Was wäre, wenn … wenn mehr deutsche Politiker in Mathematik besser aufgepasst hätten und mit Prozentrechnung, Multiplikation und Plus und Minus umgehen könnten? Mal von den Wählern ganz zu schweigen, die ja ganz offensichtlich jedem Heißluftballon hinterherlaufen, aber die Folgen falscher Politik für sich selbst nicht abschätzen können? Das sind so Fragen, die mitschwingen, wenn man Esther Gonstallas neues Buch mit lauter erhellenden Grafiken durchblättert.

Die – da staunt man natürlich ein bisschen – mit lauter Tagesmeldungen hochaktuell sind. Etwa mit der Grafik „Wenn man die reichsten 0,1 % der Bevölkerung höher besteuert …“ Die SPD zieht ja nun mit dem Vorschlag in den Bundestagswahlkampf, die reichsten1 Prozent höher zu besteuern. Und Leute wie Christian Lindner (FDP) und Friedrich Merz (CDU) schäumen gleich mal vor Wut. Wie kann man sich denn an den Superreichen im Land vergreifen?

Nur dass dieses reichste Prozent längst so viel Geld verdient und besitzt, dass man allein mit 1 Prozent Vermögenssteuer (gegen die die Parteien der Reichen natürlich schon von Natur aus sind) locker die Energiewende bezahlen kann – und den Staatshaushalt auch noch ausgleichen könnte. Kein Bundesfinanzminister müsste überzogene Sparprogramme auflegen.

Das ist aber Mathematik. Und das ist meistens nicht die Stärke von manchen Bundesfinanzministern. Esther Gonstalla rechnet es vor: Wenn die deutschen Superreichen nur jeweils 1 Prozent auf ihr Vermögen zahlen würden, wären das pro Nase rund 8,6 Millionen Euro. Das darf man dann mit 82.000 multiplizieren und kommt auf rund 705.200.000.000 Euro. Etwas übersichtlicher: 705 Milliarden Euro. 700 Miliarden Euro, die im Staate Deutschland an allen Ecken und Enden fehlen. Deutsche Brücken können ein Lied davon singen. Schulen und Krankenhäuser ebenfalls. Usw.

Verschonte Vermögen

1997 wurde die Vermögenssteuer aber von der Kohl-Regierung aus fadenscheinigen Gründen ausgesetzt. Nicht abgeschafft. Der Bundestag könnte problemlos eine neue Vermögenssteuer beschließen, muss sich nur an die Definitionsvorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten.

Wer wissen will, warum sich immer mehr bezahlbare Mietwohnungen in deutschen Großstädten in Eigentumswohnungen verwandeln und der Wohnungsmarkt kollabiert, der sollte sich genau mit dieser Steuer beschäftigen. Wenn die SPD es ernst meint mit einer Vermögenssteuer für die reichsten 1 Prozent, geht es in dieselbe Richtung: Der Staat nimmt all die Milliarden Euro endlich wieder ein, die er dringend für den Substanzerhalt braucht. Und für die Energiewende und die Klimaneutralität.

Welch letztere natürlich eine vielfach in Grafiken gepackte Rolle in Eshter Gonstallas Buch spielen. Etwa in der Grafik, die zeigt, wie mickrig die notwendigen Investitionen in die Klimaneutralität im Vergleich mit den Kosten für die Klimafolgen sind. Etwa die Grafik, die das dumme Geschwätz in vielen deutschen Medien ergänzt, in dem immer nur die Kosten der Klimaneutralität beschworen werden – eine herrliche Argumentation, um die Leute zu erschrecken und zu suggerieren, dass das nicht bezahlbar ist.

Das kann man natürlich behaupten, wenn man die Kosten des Klimawandels kleinrechnet oder nur einige davon nimmt und dann so tut, als wäre das verkraftbar. Allein die direkten Klimawandelfolgen der Jahre 2019 bis 2021 verursachten in Deutschland Schäden in Höhe von 145 Milliarden Euro, also pro Jahr 48 Milliarden Euro. Mal sind es Überschwemmungen, mal Dürren und Ernteausfälle, mal Wirbelstürme.

Daneben kann man einen Artikel aus dem „Tagespiegel“ packen, in dem es heißt: „Der Weg zur Klimaneutralität wird den Staat einer Studie zufolge rund 760 Milliarden Euro kosten. Jährlich müsse die öffentliche Hand zwischen 2025 und 2045 im Schnitt rund 38 Milliarden Euro für Klima-Investitionen aufwenden …“

Die Zahl stammt aus einer Meldung der Agora Energiewende vom 15. Oktober, in der es eigentlich um viel mehr ging. Denn bei Agora Energiewende hat man rechnen gelernt und weiß, dass eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, die sich nicht ans Klima anpassen, die keine moderne Energieversorgung aufbauen und an veralteten Wirtschaftsmodellen festhalten, nicht nur draufzahlen, sondern den Wettbewerb verlieren.

Die Artikelschreiber vom „Tagesspiegel“ aber haben nur flugs ihren Taschenrechner rausgeholt und hochgerechnet: Hui, das wird ja teuer?!

Achja?

Wenn man allein die Klimaschäden von 2019 bis 2021 nimmt, wird es noch viel teurer: nämlich 960 Milliarden Euro bis 2045. Welcher Manager wird dann das Weiterso wählen, wenn er nicht völlig mit dem Klammersack gepudert ist?

Die Bürger mit „Kosten“ verdummen

Aber genau so ticken deutsche Politiker und deutsche Medien. Und vergessen dabei auch noch, dass es in einer funktionierenden Wirtschaft keine „Kosten“ gibt. Denn die von Agora Energiewende hochgerechneten Summen sind – wer hätte das gedacht? – Investitionen. Investitionen, die ganzen Branchen Feuer unterm Hintern machen würden, die Innovationen vorantreiben würden, die Jobs und Einkommen bedeuten und damit wieder Konsum und Steuereinnahmen.

Oder noch einmal betont: Manche deutschen Finanzminister haben in Mathematik geschlafen.

Punkt.

Bevor ich richtig sauer werde.

Aber solche Überraschungen bietet das Büchlein von Esther Gonstalla haufenweise. Verblüffend nur für Leute, die in Mathematik gepennt haben und einfach nicht rechnen können. Und das scheint nun mal leider in Deutschland die Mehrheit zu sein. Das geht bei den faulen Rechnereien los, mit denen Verteidiger der Atomkraft die Investitionen in Grüne Energie dem scheinbar billigen Atomstrom gegenüberstellen (und die Kosten und Subventionen für Atomkraftwerke einfach unter den Tisch fallen lassen).

Das geht beim internationalen Flugverkehr weiter, bei dem sich die fliegende Elite, die sich die Flüge leisten kann, diese Athmosphärenverschmutzung einfach kleinredet: Ist ja nicht so schlimm. Sind ja nur 2 Prozent der Treibhausgase (also international genauso viel, wie die Bundesrepublik an CO2 in die Luft pustet.)

Das geht mit dem enormen Energieverbrauch von Bitcoins und KI weiter, die dafür sorgen, dass Serverfarmen mittlerweile dieselbe dreckige Energiebilanz haben wie einige Industrienationen allein. Das geht mit den enormen Ressourcenverbräuchen von Rindfleisch weiter. Wieviele Menschen könnten satt werden, wenn auf den von Rindern begrasten Weiden einfach Obst und Gemüse wachsen dürften? Oder Getreide? Vom Trinkwasser ganz zu schweigen.

Falsches Denken, falscher Lebensstil

Natürlich prägt der Lebensstil den Energieverbrauch und damit die Umweltbelastung. Und nicht nur eine Grafik zeigt, dass der Lebensstil der reichsten Erdbewohner ganz allein völlig ausreicht, unseren Planeten in eine Wüste zu verwandeln. Und manchmal reicht auch der Platz auf den Doppelseiten nicht, etwa wenn Esther Gonstalla zeigen will, wie weit man mit 1 Kilo CO2 kommt. Mit Auto und Flugzeug sind es lächerliche 6 Kilometer, zu Fuß schafft man damit locker 24, mit dem Fahrrad 48 Kilometer. Und dann wird es erst recht spannend (zumindest für Leute, die rechnen können): Mit dem Elektrobus sind es schon mal 300 Kilometer, und wenn der ICE mit grünem Strom gefüttert wird, sind es 7.700 Kilometer.

Und auch auf das ewige Gejammer um die derzeit noch 17.000 Arbeitsplätze im deutschen Braunkohletagebau hat Esther Gonstalla eine bildliche Antwort, denn diesen armen Jobbern in einer veralteten Branche stehen 250.000 qualifizierte Jobs im Handwerk gegenüber, die dringend für die Energiewende gebraucht werden, für die aber die Leute fehlen.

Und so geht das munter weiter – bis zur deutschen Extrawurst beim – fehlenden – Tempolimit auf Autobahnen. Damit ist Deutschland wirklich weltweit allein – und wundert sich jetzt mit großen Kulleraugen, warum die deutsche Automobilindustrie den Anschluss verliert. Warum wohl? Kann es sein, dass das Dümmste, was Automanager machen können, all die Bettelrunden bei deutschen Verkehrsministern sind, mit denen sie ihr Erfolgsmodell von vorgestern bis in alle Ewigkeit fortschreiben wollen? So eine Blödheit bestraft der Weltmarkt – und zwar ziemlich schnell.

Trillionen für Fossilien

Die wirklich teure Rolle von Bestäuberinsekten thematisiert Esther Gonstalla genauso liebevoll wie die Investitionen in fossile und grüne Energie seit 2015. Denn während die mathematisch begabten Politiker seit dem Pariser Kimaabkommen 9,9 Trillionen Euro in Grüne Energie investiert haben (oder investieren ließen), haben die dummen unter ihnen noch einmal 7,6 Trillionen Euro in fossile Energie gesteckt.

Gonstalla zeigt die Effizienz von Windrädern, die lange Dauer, bis ein frisch gepflanztes Bäumchen überhaupt erst zum CO2-Speicher wird, was eine nachhaltige Landwirtschaft für Mensch und Umwelt bedeuten würde …

Und wo sie schon mal dabei ist, stellt sie die tatsächlichen Investitionen in Klima- und Umweltschutz der Bundesrepublik 2024 (39 Milliarden Euro) den längst bekannten umweltschädlichen Subventionen (65 Milliarden Euro) gegenüber. Oder das Vogelsterben an Windrädern dem Massenvogelsterben durch die gemeine Hauskatze. Und natürlich die tatsächlichen Zahlen beim deutschen Versuch, die Pariser Klimaziele irgendwie anzusteuern, dem tatsächlichen Ergebnis. Das Ziel wird Deutschland mit den aktuellen Maßnahmen nicht erreichen – und riskiert lieber Milliarden-Strafzahlungen.

Wer kann da nicht rechnen?

Vielleicht sollten Mathematiklehrer einfach anfangen, ihre Schüler mit Aufgaben zur Klima- und Umweltrechnung munter zu machen. Und dafür zu sensibilisieren, dass man im Leben doch zumindest ein paar Grundrechenarten drauf haben sollte, bevor man sich etwa als Finanzminister/-in bewirbt.

Es ist nicht das erste Buch, das Esther Gonstalla so mit höchst aktuellen Grafiken gespickt hat. Mit dem „Waldbuch“ und dem „Klimabuch“ hat sie auch schon genug Futter bereitgestellt für alle, die wirklich wissen wollen, wie teuer fossiles Wirtschaften und ein rücksichstloser Umgang mit unserer Umwelt schon heute ist.

Esther Gonstalla „Was wäre, wenn … Unsere Welt in verblüffenden Grafiken“, Oekom Verlag, München 2024, 14 Euro

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