Der kesse Spruch, den Gotthard Erler und Christine Hehle für den Buchtitel ausgewählt haben, stammt nicht von Emilie Fontane selbst, sondern von Theodor Fontane. Und wenn man auch noch die Fortsetzung liest, ahnt man, wie sehr Fontane seine Frau nicht nur als Wegbegleiterin durchs Leben zu schätzen wusste: „und es ist ein Malheur wenn sie anders sind.“ Ein wichtiges Zitat, das die Botschaft dieser Autobiografie auf den Punkt ist. Auch wenn es gar keine ist.
Denn eine solche hat Emilie Fontane nie geschrieben. Die Deutungen über ihr Leben haben andere übernommen – Herausgeber, Kritiker, Leute, die das Leben Theodor Fontanes zur Biografie verwandelten und dabei oft genug sehr herablassend über seine Frau schrieben. Belegt meist mit ein paar wenigen heftigen Kommentaren, in denen Theodor auch einmal schimpfte mit seiner Frau … Das klingt jetzt schon wieder doof, weil es so herum eigentlich falsch ist.
Denn mit Emilie hat Theodor eine Lebensgefährtin gefunden, die ihm bis zum Schluss kongenial zur Seite stand und ohne die eigentlich die Werkstatt Fontane überhaupt nicht denkbar ist.
Eine Lanze für Emilie
Es ist nicht das erste Buch, mit dem Gotthard Erler, der auch lange Jahre für die Herausgabe der Fontane-Gesamtausgabe verantwortlich war, versucht, das falsche Bild von Fontanes Gefährtin geradezurücken. Auch im Aufbau Verlag ist der Band „Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles“ erschienen, der den Briefwechsel zwischen Theodor und Emilie zum Inhalt hat und damit das intensive Gespräch in Briefen, das die beiden ein Leben lang führten.
Briefe, in denen sie so offen und unverblümt miteinander umgingen, wie sie das ganz offensichtlich auch im Alltag taten – insbesondere an den Abendstunden, wenn des Tages Müh bewältigt war und sie Zeit hatten, über alles zu reden, was sie beschäftigte, so frei von der Leber weg, wie ihnen war. Sie nannten es liebevoll „papeln“.
Und dabei wälzten sie ihre familiären Sorgen genauso wie die große Politik, den Umgang mit ihren Freunden und Bekannten und die literarische Arbeit. Denn Letztere war eben nicht nur Theodors Sache. Was diesen Band nun über Emilie so besonders macht, sind nicht nur die ausgewählten rund 150 Briefe von ihr, Teil jener 500 Briefe, die sich im Fontane-Archiv erhalten haben.
Es sind die fundierten Einleitungen in jedes der elf Lebenskapitel, die mit den Briefen thematisiert werden, die wiederum auf Gotthard Erlers Kommentaren zum 1998 erschienenen „Ehebriefwechsel“ und auf seiner Emilie-Biografie von 2002 beruhen und all das erzählen, was in Emilies Briefen nicht zu finden ist oder nur andeutungsweise.
Obwohl Emilie eine fleißige Briefschreiberin war. Was eine Untertreibung ist. Sie muss in ihrem Leben tausende Briefe geschrieben haben, von denen nur ein winziger Bruchteil ins Archiv gekommen ist. Immerhin lebten die Fontanes in einem Jahrhundert, in dem an E-Mails und „Social Media“ nicht zu denken war. Von einem Telefon ist in den Briefen auch keine Rede.
Ab und zu mal von einem Telegramm. Wenn man damals miteinander kommunizieren wollte, dann musste, durfte und konnte man Briefe schreiben. Die Post war zuverlässig und schnell. Und gerade wenn die beiden getrennt waren, schrieben sie auch einander über alles, was sie bewegte und besorgte.
Ein Leben in finanzieller Unsicherheit
Da konnte auch Emilie ihren Theodor mal zusammenstauchen, wenn er – aus ihrer Sicht – wieder einmal eine wichtige sichere Position fahrlässig aufgegeben hatte, erst seine Anstellung bei der stockkonservativen „Kreuz-Zeitung“, später den ihm angeboteten Job als Akademie-Sekretär. Beide Male kündigte Theodor Fontane selbst, weil er von Vorgesetzten schäbig behandelt wurde oder mit falschen Versprechungen regelrecht über den Tisch gezogen wurde. Und manchmal dauerte es Tage, bis sie im gegenseitige Hin und Her den Streit beilegen konnten. Denn natürlich hatte Emilie berechtigt Angst vor den finanziellen Unsicherheiten.
Obwohl beide es eigentlich ein halbes Leben lang gar nicht anders kannten. Fontane gehört zwar heute immer noch zu den wenigen, vielfach gelesenen Autoren dieser Zeit. Aber es dauerte, bis er auch für seine Zeitgenossen zu einem gefeierten Autor wurde, dessen Honorare endlich ausreichten, die tägliche Angst darum zu beenden, dass das Geld nicht reichen könnte. Schreiben war für Fontane immer beides – schöpferisches Handwerk und Broterwerb.
Und Erler schildert sehr genau, wie dieses Handwerk damals vonstattenging. Denn eine Schreibmaschine besaßen die Fontanes auch nicht. Jedes Manuskript musste mit der Schreibfeder niedergeschrieben werden – samt Korrekturen, Verbesserungen, Ausstreichungen.
Und das bei einem Licht, das wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können, denn Strom gab es in der Potsdamer Straße 134c auch nicht. Also wurde mit entsprechend lichtschwachen Funzeln geleuchtet. Und wenn Theodor sein Manuskript beendet hatte, bekam es Emilie, die es sauber abschrieb (und über die schlechten Schreibfedern fluchte), damit es als Druckvorlage in die Druckerei gehen konnte.
Erler rechnet es vor, wie viele zehntausend Seiten die beiden im Verlauf von Fontanes Karriere als Schriftsteller auf diese Weise mit der Hand geschrieben haben mussten. Emilie kannte also jedes Wort in Theodors Arbeiten. Und nicht nur in ihren Briefen muss sie Theodor auch immer wieder zu Korrekturen angeregt haben, weil er erzählte Situationen nicht bewältigt hatte.
Und Liebesszenen scheinen eine echte Schwäche für Theodor gewesen zu sein. Aber auch die lebendigen Dialoge, durch die sich alle seine späten Romane auszeichnen, scheinen im Gespräch der beiden Eheleute ihren Humus gefunden zu haben. Denn Emilie hatte ein sehr gutes Gespür für realistische und lebendige Dialoge.
Der späte Erfolg
Und eigentlich leidet man auch ein wenig mit, weiß man ja als Fontane-Leser, dass er erst mit fast 60 Jahren endlich seine großen Romane schreiben konnte. Vorher hatte ihm der Kampf ums liebe Einkommen letztlich die Zeit gefressen, war er gezwungen, gut verkäufliche Arbeiten – wie seine großen Bücher über den Krieg von 1866 und den Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 – zu scheiben.
Parallel seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Aber seine wirklich großen Erfolge waren erst seine großen Berliner Romane, die ab 1880 erschienen und die deutsche Romanwelt auf eine Weise revolutionierten und modernisierten, wie man sich das heute kaum noch vorstellen kann. Es sei denn, man legt die langatmigen und oft genug schwülstigen Bestseller seine Zeitgenossen dagegen.
Auch Emilies späte Briefe erzählen immer wieder von der langen Zeit der Entbehrungen, des Bangens um die nötigen Einnahmen und der oft fehlenden Erholung. Und von Theodors unermüdlichem Fleiß, der sich nie entmutigen ließ, den Unterhalt für seine Familie mit der Feder zu erschreiben. Daran hat sich ja für schreibende Menschen bis heute nichts geändert. Literatur macht nicht reich, wenn man nicht gerade schafft, zum viel gelesenen Bestseller-Autor zu werden.
Auch dann nicht, wenn man – wie Theodor Fontane – voller Geschichten ist und eine so lebendige Sprache schreibt, dass die Geschichten zu Herzen gehen und den Nerv der Leser/-innen treffen. Wie viel Arbeit das tatsächlich macht, merken ja die Leser/-innen nicht, sollen sie auch nicht merken.
Aber auch die Geschichte seiner Berliner Romane erzählt eben davon, dass Erfolg nicht berechnet werden kann, dass oft auch die Verleger zögern oder sich verweigern, weil ihnen der Stoff zu mutig ist oder als nicht verkäuflich erscheint. Oder als nicht angemessen.
Das gehört ja gerade zu den damaligen Diskussionen um Fontanes Romane, die jene Seiten der Berliner Gesellschaft offenlegten, über die in der Regel nur hinter verschlossenen Türen geredet wurde. Erst recht, wenn eigenwillige Frauen wie Effi Briest im Mittelpunkt der Geschichten standen. Man darf die durchaus angestaubte Moral jener Gesellschaft nicht vergessen, die nun auf einmal mit solchen „Frauengeschichten“ konfrontiert wurde.
Das lange Warten
Aber auch Emilie hatte ja so eine Geschichte als nichteheliches Kind eines französischen Exilanten, aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, in der sie dem jungen Theodor begegnete, mit dem sie sich 1845 – 19 Jahre alt – auf der Weidendammer Brücke in Berlin verlobte. Eine Information, die Theodor hinterlassen hat – so wie viele Ereignisse aus Emilies Leben nur deshalb bekannt sind, weil Theodor sie aufgeschrieben hat.
Aber 1845 begann gerade erst die lange Wartezeit, denn fünf Jahre lang konnten die beiden nicht heiraten, weil Theodor noch kein festes Einkommen hatte. Und als sie dann heirateten, war für beide nicht absehbar, wie lange sie die dauernde finanzielle Unsicherheit begleiten würde.
Aber am Ende betont Emilie auch ihren Bekannten und Briefpartner/-innen gegenüber immer wieder, dass sie diese Zeit nie hätte missen wollen, dass es letztlich eine glückliche Ehe war, die sie mit Theodor führte. Eine Ehe, in der sie sich auch in Briefen immer wieder ihre Liebe bestätigen und ihre Sehnsucht nacheinander. Und man ahnt, dass das eine Sehnsucht ist, wie sie nicht viele Paare vereint – eine von zwei Menschen, die sich auf Augenhöhe begegneten und alles miteinander bepapeln konnten. Und Theodor wusste ganz bestimmt auch aus eigener Erfahrung, dass es solche „Dichterfrauen“ nicht wirklich überall gab.
Frauen, die dem schreibenden Mann in seinem Arbeitszimmer eben nicht nur den Haushalt besorgten, sondern seine Arbeit teilten und in weiten Teilen überhaupt erst möglich machten, wie Gotthard Erler mehrfach schildert. Auch in deutlicher Kritik an früheren Einschätzungen von Biografen zu Emilie, die ihre Rolle entweder gewollt abwerteten oder einfach ignorierten und sie in ihren Büchern geradezu zum Heimchen am Herd machten, das Theodor geistig nicht das Wasser reichen konnte. Was Emilie ganz bestimmt nicht war. Sie gebildet, beherrschte Englisch und Französisch und las Bücher in diesen Sprachen im Original.
Die Lesende
Die Lektüre der wichtigsten Neuerscheinungen teilten sich die beiden Fontanes wohl und bildeten sich gemeinsam ihre Urteile. Die Novelle „Der Schimmelreiter“ von Storm begeisterte sie gleichermaßen. So ist auch das Bild auf dem Buchcover richtigerweise platziert – es ist eine Aquarell-Gouache von Adolph Menzel, mit dem die Fontanes ebenfalls freundschaftlich verkehrten.
1872 malte es Menzel in Folge eine verlorenen Wette – als Wettschuld kam es in den Besitz der Fontanes, kam später auf Abwege und konnte bei einer Auktion wiederentdeckt und für das Fontane-Archiv gesichert werden. Und man kann sich durchaus auch Emilie als diese lesende Frau vorstellen.
Eine Frau, mit der sich Theodor über seine eigene Arbeit, seine Novellen und Ideen jederzeit unterhalten konnte. Beim gemeinsamen „Papeln“, das übrigens auch Maßstäbe setzte. Denn beide Fontanes berichten immer wieder von Gesellschaften, auf denen sie sich aufgrund der anspruchslosen Gespräche herzlich gelangweilt haben (von anderen natürlich auch).
Denn natürlich hängt die Latte hoch, wenn Ehepartner sich gegenseitig so befeuern. Und Erler geht wohl keinen Schritt zu weit, wenn er meint, dass viele herzhafte Dialoge in Theodors Berlin-Romanen ohne Emilie gar nicht denkbar wären.
Seine Einleitungen zu jedem einzelnen Kapitel ergänzen also die ausgewählten Briefe, in denen Emilie selbst zu Wort kommt. Auch wenn sie wohl nie im Leben auf die Idee gekommen wäre, eine eigene Autobiografie zu schreiben. Also gibt es nachträglich eben doch eine, die die Frau an Theodor Fontanes Seite als genau das zeigt, was sie auch war: eine kongeniale Mitstreiterin, die ihm nicht nur seine Kinder gebar und die eigentlich viel zu kleine Wohnung in der Potsdamer Straße in Schuss hielt (oder mit ihm daraus floh, wenn nebenan wieder mal ein Haus abgerissen wurde).
Und gerade ihre Briefe zeigen, wie leicht ihr das Schreiben fiel und wie sie auch das Persönlichste thematisierte. Und das auch in den Briefen an ihre Freundinnen und Bekannten. Lauter Dinge, die heute im elektronischen Geschwätz meistens untergehen, in Floskeln ertrinken, ohne dass sich noch jemand Zeit nimmt, die Dinge gedanklich aufzudröseln und zu erklären.
Künftigen Generationen werden die Briefe fehlen, die wir heute nicht mehr schreiben. Das steht schon mal fest. Gerade wenn sie die Biografien von Autoren schreiben wollen und sich nur mit Recht die Frage stellen, wer diese eigentlich unterstützt hat und ihr Leben geteilt hat. Und ob da dieselben Synergien funkten, wie sie zwischen Emilie und Theodor funkten. Im Grunde machen Gottfried Erler und Christine Hehle mit diesem Buch eben auch klar, dass wir die alten Märchen vom einsamen Genie endlich zu Grabe tragen sollten.
Vielleicht ganz mit Theodors bezaubernder Nüchternheit, die bis heute aktuell und lesenswert ist. Und das nun einmal auch, weil er immer eine aufmerksame Lektorin und Korrektorin an seiner Seite wusste. Was er übrigens in den eigenen Briefen ebenfalls würdigt. Man muss nur aufmerksam darauf achten. Und genau dazu laden Erler und Hehle hier ein.
Emilie Fontane „Dichterfrauen sind immer so. Eine Autobiographie in Briefen“ Aufbau Verlag, Berlin 2024, 26 Euro.
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