Mit seinem Buch โ€žAbgehauenโ€œ war er der Star des Econ Verlages. Bis 2001 war er als Kommissar Paul Stoever an der Seite von Charles Brauer Star des vom NDR produzierten โ€žTatortsโ€œ. Dafรผr hรคtte ihn der Sender nur zu gern auch weiter gebunden. Aber Manfred Krug (1937โ€“2016) sagte ab. Dieses Finale seiner filmischen Laufbahn fรคllt mitten hinein in diesen nunmehr dritten Band seiner von Krista Maria Schรคdlich betreuten Tagebรผcher.

Im Nachwort รผberlegt die Lektorin, die Krugs Bรผcher auch schon bei Econ betreute, woran es liegen kรถnnte, dass der Schauspieler Manfred Krug auch รผber 20 Jahre nach seinem Abschied vom Filmgeschรคft nicht vergessen ist โ€“ im Westen nicht und auch nicht im Osten. 2001 reiste er ja stattdessen wieder als Sรคnger durchs Land, knรผpfte damit an einen Teil seiner Karriere an, mit dem er sich schon in der DDR in die Herzen der Zuhรถrer gesungen hatte.

Aber selbst dann, wenn im Fernsehen einer seiner alten Filme oder einer der โ€žTatorteโ€œ mit ihm als Kommissar lรคuft, sitzen Millionen vor der Rรถhre. Etwas an diesem Schauspieler spricht auch heute noch die Herzen der Menschen an. Und so รผberrascht es eigentlich auch nicht, dass die ersten beiden Bรคnde mit seinen Tagebucheintrรคgen โ€“ โ€žIch bin zu zart fรผr diese Weltโ€œ (2023) und โ€žIch sammle mein Leben zusammenโ€œ (2022) โ€“zu Bestsellern wurden. Und das sehr wahrscheinlich nicht, weil Krug darin erstmals ausfรผhrlich รผber seine zweite Familie plauderte.

Ein aufmerksamer Welt-Beobachter

Tatsรคchlich ist es wohl eher so, dass viele in der Eindeutigkeit Krugs und seiner robusten Ehrlichkeit etwas wiederfinden, was in dieser Fรผlle selten geworden ist in Deutschland โ€“ auch wenn einige blau angemalte Hanseln glauben, sie wรผrden mit ihrem Gebrรผll โ€žfrei von der Leber wegโ€œ reden โ€“ und der deutsche Diskurs lรคngst zur Schlammschlacht geworden ist, in der keiner mehr wirklich zuhรถrt.

Als hรคtte die โ€žBlรถdzeitungโ€œ, mit der sich Manfred Krug immer wieder angelegt hat, in Deutschland schon lange die politische Maschinerie รผbernommen und jeder profilierungssรผchtige Politiker versucht, gerade in den enthemmten Boulevardmedien als besonders schรถner Clown wahrgenommen zu werden.

Von diesen Leuten hรคtte sich ein Manfred Krug niemals eingemeinden lassen. Auch der dritte Band seiner Tagebรผcher erzรคhlt zwar viel Privates, zeigt das oft stressige Leben des Schauspielers, der fรผr seine Musik quer durchs Land auf Achse war. Aber zahlreiche Notate zeigen eben auch, wie intensiv er die Berichterstattung der Medien verfolgte (neben seiner Begeisterung an naturwissenschaftliche Dokumentarsendungen). Und man darf erschrecken, wenn sich etliche Eintrรคge so lesen, als hรคtte er sie im Jahr 2024 geschrieben.

Von einem sehr deftigen Zitat รผber Sahra Wagenknecht, die auch im Jahr 2000 fleiรŸig durch alle Talkshows tingelte (und sage niemand, dass die Flut der Talkshows nicht das Bild prรคgt, das die Deutschen heutzutage von Politik haben), bis zum deutlichen Hinweis darauf, wie feige sich der deutsche Staat damals schon (oder immer noch) gegenรผber den zunehmend aggressiver auftretenden Neonazis verhielt. Alles hat eine Geschichte.

Wenn junge Nazis Vรคter werden

Auch eine Vorgeschichte, wie Krug nur zu gut wusste: โ€žDer demokratische Staat mag uns nicht immer erfreuen. Dazu hat er zu viele Fehler. Aber ich, der zwei undemokratische deutsche Staaten erlebt hat, noch als Kind den Nazistaat und spรคter den Sozialismus-Staat, bin froh, daรŸ wir die Bundesrepublik haben. Ich weiรŸ sie sehr zu schรคtzen.โ€œ

Aber ausgerechnet der Bedrohung von rechts begegnet diese Republik windelweich und lรคsst sich โ€“ wie gerade in Thรผringen zu beobachten โ€“ von rechten Radikalen regelrecht am Ring durch die Manege fรผhren. Das sieht zwar โ€“ wie im Thรผringer Landtag โ€“ irgendwie zivil aus, ist aber auf engste verstrickt mit den rechtsextremen Gewalttรคtern auf der StraรŸe. Den โ€žGlatzenโ€œ, wie Krug sie nennt: โ€žVielen Deutschen kommt es vor, als wรผรŸte diese Republik sich selbst nicht zu schรผtzen. Sie fackelt lange herum, sie schreitet nicht ein, sie stellt nicht pรผnktlich die Diagnose des eigenen Leidens, sonst mรผรŸte ihr lรคngst klar sein: Diese objektiv ahnungslosen Gewalttรคter mit den geschorenen Glatzen und den dadurch freiwerdenden Reklameflรคchen auf dem Kopf, wo man als Tรคtowierung Bedeutendes lesen kann, z.B. โ€šDEUTSCHLANDโ€˜ โ€“ diese Wichtigtuer sind tatsรคchlich gefรคhrlich.โ€œ

Heute sehen wir, was passiert, wenn man diesen Leuten die Dรถrfer und kleinen Stรคdte รผberlรคsst, ihre Netzwerke nicht bekรคmpft und vor allem zulรคsst, dass sie die Stimmung in weiten Regionen Ostdeutschlands vergiften. Man konnte regelrecht zuschauen, wie ganze Regionen nach und nach kippten โ€“ und nur noch eine Partei mit bรผrgerlichem Mรคntelchen fehlte, die diese Stimmung auffing und sich zunutze machte.

Krug hatte es 2000 sehr deutlich formuliert: โ€žNicht mehr lange, und diese jungen Leute werden Vรคter sein โ€ฆโ€œ Und da wundern sich die Kommentare in den abgehobenen Medien, warum so viele junge Sachsen am 1. September 2024 AfD gewรคhlt haben. Man hat es kommen sehen. Getan wurde nichts. Das Auffliegen des NSU, der in Sachsen untergetaucht war, hat Krug Ende 2011 noch erleben kรถnnen. Mitsamt dem ganzen hilflosen Gestotter von Polizei und Verfassungsschutz und meterweise vernichteten Akten.

23 Jahre vergeigte Klimapolitik

Stรผck fรผr Stรผck haben die Rรผckwรคrtsgewandten in sรคchsischen Provinzen (und nicht nur dort) die Meinungshoheit รผbernommen und ein Klima der Angst und des Opportunismus geschaffen. Wรคhrend auch 2001 eine echte Herausforderung vor Deutschland stand, die in den vergangenen 23 Jahren hรคtte bewรคltigt werden mรผssen โ€“ aber aus lauter Opportunismus vertrรถdelt wurde: die Herstellung von Klimaneutralitรคt und Klimafestigkeit. Wer heute so tut, als hรคtte man das damals โ€žnicht wissen kรถnnenโ€œ, lรผgt.

Manfred Krug am 20. Januar 2001: โ€žDie Enkelin von Sigmund Freud, Sophie Freud, auf die Frage, ob sie optimistisch in die Zukunft blicke: Nein. Das tue ich nicht. Und das wird mir beim Sterben helfen. Was auf die Kinder zukommt: Die Ozeane werden steigen, die Erde wird sich erwรคrmen.โ€œ

Wir sind mittendrin in der katastrophalen Aufheizung der Erde. Aber ganz offensichtlich ist das einer Menge Leute vรถllig wurst. Genauso wie ihnen Kinder und Enkel wurst sind. Egoismus als Parteifarbe.

So hat es Krug natรผrlich nicht formuliert. Er belรคsst es in der Regel bei herrlich trockenen Feststellungen. Erst recht zu dem Metier, in dem er sich tummelte. Mit 63 Jahren darf man die eigene Professionalitรคt ernst nehmen. Jeder kann es in Krugs Filmen sehen. Da hat einer bei den GrรถรŸten der Zunft abgeschaut, wie man das macht.

Und an vielen schรถnen Stellen erzรคhlt er es den fiktiven Lesern seines Tagebuchs, was die oft genug รผberbewerteten Kollegen der schauspielenden Zunft falsch machen. Wie sie รผberziehen oder auch miserable Drehbรผcher einfach akzeptieren, deren Sprache hรถlzern ist, die Charaktere steif und pappig. Als hรคtten die deutschen Drehbuchautoren keine Ahnung davon.

Krugs Rollen, das waren immer Typen, in denen sich das Publikum wiedererkennen kann. Weil sie genauso reden, wie โ€ždie Leuteโ€œ reden. Manchmal mit viel Menschenwitz und hintergrรผndigem Humor โ€“ wie all die Gestalten eben, die Krug dargestellt hat. Was ihm die Vorwรผrfe missgรผnstiger Kritiker einbrachte, er spiele doch nur sich selbst. Und dabei kommt es darauf an โ€“ wie Krug nicht mรผde wird, auch in seinen Tagebuchnotizen zu betonen โ€“, stets genauso viel zu spielen, wie notwendig ist. Und nicht ein bisschen mehr.

Ehrliche Rollen

Man kann es sich auch als Tagebuchleser so รผbersetzen: Auch vor der Kamera geht es um Ehrlichkeit und Authentizitรคt. Denn das Seltsame ist: Die Zuschauer merken das, ob das, was sie sehen, glaubwรผrdig und lebensecht ist โ€“ oder eben nur stocksteif dargeboten, mit Sprรผchen, die man weder im realen Leben noch auf Polizeikommissariaten zu hรถren bekommt.

Denn auch das taucht einem im Kopf auf, wenn man Krugs Eintrรคge insbesondere zu politische Ereignissen und Figuren liest: Dass wir es auch beim Auftreten all der politischen Selbstdarsteller merken, wenn sie lรผgen, nicht echt sind und uns versuchen einen Bรคren aufzubinden. So wie Manfred Krug erlebten viele von uns die erschreckenden Entwicklungen nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, die keineswegs zu einem allgemeinen Trauern und Innehalten fรผhrten (Motto: โ€žThe Show must go on.โ€œ), sondern geradezu in einen Kriegstaumel.

Manfred Krug am 30. Mรคrz 2001: โ€žBush junior sagt zu Schrรถder, er habe jetzt andere Sorgen, als das Klimaschutz-Abkommen von Kyoto zu verwirklichen. Der muรŸ diejenigen zufriedenstellen, die seinen Wahlkampf und die anschlieรŸenden Mauscheleien bezahlt haben. Der denkt so weit, wie sein Schwanz lang ist. Den interessiert die Umwelt nicht die Bohne.โ€œ

Dafรผr zettelte Bush jun. zwei Kriege an, deren verheerende Auswirkungen bis heute zu sehen sind โ€“ in Afghanistan genauso wie im Nahen Osten. In dieses fatale Jahr 2001 fiel auch die Putin-Rede im Bundestag, die Krug genauso kommentiert wie jene gnadenlose demografische Entwicklung, die die konservativen Sonntagspolitiker bis heute nicht verstanden haben. Vielleicht auch nicht kรถnnen. Dazu hรคtte man im Mathematikunterricht ein bisschen aufpassen mรผssen.

Manfred Krug: โ€žIm Jahre 2050 wird es in Deutschland, wenn alles wie bisher weitergeht, 22 Millionen Einwohner weniger geben. Das wรคre quasi einmal die ganze DDR und Hessen dazu. Das ist ein Viertel der Deutschen. Wir sind also ein Einwanderungsland, und es geht um Gedeih und Verderb. Mindestens 200.000 Menschen mรผssen jรคhrlich einwandern, dann wird die Abwรคrtskurve sanft und steuerbar, aber abwรคrts geht sie noch immer.โ€œ

Ein Land im Selbstbetrug

Im tรคglichen Gewรคsch aber geht das auch heute noch unter. Lieber reden die vom โ€žVolkโ€œ gepiesackten Politiker den rechtsradikalen Abschiebe-Meistern hinterher. Es ist tatsรคchlich so, als wรคre eine ganze Nation geistig im Jahr 2000 hรคngengeblieben.

Oder im Jahr 1998, eingebildet auf den durchaus nicht ewigen Titel โ€žExportweltmeisterโ€œ und felsenfest der รœberzeugung, man hรคtte das vermeintliche Wirtschaftswunderland ganz allein aufgebaut. Ein Volk, das augenscheinlich geรผbt darin ist, sich selbst jeden Tag aufs Neue zu verรคppeln, um kein stรคrkeres Wort zu benutzen.

Denn dazu wird man natรผrlich verleitet, wenn man sich durch Krugs wรผrzige Kommentare zum Zeitgeschehen, zum Filmbusiness, zu miserablen Hotels in Ost und West, launigen Musikerkollegen und den klebrigen Verรคstelungen des Springer-Konzerns liest.

In die Zeit fรคllt ja auch sein ร„rger mit der โ€žBild am Sonntagโ€œ, die einen seiner Briefe verzerrt abgedruckt und behauptet hatte, Krug verhรถhne Telekom-Aktien-Besitzer. Obwohl er in seiner herrlich deutlichen Art einem Mann, der sich รผber den Wertverlust seiner T-Aktien bei ihm beklagte, nur deutlichst sagte, dass er dann wohl doch eher gezockt habe und seiner Gier erlegen sei. Allein das eine herrliche Serie von Eintrรคgen, die Manfred Krug dabei zeigen, wie er es auch mit Molochen aufnahm, vor denen andere bis heute kuschen.

Wenn der Kรถrper nicht mehr mitmacht

Aber gerade dieser Zwei-Jahre-Band zeigt, wie sehr Manfred Krug lรคngst unter der Arbeit fรผr das Fernsehen litt, vor allem unter den miserablen Drehbรผchern. Aber auch seine Gesundheit machte ihm zusehends zu schaffen. Und so รผberrascht es nicht, dass er reihenweise die Todesfรคlle von Menschen aufzeichnet, die sein Kรผnstlerleben begleiteten oder gar in die gleiche Alterskohorte gehรถrten.

Die Einschlรคge kamen nรคher. Und die Belastungen der Konzertfahrten steckte er auch nicht mehr so einfach weg, auch wenn er es in dieser Zeit schaffte, seine Tochter Fanny als Sรคngerin mit auf die Bรผhne zu holen.

Und dazu immer wieder die Begleitmusik aus einer vรถllig abgedrehten politischen Welt, die er klargesichtig notierte, so wie am 21. September 2001: โ€žDie Amerikaner werden einen langwierigen und vergeblichen Krieg anzetteln. Das hat der Prรคsident Bush angekรผndigt, und die โ€šStanding Ovationsโ€˜ nahmen kein Ende, ich hรคtte das allein wegen meiner Beinschwรคche gar nicht mitmachen kรถnnen.โ€œ

Es ist genau so gekommen. Und bei jedem eingetragenen Datum sagt man sich โ€“ weil es ja augenscheinlich stimmt โ€“, dass es doch vielen von uns genau so ging. Und dass es diese Abgekochtheit braucht, wenn man die Welt im richtigen Licht sehen will und die Kรถnige und Prรคsidenten so nackt, wie sie sind.

Das dritte ist das letzte

Gerade deshalb fรผhlt man sich beim Lesen von Krugs Tagebรผchern so, als wรผrde man ihn sogar persรถnlich kennen und wรผrde nur zu gern bei ihm klingeln, um sich wenigstens mal eine Stunde von einem wahrheitsliebenden Kerl die Ohren streicheln zu lassen. Dumm nur, dass er tot ist. Aber sonst wรผrden wir auch seine Tagebรผcher nicht lesen dรผrfen, die er durchaus zur Verรถffentlichung nach seinem Tod gedacht hatte โ€“ etwas gesiebt und aufgerรคumt, was Krista Maria Schรคdlich im Auftrag der Krug-Kinder auch getan hat.

Sodass man nun ein weiteres Mal in die so herrlich abgeklรคrte Gedankenwelt Manfred Krugs eintauchen kann, der sich in herrlich liebevoller Art von niemandem mehr sagen lieรŸ, was er zu tun und zu lassen hรคtte. Ganz jener Manfred Krug, der 1977 dem Osten verloren ging, als er โ€žabgehauenโ€œ ist. Und der dennoch bis zuletzt jenen breitschultrigen Stolz verkรถrperte, den man auch in seinen Filmrollen bewunderte.

Da spielte er zwar nicht sich selbst. Aber er zeigte, wie prรคsent einer sein kann, der seine Rolle ernst nimmt und mit Leben ausfรผllt. Mit Liebe irgendwie auch. Das merkten selbst die, die er etwas hรคrter anging.

Aber immer wieder sagt man sich: Ja, davon braucht es eigentlich mehr. Typen, die nicht herumeiern, wenn sie โ€žJaโ€œ oder โ€žNeinโ€œ sagen. Oder schwerhรถrigen Hoteliers beibringen, dass man neben Presslufthรคmmern nicht schlafen kann.

Wer die beiden ersten Bรคnde schon kennt, wird auch an diesem seine lebensermutigende Freude haben. Das Schlimme ist nur, dass der Verlag ankรผndigt, dass das nun der letzte Band der Tagebuch-Trilogie sein soll. Und dabei verlangt alles in einem nach Noch-Mehr und Noch-Mehr.

Manfred Krug โ€žIch beginne wieder von vorn. Tagebรผcher 2000 โ€“ 2001โ€œ, Kanon Verlag, Berlin 2024, 24 Euro.

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