Er liegt tatsächlich da: in einem Loch, das einer der Wirte auf dem Kyffhäuser gebuddelt hat, um dem Rätselraten um die 1939 auf dem Kyffhäuser aufgestellte Statue Paul Hindenburgs ein Ende zu bereiten. Mit den Füßen steckt die Statue in den Zementfundamenten eines später gebauten Stasi-Bungalows. Doch niemand kann so recht etwas anfangen mit dem 1947 verbuddelten Feldmarschall, der Hitler den Weg an die Macht ermöglicht hatte.

Es ist genau so ein Thema, wie es der Historiker Matthias Steinbach liebt. Er hat sein Buch nicht grundlos mit „Wie entsorgt man deutsche Geschichte?“ untertitelt. Auch wenn es ihm darum gar nicht geht. Er weiß, dass man Geschichte nicht entsorgen kann. Denkmäler möglicherweise schon.

Auch wenn das bei dem von Hermann Hosaeus in brachialem Nazi-Stil aus Porphyr gehauenen Standbild nicht so gelang, wie man es sich 1947 wohl dachte, als der steinerne Feldmarschall umgelegt wurde und die Arbeiter wohl auch versuchten, den Koloss zu zerlegen. Davon zeugen heute noch Spuren im Stein.

Von einer „Lokalposse“ schreibt Wikipedia zur 2004 ausgebuddelten Statue und dem nachfolgenden medialen Theater, in dem mal wieder die „Bild“-Zeitung die zentrale Rolle spielte. Und die Posse eigentlich erst erfand. Wie so viele Possen, die sich diese Zeitung aus den Fingern saugt. Die kompliziertere Wirklichkeit interessiert bei diesem Boulevard-Blatt niemanden, egal, ob es um Politik oder alte Kamellen geht.

Oder eben deutsche Geschichte, die nie so schön eindeutig war, wie es Lexika oder Schulbücher meistens erzählen. Erst recht, wenn es um Leute wie Paul von Hindenburg geht, der sich ja nicht nur mit seiner Ernennung Hitlers zum Reichskanzler tiefbraun in die Geschichtsbücher eingeschrieben hat.

Tatsächlich steht er geradezu für den stockkonservativen preußischen Militarismus, ließ sich extra wieder reaktivieren, als Kaiser Wilhelm II. den Krieg vom Zaun brach, und wurde mit den ganzen Propaganda-Erzählungen um die Schlacht bei Tannenberg schon frühzeitig zum Weltkriegshelden stilisiert.

Ein Oberbefehlshaber ohne Rückgrat

Doch auch diese Heldenerzählung hat ihre finstere und blutige Seite – denn als Oberbefehlshaber des Heeres war er verantwortlich dafür, dass der Krieg immer weiter fortgesetzt wurde, als längst klar war, dass Deutschland ihn nicht gewinnen würde. Und als es darum ging, die offensichtliche Niederlage einzugestehen, kniff er, überließ es der Revolutionsregierung in Berlin, den Waffenstillstand auszuhandeln. Das war die Keimzelle für die sogenannte Dolchstoßlegende, mit der die Militaristen nach dem Krieg die Republik delegitimierten und den Boden bereiteten für die Rückkehr der revanchistischen Kräfte.

Gemunkel, Gerüchte, Nebelschwaden. Steinbach weiß, wie Geschichte aus solchen Substanzen gebraut wird. Und mit essayistischer Freude an Ab- und Umwegen erzählt er eben auch beiläufig Hindenburgs Werdegang zum Präsidenten der Weimarer Republik, ein Amt, das ihm eine Machtfülle gab, wie sie heutige Bundespräsidenten nicht haben.

Natürlich bringt er auch den „Tag von Potsdam“ ins Bild, den regelrecht inszenierten Schulterschluss zwischen Hitler und dem preußischen Militarismus. Auch frisch gewienerte Diktaturen brauchen so etwas wie eine glorreiche Vor-Geschichte – und basteln sie sich zusammen. Auch mit einer Hindenburg-Statue am Fuß des Kyffhäuser-Denkmals, die auf ihre Weise die Traditionslinie von Kaiser Barbarossa über Wilhelm I. von Preußen zu Hindenburg und letztlich zu den Nazis zeigen sollte.

Also die ganze Mär vom ersten, zweiten und dritten Reich. Dessen Ende gerade in diesem Jahr 1939 begann. Kurz nach der Denkmalweihe befahl Hitler den Überfall auf Polen. Acht Jahre später würde Hindenburg unter der Erde verschwinden. Was damals natürlich genauso wenig in der Zeitung stand wie der Abriss des Siegesdenkmals in Leipzig.

Der Kaiser hat die Zeit verpennt

Manch einer forderte damals, nach dem Weltkrieg Nummer Zwei, auch den Abriss des Kyffhäuser-Denkmals. Aber das verhinderte die Sowjetische Militäradministration. Und natürlich muss auch die Geschichte des Kyffhäuserdenkmals erzählt werden, in dem sich die Preußen quasi das eigene Kaisertum durch die Legende vom alten Kaiser Barbarossa, der im Kyffhäuser schläft, legitimieren ließen. Oder sie eben missbrauchten, um ihr neu gebasteltes Kaisertum historisch mit Geruch aufzuladen, Stimmung und altem Glanz.

Denn auch im 19. Jahrhundert war in Deutschland noch die Legende vom schlafenden Kaiser im Berg lebendig – ein beliebtes Motiv gerade bei den romantischen Dichtern der Biedermeierzeit, als die Idee eines einigen Deutschland mal wieder von kleinen Provinzfürsten ignoriert und verunmöglicht wurde. Also blühten die Lieder, Sagen und Legenden, die eine heile Vergangenheit beschworen. Und machten den Kyffhäuser zu einem Sehnsuchtsort, den dann 1896 das von Bruno Schmitz entworfene Kyffhäuser-Denkmal besetzte.

Nur wirkte dieses Denkmal spätestens 1945 etwas deplatziert. Die dazu gehörende Legende passte nicht mehr. Und entsprechend distanziert gingen die Verantwortlichen in der DDR dann mit diesem Denkmal um, das man eben nicht einfach mal umdeuten konnte, auch wenn man das mit der zugehörigen Ausstellung vor Ort versuchte.

Und dann in den 1980er Jahren mit dem in Sichtweite platzierten Bauernkriegs-Panorama von Werner Tübke, mit dem die sozialistische Sicht auf die deutsche Geschichte gezeigt werden sollte. Aber letztlich auch nicht gezeigt wurde, denn auch Tübke war eigensinnig und malte lieber die ganze Widersprüchlichkeit der Bauernkriegszeit, die in sozialistischen Schulbüchern als „frühbürgerliche Revolution“ interpretiert wurde.

Mit dem Prediger Thomas Müntzer im Mittelpunkt. Denn der spielte in der Interpretation der Reformationsgeschichte durch die DDR-Staatshistoriker eine ganz zentrale Rolle. Nur: Bei Tübke ist er auch nicht der Held, als den ihn die Propagandisten sehen wollen. Eher ein gebrochener Held, ein Aufbegehrer in seiner Niederlage.

Die Leerstellen der Erinnerung

Was nichts daran ändert, dass Müntzer für die Menschen am Südrand des Harzes bis heute eine Identifikationsgestalt ist. Gerade, weil er opponierte, als Opposition mit Folter und Tod enden musste. Auch von diesen heutigen Selbstbildern erzählt Steinbach, der sich auch intensiv mit der ganzen Rezeptionsgeschichte von Kyffhäuser-Denkmal und Hindenburgstatue nach 1990 beschäftigt. Den darüber, was bleibt und erinnert wird, entscheiden die Menschen selbst. Auch dann, wenn sie gar nicht (mehr) wissen, was dieser Hindenburg eigentlich angerichtet hat. Oder wer das Denkmal wirklich verbuddelt hat oder den Befehl dazu gab.

Das wollte schon 1992 eine Schulklasse aus Mühlhausen herausbekommen. Auch wenn das Ergebnis dann erwartbar wenig kritisch ausfiel. Wenig später war die Kyffhäuser-Ausstellung dran, die vom alten sozialistischen Ballast befreit und modernen Standards entsprechend gestaltet werden sollte. Das war auch die Zeit, in der Steinbach mit dem für Historiker durchaus reizvollen Thema in Berührung kam. Reizvoll, weil es vor Uneindeutigkeiten geradezu strotzt und eben auch zeigt, wie Legenden und das Gedächtnis der Menschen funktionieren.

Und so ein bisschen auch die clevere Vermarktung eines Kyffhäuser-Wirts aus dem Westen, der keine Scheu vor dem vergrabenen Feldmarschall hatte. Nur stand nach dem Augraben die verwirrende Frage: Was nun? Eine Wiederaufstellung wäre garantiert zum Skandal geworden. Selbst die verantwortlichen Landräte wollten das Ding eigentlich nicht haben. Wohin damit? Selbst in Berlin, wo man den fünf Meter hohen Koloss ins Museum hätte stellen können, winkte man ab. Niemand wollte die für den Transport notwendigen 4.000 Euro zur Verfügung stellen.

Die Ahnungslosen auf dem Kyffhäuser

Also doch in der Erde lassen, den verpeilten Feldmarschall? Die Frage steht. Möglicherweise ist das wohl auch die nächstliegende Lösung. Auch wenn Steinbach weiß, dass das die Besucher nicht klüger macht. Selbst wenn sie zu Hunderttausenden jedes Jahr auf den Kyffhäuser pilgern und stolze Selfie machen. Von Geschichte haben sie fast alle keine Ahnung. Man kann ihnen über den strammen Soldaten in der Grube alles Mögliche erzählen.

Oder mit Steinbach: „Ich fragte vor Ort: Wer war Hindenburg und warum sollte er hier ein Denkmal haben? Und was hat das Ganze mit Barbarossa zu tun? Die Antworten kommen angepasst bis schräg. Die meisten haben tatsächlich keine Ahnung und oft auch kein Interesse und das, obwohl sie hier sind. Wirkung des Geschichtsunterrichts an deutschen Schulen? Geschichte ist nicht für jedermann, so ein Goethe-Wort.“

So nebenbei blitzt die politische Gegenwart auf, auch wenn Steinbach darauf nicht extra eingeht. Denn alte und neue Nationalisten triumphieren bei Wahlen nicht nur im Kyffhäuserkreis, weil ihre Wähler tatsächlich ahnungslos sind, nur Oberflächliches wissen, Legenden und Mythen im Kopf haben. Und jedes Stück Propaganda glauben, weil ihnen ein Verständnis für die Verzwicktheit von Geschichte völlig abgeht und auch nie vermittelt wurde.

Bestenfalls sehen sie Geschichte als fortgesetzte Heldengeschichte. Mit immer neuen Siegfrieden und siegreichen Generalen. Nicht das Unheil, das diese angerichtet haben – etwa die Millionen toten Soldaten, die auf das Konto von Hindenburg gehen. Die Heldengeschichte der Weimarer Zeit kollidiert mit der sturen Durchhalte-Politik des greisen Feldmarschalls. Wähler sind so vergesslich. Und glauben jedes Mal, sie wären nicht dran schuld. Auch das gehört zu dieser Geschichte.

Mittelalterlicher Mummenschanz

Und wie in seinem Buch „Also sprach Sarah Tustra“ zeigt Steinbach in diesem Buch das Unfertige, Uneindeutige, das jeder Geschichtsschreibung anhaftet. Und mahnt das Selbernachdenken an, wenn man schon mal vor den rätselhaften Überbleibseln der Vergangenheit steht. „Das Problem ist allzu oft das Schnelle, Beiläufige, Oberflächliche in Anschauung und Urteilsbildung. Dazu gehört auch der Hang des Historikers zum Journalistischen, zur publizistischen Verwertung seiner Forschungen“, schreibt Steinbach. „Mit der horizontalen Figur geht das schlecht.“

Eigentlich geht das auch mit dem hingelümmelten Barbarossa schlecht, zu dem einem heute eher nicht Rückerts Verse einfallen, sondern Heines spöttische Verse über den alten Kaiser, der schon längst den Zeitpunkt verpeilt hat, aus dem Berg zu kommen und Deutschland wieder präsentabel zu machen. Mit Heine schaut man dann auch anders auf den berittenen Wilhelm, der hoch über Barbarossa thront, als hätten die Preußen den alten Kaiser besiegt.

Oder als würden sie selbst jetzt in die alte Legende eintreten, in mittelalterlichen Mummenschanz, mit dem das preußische Kaisertum im 19. Jahrhundert ja geradezu aufgeladen wurde. Auch dazu hat Steinbach Etliches zu sagen.

Der falsche Versöhner

Genauso wie zum Zerrinnen glorioser Heldengeschichten. „Der Reichspräsident ist eine Marginalie. In Erinnerung wird Hindenburg nur als Vorgeschichte des Unglücks bleiben, das Hitler über die Deutschen und die Welt brachte“, schreibt Steinbach. Und wird dann ganz nüchtern: „Falls die Historiker irgendwann befinden sollten, dass er doch keine besondere Aktie am Aufstieg des Bösen hatte, wird er vergessen.“

Was eine Menge sagt über diese Unfigur in der deutschen Geschichte, die als Ehrenpräsident des Kyffhäuserbundes auch zwei Mal auf den Kyffhäuser stieg, um vor den Mitgliedern dieser „paramilitärischen Ehemaligenvereinigung“ über „Treue, Ehre und Kameradschaft“ zu reden und über „die gute alte Zeit und den ungerechten Frieden, den es zu revidieren galt“.

Was Hindenburg sehr wohl verortet bei all denen, die die Weimarer Republik mit allen Mitteln bekämpften. Ihn zum Reichspräsidenten zu wählen, war keine Versöhnung, sondern ein zweimaliger Irrtum, mit dem gerade die Parteien, die ihn nominierten, zeigten, dass sie nicht begriffen hatten, wer die Republik tatsächlich angriff und zerstören wollte.

Auch das ist eine Warnung an die Gegenwart, wo die scheinbar so bürgerlchen Trantüten schon wieder mit den Wölfen heulen. Aber das nur am Rande. Denn so gesehen ist Steinbachs Ausflug in die Geschichte eines „Heldendenkmals“ sehr aktuell. Brandaktuell. Getragen von der leisen Hoffnung, dass wir aus der Vergangenheit doch etwas lernen. Das „Aber“ dabei freilich kann man nicht überlesen.

Matthias Steinbach „Hindenburg auf dem Kyffhäuser“ Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024, 20 Euro.

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