Auch Zögerer und Zauderer können Weltgeschichte machen. Manchmal viel nachhaltiger als die Kraftmeier und Großmäuler. Und das sogar aus viel menschlicheren Gründen. Nur: Sie bekommen in der Regel wenig Ruhm, auch nicht von Historikern, die viel zu leicht übersehen, wie auch vorsichtige Herrscher Geschichte machen und damit die Welt für immer verändern. So wie das in der Regierungszeit Friedrich III. von Sachsen wer, den die Nachwelt Friedrich den Weisen nannte. Denn weise war er, keine Frage.
Auch wenn man das Wort weise mit politisch klug übersetzt. Das gilt für unsere Gegenwart, in der Egomanen und Selbstdarsteller glauben, sie wären allein politisch klug, genauso wie für die Zeit Friedrichs des Weisen, der von 1463 bis 1525 lebte und bei seinem Regierungsantritt 1486 nicht ahnen konnte, was ihm da später mit Luther und der Reformation noch blühen würde.
Die letzte umfassende Biografie zu Friedrich dem Weisen erschien 1984 aus der Feder von Ingetraut Ludolphy. Mehrfach bezieht sich der Leipziger Theologe und Kirchengeschichtler Armin Kohnle auf diese bislang maßstabsetzende Arbeit. Aber in den 40 Jahren seither gab es mehrere fundierte Forschungen zu Friedrich dem Weisen. An etlichen Editionen war auch Kohnle selbst beteiligt, der aus dieser Fülle nun ein deutlich verändertes Bild sächsischen Kurfürsten zeichnen kann. Und das auch betont in seinem Buch so umsetzt.
Im Schatten Luthers?
Denn viel zu oft wird die Regierungszeit Friedrich III. aus der Reformations- und Lutherperspektive gezeichnet. Ganz so, als spiele Friedrich nur eine Rolle als Wegbereiter der Reformation. Dabei wird geradezu unsichtbar, dass Friedrich selbst eine unverwechselbare Handschrift als Herrscher hatte, die sein Kurfürstentum genauso prägte wie seine Rolle als einer der mächtigsten Fürsten des Reiches. Bis hin zu seiner Nähe zu den Kaisern aus dem Hause Habsburg. Eine Nähe, die nicht nur auf dem Papier existierte.
Mit Kohnle erlebt regelrecht mit, wie Friedrich sich immer wieder in die Dienste der Kaiser – insbesondere Maximilian I. – stellte, wie er aufwändige Reisen zu den Reichstagen auf sich nahm mit großen Tross, würdig eines deutschen Kurfürsten, der sich seines Ranges unter den deutschen Fürstenhäusern nur zu sehr bewusst war. Der auch intensive politische Netzwerke unterhielt, die Teil seiner Machtpolitik waren, aber auch Teil seiner Friedenspolitik.
Und da wird dieser Friedrich auf einmal sehr modern – einerseits in der klugen und sparsamen Verwaltung seines Landes, das er – anders als etliche seiner präsentationssüchtigen Standesgenossen – nicht in Schulden stürzte, obwohl viele bis heute bewunderte Renaissancebauten auf seine Initiative zurückgehen.
Kohnle lädt regelrecht dazu ein, sein Kurfürstentum einmal ganz ohne Luther und Reformation kennenzulernen, auch wenn beides natürlich die letzten Kapitel im Buch dominiert. Aber ohne Friedrich und die Gründung der Universität in Wittenberg im Jahr 1502 hätte es auch Luther so nicht gegeben.
Jedenfalls nicht diesen, der sich in Wittenberg erst zu einem der bekanntesten Theologen des Reiches profilierte und mit seiner Kritik der kirchlichen Praxis selbst erst hineingestoßen wurde in eine Entwicklung, an deren Ende das stand, was wir heute als Reformation verstehen.
Wie sollte man Politik machen?
Und dabei ging es beiden – Friedrich II. und seinem Professor Luther nur um eines: tiefste Gläubigkeit, bei Friedrich auch in der Form tiefster Frömmigkeit und einer bis 1517 gelebte Sammelleidenschaft für Reliquien. Die Wittenberger Hofkirche war bis zu Luthers Thesenanschlag einer der größten Sammelorte von Reliquien. Friedrich wetteiferte da mit anderen Fürsten um den größten Reliquienschatz.
Dass ausgerechnet hier die Reformation beginnen würde, wäre daher eigentlich nicht verstehbar, würde man mit Kohnle nicht eintauchen in die komplexe Persönlichkeit Friedrichs, der eine kluge Landesverwaltung genauso ernst nahm wie die Zusammenarbeit mit hochgebildeten Beratern und seine Unabhängigkeit als Fürst. Immer wieder – gerade bei Kaiserwahlen – ging es um die Frage: Wer lässt sich kaufen? Und wer bewahrt sich auch unter größtem Druck die Unabhängigkeit, vor dem eigentlichen Wahlgang niemandem eine Zusage zu machen?
Eine Haltung, mit der Friedrich unter den Fürsten durchaus Wertschätzung erfuhr. Und 1519 gewann er tatsächlich die Wahl zum deutschen König, auch wenn er die Wahl – auch aus gesundheitlichen und Altersgründen – nicht annahm.
Immer wieder wird deutlich, dass hinter seinem Zögern und Taktieren immer auch sein Selbstbewusstsein als Herrscher stand, der gar nicht erst den Geruch von Käuflichkeit aufkommen lassen wollte. Wohl wissend, dass dadurch Abhängigkeiten entstanden, die ihm künftige Handlungsmöglichkeiten beschnitten.
Und das in einer Welt, wie Kohnle stellenweise sehr detailliert zeigt, in der Intrigen, taktische Lügen, Bestechungen und trickreiches Verhandeln zum ganz normalen politischen Geschäft gehörte. Man darf sich aus guten Gründen an unsere Gegenwart erinnern, mitsamt all ihren Käuflichkeiten, ihrem Opportunismus, den Lügen und falschen Versprechungen und der stillen Korruption in den Hinterzimmern.
Wer eine Universität gründet …
Gleichzeitig legte Friedrich viel Wert auf standesgemäße Repräsentation, übernahm auch nur zu gern von den Habsburgern das, was man heute Imagepflege nennen würde, nachvollziehbar bis heute in den vielen Gemälden und Münzen, die sein Konterfei tragen. Die berühmtesten wurden gemalt von Lucas Cranach und seiner Werkstatt, die in Wittenberg praktisch direkt am Schloss ihren Platz fand.
Dabei war Wittenberg auch für damalige Verhältnisse ein Nest, auch wenn es vorher die Residenz der Askanier war (von denen die Wettiner den sächsischen Herzogtitel geerbt haben). Doch eine größere Rolle in der Landespolitik spielte Wittenberg erst, als Friedrich das Schloss bauen, die Schlosskirche entstehen ließ und dann 1502 die Universität aus der Taufe hob, mit der er ein Gegengewicht unter anderem zur Universität Leipzig im albertinischen Sachsen schaffen wollte.
Nicht ahnend, dass er mit dem jungen Studenten und späteren Theologieprofessor Luther einen Mann nach Wittenberg holen würde, der beim intensiven Bibelstudium beginnen würde, die Praxis der Papstkirche gründlich infrage zu stellen. Und was 1517 mit einem Thesenanschlag begann, kulminierte binnen weniger Jahre zu einer Entwicklung, in der das Kurfürstentum Sachsen zum Nukleus der Reformation werden würde.
Und Armin Kohnle beleuchtet natürlich auch akribisch Friedrichs Verhältnis zu Martin Luther und all die Thesen zu der Frage, ob und wie Friedrich die Reformation eigentlich mitgetragen hat. Und fast bedauert man den gealterten Fürsten, der natürlich bemüht war, seinen Professor Luther zu schützen und davor zu bewahren, dass er in die Fänge der Päpste geriet. Selbst den Reichstag in Worms, wo Luther von seiner Lehre abschwören sollte, rückt Kohnle in ein anderes Licht. Man sieht den Kurfürsten und seine Räte – allen voran Spalatin – immerfort agieren, Kontakte knüpfen, päpstliche Gesandte ausbremsen, Auswege suchend.
Und wenn schon diese Phase an Spannung nichts zu wünschen übrig lässt, so sind die letzten Lebensjahre Friedrichs regelrecht überformt durch die Reformation, die geradezu zum Selbstläufer wurde und in der Luther immer mehr an Format gewann und am Ende selbst seinen Fürsten ermahnte, tröstete und im Grunde weitertrieb. Denn Friedrichs Friedenspolitik auch im eigenen Land hatte Folgen, denn sie wirkte akzeptierend für die neue Bewegung.
Und je strikter er klagenden Kirchenfürsten mitteilte, dass er sich in Glaubensangelegenheiten nicht einzumischen gedenke, umso deutlicher wurde, dass ihm die Lutherische Erneuerungsbewegung ganz und gar nicht inakzeptabel erschien, dass er darin sogar Vieles von dem wiederfand, was seine eigene, tiefe Frömmigkeit ausmachte.
Keine Braut für Friedrich
Und so hielt sich Friedrich III. selbst bei den gewalttätigen Konflikten zurück, die im Lauf der Reformation auch sein Kurfürstentum heimsuchten. Kohnle erwähnt extra den Umgang mit Thomas Müntzer. Mit Müntzer und den aufständischen Bauern würde sich dann erst Friedrichs Bruder Johann beschäftigen, der nach Friedrichs Tod 1525 die Herrschaft übernahm – und wesentlich weniger Skrupel hatte, den Aufstand der Bauern auch mit Waffengewalt niederzuschlagen.
Aber das ist dann eine andere Biografie, eine, die über Jahrzehnte natürlich parallel lief zum Lebensweg Friedrichs III., denn der bezog seinen Bruder schon frühzeitig in die Regierungsgeschäfte ein. Auch weil er selbst es zeitlebens nicht schaffte, eine standesgemäße Braut zu finden und damit die eigene Nachfolge zu sichern.
Es war auch für Renaissancefürsten ganz und gar nicht einfach, wirklich eine Braut zu finden, die den eigenen Ansprüchen genügte. Da und dort erwähnt Kohnle dann auch die Frau, mit der Friedrich dennoch Kinder hatte und die er auch im Testament bedachte. Aber zur offizellen Braut konnte er Anna nie machen.
Und dabei wird ma,n gerade weil die Nachrichten so spärlich sind, neugierig. Während bei Luther klar ist, dass man keine Szenen der untertänigen Begegnung Luthers mit seinem Fürsten finden wird. Denn auch um Luther zu schützen, hielt Friedrich deutlich Distanz zu seinem berühmtesten Theologen. Alle Verbindungen liefen über seine Räte. Und wo es brenzlig wurde – wie bei der Scheinentführung auf die Wartburg –, schweigen auch die überlieferten Akten und Briefe.
Aber was Kohnle eben trotzdem gelingt (und trotz der Bitte des Verlages, sich an die gewünschte Seitenzahl zu halten), ist das Porträt eines Renaissancefürsten, der viel zu oft nur als Marginalie am Rand von Luther- und Reformationserzählungen erscheint, der aber in wesentlichen Punkten erst all das ermöglicht hat, was wir heute Reformation nennen.
Und das oft aus Motiven, die mit Luthers Lehre gar nichts zu tun haben, dafür viel mehr mit Eigensinn und fürstlichem Selbstbewusstsein, mit der bewussten Rolle eines der sieben deutschen Kurfürsten und seinen Vorstellungen von einem gut verwalteten und – auf die Zeit bezogen – auch modernen Land.
Frieden als Regierungspraxis
Denn die Wittenberger Universität hat er ganz bewusst auch als Gegenpol zu den teilweise sehr altertümlichen Universitäten in den Nachbarländern aus der Taufe gehoben und Professoren dafür geworben, die oft genug direkt aus der humanistischen Bewegung der Zeit kamen. Und einem Forscher wie Kohnle kommt auch zugute, dass Friedrich zeitlebens einen intensiven Briefwechsel mit Standesgenossen und Gelehrten, die er respektierte, unterhielt.
Auch darin ein zutiefst moderner Mensch, ein Renaissancemensch in genau dem Sinne, wie es oft aufgefasst wird – gebildet und hoch interessiert, auch wenn er selbst nie studiert hat. Und politisch eben nicht nur stur und eigensinnig, sondern stets auch darauf bedacht, kluge und friedliche Lösungen zu finden, auch wenn das – etwa auf den Reichstagen – jahrelange zähe Verhandlungen mit den anderen Fürsten und Reichsständen bedeutete.
Man merkt: Auch das ist irgendwie Politik, wie wir sie heute erleben könnten, wenn nicht alles durch enge Wahlzeiträume in kleine Happen und enge Zeitfenster gepresst wäre. Was natürlich überlegenden, zögernden und vorsichtigen Politikern, wie Friedrich einer war, kaum Spielräume gibt. Dafür sorgen schon die schrillen Medien, die solche Zauderer mit Gebrüll und fetten Schlagzeilen fertigmachen.
Andererseits erlebte ja auch Friedrich der Weise in seinen letzten Lebensjahren mit, wie sich die Zeiten überstürzen konnten und nicht nur die Reformatoren, sondern auch die päpstlichen Gegenspieler ungeduldig wurden und die Ereignisse vorantrieben.
Tatsachen schaffen, so nennt man das heute, lernt aber an der Luthergeschichte auch, dass sich straflüsterne Päpste damit selbst eine Falle stellen konnten und eigensinnige deutsche Fürsten (Friedrich war ja nicht allein) deshalb gerade in den Protest treiben würden, weil sie sich diese Einmischungen in die Reichspolitik mit gutem Recht verbaten.
Friedrich hat davon nur die ersten Jahre erlebt und war wohl am Ende froh, dass er die Bürde der Regierungsgeschäfte an seinen Bruder abgeben konnte, der sich als Johann der Beständige selbst einen Namen gemacht hat als Beschützer der Reformation.
Armin Kohnle „Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen“ Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2024, 29 Euro.
Keine Kommentare bisher