das es nie gegeben hat. Hauptsache: Muffeln und Meckern.
Und Rechthaberei, in jeder Situation. Das sorgt dann auf schรถne Weise dafรผr, dass jede Diskussion mindestens in einer verbalen Prรผgelei endet. Und in faulen Ratschlรคgen und verzerrten Weltwahrnehmungen โ etwa zur Klimapolitik der Bundesregierung, die eigentlich nicht mal Zwergengrรถรe hat. Aber gemault wird โ รผber die Klimapolitik der Bundesregierung. Eine Zumutung! Wie kรถnnen die nur?!
Eine Arznei gegen den tรคglichen Irrsinn
Und so zeigt sich bei jedem Umblรคttern, wie schief die Weltwahrnehmung der (meisten) Deutschen ist, wie sich ganze Horden wรผtender Mรคnner gegenseitig aufstacheln beim Lรคrmen รผbers Gendern, aber den Klimawandel einfach fรผr Pillepalle halten. Es stimmt schon: Katja Berlins Grafiken spiegeln vor allem die aktuellen medialen Groรerzรคhlungen. Ob das die meisten Deutschen auch so sehen, weiร ja keiner.
Aber die aktuellen Wahlumfragen deuten darauf hin, wie sehr sich die Meisten eben doch von diesem Gebrodel anstecken lassen und die Debatten dann auch noch in die Bรผros und die Familien tragen. Aufregen um jeden Preis. Gern auch รผber โdie Frauenโ. Ein Thema, auf das Katja Berlin aus guten Grรผnden immer wieder zurรผckkommt. Die mit ihren Infografiken einen Journalismus vorfรผhrt, von dem sich eine Menge Mรคnner eine Scheibe abschneiden kรถnnten.
Etwa wenn es um die Altersrenten von Frauen geht, russischen Investitionen ins deutsche Internet oder die Ideen konservativer Politiker, wie sie die Wirtschaft ankurbeln wollen. Ein ja bekanntlich gerade wieder aktuelles Thema, bei dem ihnen eigentlich nur eins einfรคllt: das Bรผrgergeld kรผrzen und gegen den Mindestlohn wettern.
Es ist wieder ein Bรผchlein geworden, das man am besten gleich auf das Schrรคnkchen im Flur legt, um es griffbereit zu haben, wenn man nach Hause kommt: eine bunte Portion geballter gesunder Menschenverstand, den man als Arznei gegen den Blรถdsinn einnehmen kann, den man tagsรผber von allerlei Miesepetern, Nรถrglern und Pantoffelmachos gehรถrt hat.
Eine Portion tรคglich. Dosierung frei wรคhlbar, denn jede diese Grafiken tut gut und befreit vor allem das geplagte Gehirn von den unverdauten Dummheiten des tรคglichen รถffentlichen Geschwรคtzes.
Katja Berlin โWer mit dem Mindestlohn gut leben kannโ YES Publishing, Mรผnchen 2024, 16 Euro.
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