Sie können nicht sagen, sie hätten es nicht gewusst. Sie können auch nicht sagen, sie hätten nichts dagegen tun können. Denn das Grundgesetz macht etwas möglich, was die Weimarer Verfassung so nicht kannte: Parteien, die die Demokratie angreifen, können verboten werden. Und wenn man diesen Rundumschlag von Michael Kraske und Dirk Laabs gelesen hat, fragt man sich ganz automatisch: Warum hat das Verbotsverfahren gegen die AfD nicht schon längst begonnen?

Stattdessen starren alle Kommentatoren auf die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen wie das Kaninchen auf die Schlange, zeigen genau das Entsetzen und die öffentliche Ratlosigkeit, über die die Funktionäre der AfD nur noch böse lächeln können. Denn darauf haben sie hingearbeitet: In die Position zu kommen, die ganze demokratische Gesellschaft erpressen und verhöhnen zu können.

Was nicht heißt, dass sie all das, was sie auf Straßen und in geschlossenen AfD-Veranstaltungen verkünden, nicht ernst meinen. Sie meinen es bitterernst. Sie wollen Millionen Menschen abschieben. Sie wollen die Kontrollorgane der Demokratie aushöhlen oder mit ihren Leuten besetzen. Sie wollen die freien Medien ausschalten und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erst recht. Und wenn sie von Bürgerkrieg reden, dann meinen sie es bitterernst.

Rechtsextremer Schulterschluss

Denn die Leute, die sich auf diesen Bürgerkrieg und den bewaffneten Angriff auf die Demokratie vorbereiten, die sitzen in ihren Partei- und Abgeordnetenbüros. Lauter bekannte, oftmals vorbestrafte und gewalttätige Neonazis, Skinheads, Identitäre. Auf Kundgebungen zeigen sich AfD-Redner nur zu gern zusammen mit bekennenden Neonazis, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern – all den Leuten, die die Demokratie genauso verachten wie den deutschen Staat.

Eine „Brandmauer“ der AfD nach noch weiter rechts gibt es nicht, kann es nicht geben. Denn sie hat sich in den vergangenen zehn Jahren immer weiter radikalisiert und ist längst zum parlamentarischen Arm der gesamten rechtsextremen Szene in Deutschland geworden.

Und sie finanziert diese Szene. Mit Steuergeldern. Denn die Mandate, die die AfD in den Parlamenten erringt, sind Gold wert. Sie spielen der Partei und ihren Gliederungen Millionen Euro aus der Parteienfinanzierung in die Kassen. Davon bezahlt sie nicht nur Büros und Sekretärinnen, sondern längst hunderte rechtsextreme Kader, die ihre Karriere bei NPD, Wikingjugend und anderen rechtsextremen Splittergruppen gemacht haben. Und: Es sind keine Einzelfälle.

Die beiden Journalisten Michael Kraske und Dirk Laabs sind keine Neulinge, wenn es um die Beschäftigung mit den Extremisten in deutschen Parlamenten geht. Aber das, was sie in zwölfmonatiger Recherche zusammengetragen haben, hat sie selbst erschüttert. Und hatten sie anfangs selbst noch Zweifel, ob ein Verbot der AfD überhaupt Chancen haben könnte, hatten sie letztlich so viel Material beisammen, dass die Frage gar nicht mehr steht, ob ein Verbotsverfahren Sinn ergibt. Tatsächlich ist es längst überfällig.

Und zwar trotz der oft genug windelweichen Interviews der AfD-Granden im Fernsehen, die vielen Zuschauern suggerieren, dass sie eine ganz normale Partei vertreten und eigentlich doch nur Politiker wie alle anderen sind. Und extremistisch sowieso nicht. Denn vor der Kamera setzen sie alle ihre Schafsmasken auf. Da tun sie so, als könnten sie kein Wässerchen trüben.

Eine gesichert rechtsextremistische Partei

Doch wenn sie unter Ihresgleichen sind – auf Wahlpartys, in Chats oder auf „Geheimtreffen“ wie in Potsdam, dann reden sie Klartext. Dann machen sie aus ihren Plänen, Millionen Menschen zu entrechten, kein Hehl. Dann lassen sie ihrem Antisemitismus und Rassismus freuen Lauf. Und freuen sich, wenn der Saal jubelt.

Dutzende Meter Akten haben der Bundesverfassungsschutz und die Verfassungsschutzämter der Länder gesammelt, mehr als genug Material, die AfD nicht nur als einen rechtsextremistischen Verdachtsfall einzuordnen, sondern den Rechtsextremismus der Partei und ihrer wichtigsten Köpfe als gesichert feststellen zu können. Genug Material, so Laabs und Kraske, um auch ein fundiertes Verbotsverfahren einzuleiten. Mit guten Aussichten auf Erfolg.

Denn anders als beim Verbotsverfahren gegen die NPD 2017, das deshalb eingestellt wurde, weil die Zwergpartei nicht groß genug war, um die Demokratie zu gefährden, sitzt die AfD jetzt mit über 30 Prozent in den Landtagen von Sachsen und Thüringen und schielt längst auf die Macht und die Institutionen.

Dass ihre Mitglieder auch vor Gewalt nicht zurückschrecken und reale Umsturzpläne verfolgen, zeigte exemplarisch die mutmaßliche Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, in der die AfD-Politikerin und ehemalige Richterin Birgit Malsack-Winkemann eine ganz zentrale Rolle spielte.

Dutzende Fälle, in denen AfD-Mitglieder und ihre rechtsextremen Büromitarbeiter aktenkundig wurden, zählen Kraske und Laabs auf. Und sie lassen natürlich auch nicht die öffentliche Begleitmusik weg, mit der dann die AfD-Funktionäre immer wieder abwiegeln, von Einzelfällen reden und letztlich ihre totale Ahnungslosigkeit bekunden. Bekundungen, die aber nicht die Bohne glaubwürdig sind, wenn man ihre Reden auf Parteitagen und Straßendemonstrationen dagegen legt.

Ganz zu schweigen von internen Papieren und offiziell veröffentlichen Manifesten, in denen sie detailliert erklären, was sie vorhaben, wenn es ihnen gelingt, an die Hebel der Macht zu kommen. Ihre Vorbilder sind die Orbán-Praktiken in Ungarn oder das, was eine Giorgia Meloni in Italien längst schon in aller Stille umsetzt. Die Parlamente werden Stück für Stück entmachtet, Verfassungsgerichte kaltgestellt oder gleich mit den eigenen Leuten besetzt. Die Rechtspopulisten lernen voneinander.

Radikalisierte Staatsdiener

Sie wissen längst, wie man demokratische Institutionen übernimmt und „gleichschaltet“, überall die eigenen Leute hinsetzt und so die ganze Gesellschaft wehrlos macht. Weshalb Laabs und Kraske auch sehr ausführlich auf die Rolle von AfD-nahen Richtern und Staatsanwälten eingehen, die heute schon dafür sorgen, dass der Schutz der Demokratie gewaltige Löcher hat und rechtsextreme Straftäter mit symbolischen Strafen davonkommen. Und viel zu lange zögerten auch die verantwortlichen Minister/-innen, diesen Leuten das Amt zu entziehen und am Ende auch den Beamtenstatus.

Denn es überrascht natürlich, wie viele (ehemalige) Richter, Polizisten und Bundeswehrsoldaten bis in den Generalsrang bei der AfD mitmischen und Mandate besetzen. Leute, die eigentlich einen Eid darauf geschworen haben, das demokratische Gemeinwesen zu schützen. Stattdessen sitzen sie nicht nur für eine extremistische Partei in den Parlamenten, oft genug tragen sie mit enthemmten Kommentaren in den „social media“ dazu bei, Stimmung zu machen und den Staat, der sie bezahlt, verächtlich zu machen. Oder gar dessen Niedergang herbeizureden. Denn das ist die Zentralerzählung der AfD.

Sie pflanzt den Menschen ein falsches Bild von Deutschland in die Köpfe, malt Bilder vom Untergang und erzählt den Leuten, Deutschland versinke geradezu im Chaos. Ein Bild, das sich innerhalb der AfD-Blase immer wieder selbst bestätigt, auch wenn es mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Genauso wenig wie das Horrorbild, das die AfD von der Migration malt.

Und die beiden Autoren lassen auch nicht die massiven Umtriebe der AfD in den Intenet-Plattformen weg, wo diese Partei seit Jahren den Diskurs dominiert, weil sie wie keine andere Partei ihre Phrasen und Erzählungen in dichtem Takt in die Netzwerke flutet, Themen okkupiert und allein durch konzertierte Arbeit hunderter AfD-Mitarbeiter dafür sorgt, dass die Themen der AfD bei YouTube, TikTok, X usw. immer dominieren. Denn genau das honorieren die Algorithmen dieser unregulierten Plattformen.

Geübte Opferrollen

Und ihnen schadet dabei nicht im Geringsten, wenn ihre Kandidaten dadurch auffallen, dass sie ganz offensichtlich mit fremden Mächten wie Russland und China kooperieren, also ganz bestimmt nicht die Interessen Deutschlands wahrnehmen. Im Europawahlkampf fielen ausgerechnet die beiden AfD-Spitzenkandidaten Krah und Bystron dadurch auf. Geschadet hat es ihnen nicht.

Denn längst hat sich in der AfD-Wählerblase nicht nur das enthemmte, radikale Sprechen etabliert. Längst scheint es dort geradezu ein Gütezeichen zu sein, wenn AfD-Funktionäre mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Mal sind sie bestechlich, dann wieder fallen sie mit SA-Parolen auf.

Es kann wirklich niemand mehr sagen, dass er nicht wisse, was das für eine Partei ist und was deren Spitzenfunktionäre anstreben. Laabs und Kraske erinnern zwar daran, dass die Wähler, die dieser Partei ihre Stimme geben, nicht aus der Verantwortung sind. Aber die meisten Wähler sind nicht so verantwortungsbewusst. Sie wählen emotional, wie das oft genug beschrieben wurde. Was die Politiker tatsächlich tun und sagen, ist ihnen oft egal. Selbst eine so simple Tatsache wie die hunderte Reisen von AfD-Mitgliedern nach Moskau.

Das brachte ja auch Tino Chrupalla fertig, der AfD-Vorsitzende aus Sachsen, der 2021 zusammen mit Alice Weidel nach Moskau reiste, um sich dort lebhaft über die „Verfolgung“ der größten Oppositionspartei in Deutschland zu beklagen. Zu einer Zeit, als Putin längst den Überfall auf die Ukraine plante. Selbst vom Steuerzahler fürstlich alimentiert, fahren diese Leute herum und spielen die Opferrolle.

Auch das gehört zum Spiel der AfD mit leichtgläubigen Wählern, die nur zu bereit sind, die alte Erzählung vom homogenen Volkswillen zu glauben und die Zerstörung der Demokratie einfach so hinzunehmen, weil sie von einer autoritären Regierung wahre Wunder erwarten.

Während die AfD alles tut, die Demokratie schon dort zu entkernen, wo sie die Gelegenheit dazu bekommt. Auf der kommunalen Ebene gibt es kaum noch eine Brandmauer. Dafür reihenweise gewählte Mandatsträger wie den Landrat von Mittelsachsen Dirk Neubauer, die ihre Ämter aufgeben, nachdem sie und ihre Familien von den Fußtruppen der AfD massiv bedroht wurden.

Da werden Fackelmärsche direkt vor die Wohnungen der angefeindeten Politiker organisiert, werden Morddrohungen lanciert. Neubauer ist ja längst kein Einzelfall mehr. Mit solchen ganz realen Einschüchterungen schaffen es die AfD und ihre rechtsextremen Verbündeten, ganze Regionen einzuschüchtern und den Menschen das Gefühl zu geben, dass hier nur noch eine Partei das Sagen hat.

Enthemmtes Vokabular

Da werden demokratische Initiativen eingeschüchtert, alternative Räume regelmäßig überfallen, werden Journalisten bedrängt und gejagt. Die AfD-Mandatsträger in ihren langweiligen Anzügen sind das scheinbar bürgerliche Bild dieser „Bewegung“, während ihre Verbündeten aus der gewaltbereiten Neonazi-Szene keine Skrupel kennen, die Gewalt auf die Straße zu tragen.

Wobei die Drohungen nicht auf der Straße bleiben. Längst hört man den Ton der Drohung auch schon in den Parlamenten. Die letzten Jahre sind auch dadurch geprägt, dass AfD-Politiker die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben haben und längst ungeniert zu altem Nazi-Vokabular und unverhüllten Drohungen greifen. Die scheinbare Ohnmacht der Öffentlichkeit gibt ihnen den Raum dafür.

Und viel zu selten halten demokratische Politiker deutlich dagegen. Stattdessen übernehme sie viel zu oft Phrasen und Themen der Rechtsextremen und verstärken sie damit. Oft – wie Sachsens MP Michael Kretschmer – in dem falschen Glauben, der AfD damit Wähler abspenstig zu machen.

Doch das funktioniet nicht. Im Gegenteil. Das sorgt erst recht dafür, dass die AfD auch dern politischen Diskurs mit ihren Themen besetzt, während die tatsächlichen Probleme der Republik von der Agenda verschwinden.

Letztlich bleibt kein Zweifel mehr daran, dass die AfD nicht nur eine demokratiegefährdende Partei ist, welche die wichtigsten Verfassungsprinzipien unter Beschuss nimmt. Sie ist auch längst so groß und einflussreich geworden, dass sie – anders als die NPD – die Demokratie tatsächlich zerstören kann. Ein Moment, an dem die Feiglinge schon wieder anfangen zu jammern, jetzt sei die AfD zu groß für ein Verbot. Doch die beiden Autoren sind sich sicher: Wenn ein Moment gekommen ist, diese extremistische Partei zu verbieten, dann ist er jetzt gekommen. Dann braucht es jetzt mutige Politiker im Bundestag oder im Bundesrat, die ein Verbotsverfahren beantragen. Alle Gründe, diese Partei zu verbieten, liegen auf dem Tisch. Niemand kann sie übersehen.

Und wer all die ganz und gar nicht kleinen Vorfällle, mit denen AfD-Funktionäre in der Vergangenheit rassistisch oder gar kriminell auffällig wurden, vergessen haben sollte, der findet sie in diesem Buch gesammelt. Sodass es auch keine Ausrede mehr gibt, es seien ja nur Einzelfälle.

Nein: Die Sache hat in dieser Partei System, bis hin zur Finanzierung hunderter echter Neonazis, die durch Mandatsgelder zu einem Job in AfD-Büros gekommen sind und die auch einen großen Teil der Stimmungsmache im Internet organisieren, mit der dort auf allen verfügbaren Plattformen nicht nur AfD-Memes verbreitet werden, sondern widersprechende Stimmen auch niedergebrüllt und weggetrollt.

Ein mahnendes Buch zu einem Zeitpunkt, an dem man sich wirklich fragt, warum diejenigen, die etwas tun könnten gegen die auftrumpfende rechtsextreme Partei, nichts tun. Es ist an der Zeit. Deutlicher kann man die Botschaft nicht formulieren.

Michael Kraske, Dirk Laabs „Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD“ C. H. Beck, München 2024, 18 Euro.

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