Einen Stadtführer soll das Mini aus dem Buchverlag für die Frau nicht ersetzen, betont Erik Gloßmann. Deswegen gibt es auch keinen Stadtrundgang, aber jede Menge Musst-du-gesehen-Haben. Denn so sind die Städte-Minis aus dem Buchverlag für die Frau ja gedacht: neugierig zu machen auf Städte und das Besondere an ihnen. Das man von außen oft nicht sieht. Aber die Eingeborenen wissen es. Und wissen auch, dass alles mal mit einem Fischerdorf an der Nuthemündung in die Havel begann.

Damals. In der Bronzezeit. Und danach ging es auch nicht so schnell voran. Potsdam blieb sehr lange ein kleines, überschaubares Nest irgendwo in Brandenburg, wurde dann von Berlin abgehängt und blieb in dessen Schatten. Irgendetwas fehlte immer, das Städtchen aus seinem Schlummer zu holen. Es blieb über Jahrhunderte ein „ärmliches Nest, um das selbst die berüchtigten Raubritter einen Bogen machten“. Also verpfändeten es die Landesherren immer wieder mal. Und wenn einmal im Jahrhundert ein Pferdedieb gehängt wurde, war das ein Ereignis für Generationen.

Witwensitz und Sanssouci

Eine Burg hatte man zwar. Aber die lockte auch keine Belagerer an. Bis dann 1598 Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg beschloss, dass das kleine, unscheinbare Potsdam der Witwensitz für seine Gemahlin Katharina von Brandenburg-Küstrin werden sollte. Die Burg wurde zum Schloss ausgebaut. Aber Katharina starb schon 1602, die Möbel wurden beräumt und Potsdam (das da immer noch Potsdam geschrieben wurde) wurde ein weiteres Mal verpfändet. So was brennt sich ein in die Erinnerung einer Stadtgemeinde. Anderswo ging die Post ab, nur nicht in Potsdam.

Bis dann wieder ein brandenburgischer Kurfürst eine kleine Idee hatte, was man mit dem Städtchen anfangen könnte. Das war dann Kursfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst, der besonders durch sein „Edikt von Potsdam“ in die Geschichtsbücher einging, das den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten ein neues Zuhause in Brandenburg bot. Was Brandenburg wirtschaftlich tüchtig voranbrachte.

Und Potsdam? Potsdam ließ der Große Kurfürst in ein großes Gartenreich verwandeln und zugleich zur Residenz ausbauen. Aus dem alten, maroden Schlösschen wurde ein repräsentatives Stadtschloss. Und damit war eigentlich der Anfang gemacht für die Verwandlung Potsdams in eine Stadt mit insgesamt 26 Schlössern, die im Lauf der Zeit gebaut wurden.

Zwischenzeitlich regierte dann noch der Soldatenkönig auf Preußens Thron und machte Potsdam zur Garnisonsstadt. Das brachte Geld und Leben in die Bude. Friedrich der Große ließ sich sein Sanssouci erbauen, in dem sich mit den schönen Seiten seines Regierens beschäftigte, während er anderswo seine Kriege führte. Aber was mit dem Soldatenkönig begonnen hatte, prägte Potsdam fortan. Immer neue Parks und Schlösser entstanden. Friedrich II. ließ Brunnen, Palais und ein eigenes schickes Brandenburger Tor bauen. All das, was die Stadt bis heute prägt. Samt Militärwaisenhaus, was zumindest an einen König denken lässt, der bei der Kriegführung auch daran dachte, dass seine großen Schlachten immer auch jede Menge vaterloser Kinder produzierten.

Was Gutes für die Bürger

Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. baute dann noch ein Marmorpalais und ließ den Gartenkünstler Lenné die Parkanlagen in englischem Stil umformen.

Und dann kommt so ein schöner Satz: „Im Gegensatz zum Großen Friedrich, der wenig Rücksicht auf andere genommen hatte, versuchte sein Neffe, auch den Bürgern Gutes zu tun.“

Man merkt, wie persönlich Erik Gloßmann die Potsdamer Geschichte nimmt. Und dass er nicht von oben draufschaut wie die meisten Historiker, sondern von unten, aus der Perspektive, aus der man als fußläufiger Bürger die „großen Taten“ der Mächtigen meistens sieht. Und was schenkte Friedrich Wilhelm II. den Potsdamern? „Er ließ die erste Chaussee Preußens bauen, die Potsdam über die Glienicker Brücke mit Berlin verband und den Verkehr erheblich erleichterte.“

Sodass im Folgenden dann viele reiche Berliner sich ihre Sommervillen im nicht ganz so lauten und schmutzigen Potsdam bauen ließen. Was auch deshalb angenehm war, weil die Soldaten nicht mehr bei den Bürgern einquartiert waren, sondern hübsch in ihren neuen Kasernen eingesperrt.

Dafür blieben dann die Könige weg und regierten wieder vom Berliner Stadtschloss aus ihre Preußen. Auch das sorgte für eine schöne Ruhe an der Havel. Wo sich dann die Prinzen der Preußen in hübschen neuen Schlösschen einquartierten. Ergebnis: eine „romantische Kulturlandschaft und kaiserliche Bürgerstadt“ mit Einsteinturm und Filmstudio, die heute in großen Teilen UNESCO-Kulturerbe ist.

Cecilienhof und Garnisonskirche

Das berühmteste Schloss schrieb dann 1945 auch noch Weltgeschichte, als sich die Siegermächte im Schloss Cecilienhof zur Verabschiedung des Potsdamer Abkommens trafen. Aber Gloßmann erinnert auch daran, dass der US-Präsident Truman den Befehl zum Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki von Potsdam aus gab. Irgendwie wollte er ja dem bisherigen Verbündeten Stalin zeigen, wo der Hammer hängt. Oder wer jetzt den größeren Hammer hatte.

Die Folgezeit stand dann eigentlich unter der großen Überschrift: Wie gehen die neuen Mächtigen mit der Bausubstanz um? Erhalten sie das alte Residenz-Potsdam oder reißen sie es ab? Manches wollten sie unbedingt abreißen – wie die Potsdamer Garnisonskirche, die durch den Händedruck Hitlers mit Hindenburg in die NS-Geschichte einging. Dieses Symbol sollte verschwinden. Das Stadtschloss war bis in die jüngere Zeit Diskussionsthema – bis der brandenburgische Landtag den Aufbau mit neuem Inhalt beschloss und selber einzog.

Nur die Überschrift für dieses letzte Kapitel klingt zweischneidig: „Landeshauptstadt und Restauration“. Wenn man das auf die gesellschaftlichen Verhältnisse bezieht, wird es ein wenig – ironisch. Obwohl es eher auf das große Bemühen der Potsdamer gemünzt ist, verlorene Bauten im Stadtbild wieder herzustellen und die Wunden der Vergangenheit zu schließen.

Manchmal halfen dabei auch Milliardäre wie Hasso Plattner, der einfach den umstrittenen Platz der zwischenzeitlichen Potsdamer „Blechbüchse“ aufkaufte und den lokalen Streit um das, was da stehen sollte, damit beendete. Stattdessen wurde das historische Palais Barberini an dieser Stelle rekonstruiert und zum attraktiven Kunstmuseum gemacht. Streit beendet, Frage geklärt.

Denn dass die heutigen Architekturlösungen für Lückenbebauungen irgendjemanden befriedigen, kann eigentlich nicht behauptet werden. Da bauten die Altvorderen einfach schöner und stilvoller. Weshalb man eben nach Potsdam fährt und sich das – mit dem Mini in der Westentasche – alles in aller Ruhe anschauen kann. Mit dem nur zu berechtigten Gefühl, dass der Mensch schöne Orte braucht, an denen er ganz zwecklos Schauender und Beseelter sein darf.

Kleines Fazit des Autors: „Allmählich gehen den Richtungskämpfen um die Gestaltung Potsdams die Reizobjekte aus.“ „Ästheten“ und „Geschichtsbewusste“ haben irgendwie zu einem Kompromiss gefunden, bei dem auch die Geschichte selbst nicht versteckt wird. Auch nicht die Garnisonskirche. Manchmal muss man auch solche Bauwerke stehenlassen oder eben wieder hinstellen, damit sich die Vorbeigehenden erinnern, dass da mal was war.

Etwas, was kein Mensch wieder haben möchte (außer die wirklich Unbelehrbaren). Oder mit Gloßmanns Worten: „Möge dieser schönen Stadt, die so viele Besucher verzaubert, der Frieden erhalten bleiben.“

Das nennt man mal ein mit Herz und Parteilichkeit geschriebenes Stadtporträt. Aber so sehen nun einmal viele Stadtbewohner ihre Stadt. Es ist immer die schönste von allen. Und wenn sie das Besondere daran benennen sollen, erzählen sie eine lange und aufregende Geschichte und kommen ins Schwärmen. Und wollen einem natürlich alles zeigen, wenn man mal mehr als nur ein Stündchen mitbringt, um sich vor Ort mal ein bisschen umzuschauen.

Erik Gloßmann „Potsdam“ Buchverlag für die Frau, Leipzig 2024, 6 Euro.

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