Im Januar sorgte die Recherche von Correctiv zu einem Treffen von hochrangigen AFD-Vertretern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern in Potsdam für Aufsehen, bei dem die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland Thema war. Wie unterm Brennglas machte das Treffen deutlich, was tatsächlich der Kern dessen ist, wofür die AfD steht. Ein Aufschrei ging durch das Land. Über drei Millionen Menschen demonstrierten. Und trotzdem fuhr die AfD bei vier Wahlen hohe Ergebnisse ein.

Reicht es also nicht, dieser in mehreren Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingeschätzten Partei die Maske vom Gesicht zu reißen und zu zeigen, wie deren Vertreter versuchen, unsere Demokratie mit allen Mitteln zu zerstören? Vielleicht braucht es tatsächlich viel mehr bunte Karten und Grafiken, auch um zu verstehen, dass es für einen nicht gerade kleinen Teil der Wählerschaft kein Problem ist, einer rechtsextremen Partei ihre Stimme zu geben.

Denn sie tickt genauso und ist nur zu leicht verführbar, sich wieder nach einem „starken Führer“ zu sehnen, Feindbilder zu pflegen und das Misstrauen in Medien, Politik und Staat zu multiplizieren.

Rechtsextremismus geht durch die Köpfe, stärkt sich in Milieus und profitiert von simplen Weltbildern. Das wirkt bei vielen Wählern, die sich überfordert fühlen. Nicht nur in Deutschland. Deswegen beschränken sich die Karten in diesem Buch, bei dem Correctiv und Katapult zusammengearbeitet haben, nicht auf Deutschland, sondern zeigen auch die Erfolge rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in anderen Ländern.

Teilweise sitzen sie dort längst an den Hebeln der Macht und setzen die „Strategien aus dem Playbook der Rechtsaußen-Parteien“ um. Denn wenn sie den Griff zur Macht schaffen, dann ist ihr allererstes Ziel, sich dort so festzusetzen, dass andere Parteien keine Chance mehr haben, um in demokratischen Wahlen zu gewinnen.

Der Griff der Rechtsextremen zur Macht

Victor Orbán macht es in Ungarn vor. Die PiS hat es in Polen über Jahre versucht und zum Glück nicht geschafft, auch wenn deren Demolierung demokratischer Institutionen auch heute noch das Leben in Polen belasten. Auf einer Doppelseite machen die Autor/-innen diese Praktiken sichtbar, mit denen Rechtspopulisten in Ungarn, Polen, Österreich und Italien entweder versucht haben, den Staat in ihrem Sinne zu demontieren – oder es schon geschafft haben.

Es sind dieselben Rezepte, mit denen auch die AfD mittlerweile immer unverhohlener ihre „Machtübernahme“ ankündigt. Grund genug zum Erschrecken.

Nicht der einzige. Denn längst ist die AfD zum parlamentarische Arm der radikalen Rechten geworden, die vorher jahrzehntelang nie geschafft hat, sich wirklich dauerhaft in den Parlamenten festzusetzen. Verschwunden waren die Nazis und Neonazis nie.

Im Gegenteil: Sie haben auch schon ohne die AfD alles dafür getan, ihr völkisches Denken zu verbreiten, Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, Morde und Anschläge zu planen. Man vergisst es nur immer wieder. Die Tagesberichterstattung eilt von einem Thema zum nächsten. So scheinen all die rechtsextremen Umtriebe sich in lauter Einzelfälle aufzulösen. Obwohl sie das nicht sind.

Und so zeigt das Buch eben auch in anschaulichen Grafiken, welche rechtsextremen Netzwerke in Deutschland in den letzten Jahren aufgeflogen sind, wie groß das gewaltbereite Personenpotenzial ist, wo sie Häuser besitzen und Konzerte veranstalten. Ihre Morde werden ebenso auf einer Karte dargestellt wie ihre massierten Aufmärsche, mit denen sie ganze Regionen einschüchtern. Denn Rechtsextremismus lebt von Angstmachen und Einschüchterung.

Der alte und der heutige Faschismus

Und das ist nicht neu. Weshalb große Teile des Bandes eben auch die Vorgeschichte beleuchten. Die Wahlen in der Weimarer Republik z. B., in denen die NSDAP am Ende genug Mandate errang, um die Regierung regelrecht zu kapern, aber auch das riesige Meer von Gefangenen- und Vernichtungslagern, mit denen die Nazis halb Europa überzogen. Andere Karten und Grafiken zeigen, wie altbewährte Nazis nach dem Krieg weiter Karriere machten oder wie sich rechtsextreme Parteien in den Parlamenten wiederfanden.

Ergebnis einer nie wirklich konsequenten Entnazifizierung. Das prägte viele Behörden bis weit in die 1980er Jahre und erklärt zu einem großen Teil, warum auch gegen die neuen, die neonazistischen Bestrebungen behördlicherseits viel zu zaghaft vorgegangen wurde oder Ermittlungen – wie beim NSU – in die völlig falsche Richtung liefen.

Während sich längst neue Strukturen bildeten, mit denen Neonazis aller Schattierungen ihr Denken in die Welt trugen. Mit neurechten Verlagen, „alternativen“ Medien bis hin zu Shops voller Nazi-Klamotten und Devotionalien. Nach wie vor besitzen tausende bekannte Neonazis Waffen – ganz legal, wie eine Linke-Anfrage im Bundestag ergab. Viele andere horten illegale Waffen. Die Verbindungen reichen bis in die Bundeswehr und die Polizei, die beide in den letzten Jahren ihre entsprechenden Skandale hatten.

Einige Grafiken machen auch deutlich, wie sehr rechte Extremisten von Krisen profitieren und daraus Stoff für Propaganda und Hass gewinnen. Und längst sind die Grenzen zu Verschwörungsideologien und „Reichsbürgern“ fließend. Auch die leben vom manifesten Misstrauen in Staat und Demokratie, bieten ihren Anhängern simple Weltbilder an und malen die Welt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Weltbilder, die alles scheinbar ganz einfach machen. Schuld sind immer nur die Anderen.

Die Gier nach der Macht

Da geht dann bei vielen Leuten einfach unter, dass es den Rechtsextremen nicht darum geht, das Land friedlicher, wohlhabender, gerechter zu machen. Ihnen geht es um Macht – gewaltsame, rücksichtslose Machtausübung gegen alle Andersdenkenden, Andersgläubigen, gegen Demokraten und Friedliebende.

Weshalb es keineswegs überraschte, als 2017 der Skandal um die Gruppe „Nordkreuz“ aufflog, die sich aus Beständen von Bundeswehr und Polizei Waffen und Munition besorgt hat. Die Fahnder fanden damals eine Liste mit 25.000 Namen von Politikern, Journalisten, Flüchtlingshelfern, die die Gruppe im Visier hatte.

Aber es gibt auch die Bildtafeln, die zeigen, wie Propaganda im Internet wirkt und wie die Algorithmen dort die Botschaften der Rechtsextremen verstärken. Andere Tafeln zeigen, wie Rechtsextremismus und Rechtspopulismus weltweit agieren – etwa mit rechtsextremen Söldnertruppen, die Konflikte in Europa und Afrika schüren. Rechtsextremismus hat viele Gesichter. Wovon auch autoritäre Staaten wie Russland profitieren.

Denn hier können westliche Nazis bewundern, wie ein Land unter einem kraftmeiernden Diktator funktioniert – nach außen hin scheinbar besser als jede Demokratie. Da kann einer durchgreifen. Das lieben Nazis. Auch wenn sie sich blau anmalen und den braven Bürger spielen: In den Netzwerken verbreiten sie dann auch nur zu gern ihre Tötungsphantasien und kennen keine Scheu, dabei Stereotype aus dem NS-Reich zu verwenden.

Und so zeigt dieser Band im Grunde, auf wie vielen Ebenen der Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft fortwährend präsent ist – und wie er auch politische Debatten bestimmt, wo völkische Weltsichten auf einmal mitten in den Diskurs gelangen – von wilden Deportationsphantasien bis hin zu rigiden Gesetzen zur Schwangerschaft. Den Faschismus will alles reglementieren, auch das Kinderkriegen.

Was tun?

Dabei lohnt sich Widerstand. Wir müssen uns das nicht gefallen lassen. Wir können an Demonstrationen teilnehmen, wir können Demokraten wählen, wenn Wahlen sind. Auch dazu gibt es eine kleine Handreichung. Genauso wie den Blick in die Pläne der AfD zur Besteuerung, die endgültig verraten, dass diese Partei nicht die Bohne übrig hat für „kleine Leute“. Die braucht sie nur als Stimmvieh.

Die geplanten Steuergesetze sind ganz und gar Steuererleichterungsgesetze für Reiche und Superreiche. Was logisch ist. Denn damit werden die Finanziers hinter der rechten Partei bedient. Das Land und das Funktionieren der Gemeinschaft sind der AfD wie allen anderen rechtsextremen Gruppierungen völlig egal.

Was auch bei den wilden „Remigrations“-Plänen deutlich wird, die vor allem all jene Branchen treffen würden, in denen heute Menschen ohne deutschen Pass tätig sind. Von den Millionen Deutschen mit „Migrationshintergrund“ ganz zu schweigen, die Typen wie Höcke ja auch aus dem Land schaffen möchten. Und dann? Dann klappt Deutschland einfach zusammen, weil die allernotwendigsten Arbeiten nicht mehr geleistet werden.

Ein Buch zur Warnung, zur Aufklärung, zum Erschrecken. Ein Buch für alle, die das Gefühl haben, dass man das permanente Rumoren der Rechtsradikalen im Alltag nur zu schnell wieder vergisst, weil irgendwelche anderen Sachen die Nachrichten dominieren. Aber sie rumoren weiter und bauen weiter an ihren Vorstößen, unsere Demokratie zu zerstören und in etwas zu verwandeln, in dem es keine Rechtssicherheit mehr gibt, keine Meinungs- und Pressefreiheit. Sicherheit für Menschen, die diese Leute verachten, erst recht nicht.

Mit Karten und Grafiken ist das alles vielleicht besser fassbar. Und regt vielleicht sogar dazu an, selbst tätig zu werden, die Demokratie zu stärken. Oder auch unabhängige Medien zu stärken, ohne die eine informierte Demokratie nicht funktioniert – ein Thema, das Correctiv, Katapult und die LZ vereint. Aber das Wichtigste ist wohl – was die beiden Vorworte betonen –, dass man sich nicht entmutigen und einschüchtern lassen darf im Kampf gegen die Angriffe von rechts.

Mit den Worten von Katapult-Herausgeber Benjamin Fredrich: „Weiter. Wir machen weiter.“

Correctiv „100 Karten über Rechtsextremismus“ Katapult Verlag, Greifswald 2024, 28 Euro.

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