Es sieht nicht gut aus in der Klimapolitik. Weltweit steigen noch immer die Energieverbräuche und damit die CO₂-Emissionen. Immer noch werden Erdöl- und Erdgasfelder erschlossen und Kohleflöze abgebaggert. Klimakonferenz um Klimakonferenz endet scheinbar in Beschlüssen, die dann doch keiner umsetzt. Und so rasen wir ungebremst auf ein Klimazeitalter zu, in dem es um über 3 Grad heißer ist als im vorindustriellen Zeitalter.

Alles keine guten Nachrichten. Auch nicht im Angesicht all der Überschwemmungskatastrophen, der abfackelnden Wälder, der sterbenden Korallenriffe und der abschmelzenden Gletscher. Und das Schlimme ist: Dass es so kommen würde, wissen wir alle seit mindestens 50 Jahren. 1979 gab es die erste Weltklimakonferenz, die sich mit der drohenden Klimaerhitzung und ihren Folgen beschäftigte – und mit den Möglichkeiten, wie die Staatengemeinschaft gegensteuern könnte.

Doch statt den CO₂-Ausstoß in die Atmosphäre frühzeitig zu begrenzen und die Weltwirtschaft auf einen klimaneutralen Kurs zu bringen, machten die Staaten der Erde einfach weiter, wurde noch mehr verfeuert als zuvor. Die unheilige Ehe zwischen Wachstum und fossilen Energien wurde nicht aufgelöst.

Und so ist Stommel nicht der Einzige, der nun bilanzieren kann, dass alle gut gemeinten Bestrebungen sichtlich ins Leere laufen. Aber warum nur? Hat die Menschheit im Ganzen ausgerechnet das nicht, was jeder einzelne Mensch besitzt: nämlich einen Selbsterhaltungstrieb? Begreifen die Menschen einfach nicht, dass sie gerade unser aller Lebensgrundlagen verfeuern und eine Welt erzeugen, in der die Menschheit nicht überleben kann? Dass es tatsächlich ums Überleben der Menschheit geht – und um ihr baldiges Verschwinden?

Kurzsichtig wie die Heuschrecken

An der Stelle vergleicht der Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher Axel Stommel die Menschheit mit den Heuschrecken, die einen ganz natürlichen Zyklus haben, sich rasend zu vermehren und alles ratzekahl zu fressen, nur um dann für Jahre fast zu verschwinden, um danen erneut in Scharen über die Welt herzufallen. Nur wird das, was der Mensch gerade zerstört, nicht in ein paar Jahren wieder heil sein.

Aber Stommel appelliert in seinem Buch nicht. Er will wissen, warum Menschen so kurzsichtig handeln und selbst einzelne staatliche Maßnahmen und das Engagement von Einzelnen bis zur „Last Generation“ und Fridays for Future scheinbar völlig verpuffen. Dafür gibt es mehrere Gründe, kann er – ganz ökonomisch – feststellen. Denn es gilt der Bill Clinton zugeschriebene Spruch „It’s the economy, stupid.“

Man kann eine Wirtschaftsordnung nicht ändern, wenn man ihre grundlegenden Gesetze ignoriert. Und mindestens zwei davon kommen hier mit aller Wucht zum Tragen. Das erste ist das Gesetz der Marktpreise, das dazu führt, dass jedes Unternehmen nicht nur motiviert, sondern gezwungen ist, seine Produktionskosten permanent zu senken und Kosten, die sich externalisieren lassen, aus der Rechnung zu bekommen.

Dazu gehören nicht nur Arbeitskosten (weshalb die Konsumgüterproduktion in Billiglohnländer wie China und Bangladesch abgewandert ist), sondern auch alle Schäden, die eine rücksichtslose Produktion anrichtet: Waldschäden, vergiftete Flüsse und Meere, Gesundheitsschäden durch Mikroplastik und Chemikalien, Schäden an Infrastrukturen usw.

Normalerweise müssten alle diese Schäden vom Unternehmen wieder ausgeglichen werden, also im Preis ihrer Produkte enthalten sein. Aber stattdessen werden sie der Allgemeinheit aufgebürdet. Wären sie eingepreist, würden viele umweltschädliche Produkte einfach viel zu teuer werden und nicht mehr konkurrenzfähig gegen nachhaltig produzierte Waren sein können.

Gefangen im Jetzt

Und es gibt das Phänomen des Jetzt, in dem alle Menschen leben. Denn das Beängstigende bei den sich anbahnenden Klimakatastrophen ist ja, dass sie im Augenblick für die meisten Menschen (noch) keine Rolle spielen. Das ist im menschlichen Genpool einfach nicht angelegt. Der Mensch lebt im Jetzt und auch und gerade in unserer überdrehten Wohlstandsgesellschaft sind die meisten Menschen vollauf damit beschäftigt, ihren Alltag und ihr aktuelles Wohlergehen (und Überleben) irgendwie in den Griff zu bekommen. Da ist kaum Platz für allzu viele Gedanken an eine Zukunft, die erst in ein paar Jahren eintreten wird.

Und das Verblüffende am Menschen ist: Selbst wenn die Katastrophe dann eintritt – wie 2021 im Ahrtal –, hat das zwar kurzzeitig eine enorme Geschäftigkeit zur Folge. Aber dann gehen die Betroffenen einfach wieder zur Tagesordnung über und bauen ihre Häuser an derselben Stelle wieder auf im blinden Vertrauen darauf, dass das für dieses Jahrhundert die letzte Hochwasserkatastrophe war.

Man kann es auch so formulieren: Auf eine Klimakatastrophe, wie sie der Mensch selbst geschaffen hat, ist er emotional gar nicht vorbereitet. Er lebt und reagiert im Jetzt. Und das hat dann den nächsten Effekt: All das, was die engagierten Menschen, die ihren klimaschädlichen Lebensstil ändern, an Ressourcen und Treibhausgasen einsparen, das wird dann eben von den Nicht-Verzichtenden einfach aufgebraucht.

Das ist die Tragik der Klimapolitik, stellt Stommel fest: „Die fehlende Unmittelbarkeit der Handlung und schmerzlich spürbarer Erfahrung lässt regelmäßig keine hinreichende Betroffenheit entstehen, während die Folgenlosigkeit individueller Verzichtsleistungern denen, die dennoch prinzipiell einsichtsvoll zu Verzichtsleistungen bereit sein mögen, die Handlungsgrundlage entzieht.“

Staaten ticken wie Menschen

Was übrigens nicht nur für einzelne Menschen gilt, sondern auch auf der Makro-Ebene der Staaten: Die Einsichtsvollen zahlen dafür, dass sie jede Menge Geld und Energie in den Umbau ihrer Gesellschaft investieren (auch mit deutlich höheren Energie- und Arbeitskosten), während die Verkäufer von Erdgas, Öl und Kohle ihre fossile Ware einfach billiger an andere Staaten verkaufen, die sich freuen, dass das Zeug billiger geworden ist.

Was dann der Hauptgrund dafür ist, dass die meisten Staaten kein großes Interesse daran gezeigt haben, die Versprechen der Klimakonferenzen umzusetzen. Und so kommt dann die Frage auf, wie man dann Änderungen überhaupt bewirken kann, wenn das über freiwillige Einsicht irgendwie nicht funktioniert.

Stommel filtert dabei fünf Optionen heraus, wie man das anpacken kann – realistische Optionen, die in der einen oder anderen Form auch schon ausprobiert wurden. Und in der Vergangenheit auch schon mal funktioniert haben. So wie Option Nr. 1, die besonders von konservativen Parteien immer wieder beschworen wird: die Technologie-Option. Irgendwer wird schon eine neue Wundertechnologie entwickeln, mit der wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen, hat doch früher auch schon mal geklappt.

Nur ist dummerweise die Klimakrise gerade durch entfesselte (fossil befeuerte) Technologie entstanden. Und weit und breit gibt es nicht mal den Ansatz einer Technologie, die das Dilemma wieder in Ordnung bringen könnte. Alles nur heiße Luft und überzogene Versprechen.

Was könnte der Staat tun?

Dann gibt es noch die „staatlich entwickelte Technik-Option“, wie Stommel sie nennt. Und die hat durchaus einen Effekt, auch wenn sie die dramatische Entwicklung bis jetzt nicht bremst – nämlich mit staatlicher Förderung z.B. Windkraftanlagen, Solaranlagen, Wasserstoffindustrie und Erdwärmepumpen zu installieren und das E-Auto zu promoten.

Das alles hat seine Grenzen und bringt die Veränderung nicht schnell genug. Im Gegenteil: Die fossilen Konzerne und Politiker wehren sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und bremsen den Umbau aus.

In Ansätzen ausprobiert wurde auch Option 3 schon: die Vollpreis-Option. Obwohl es erst einmal um Teilpreise ging, nämlich mit dem CO₂-Zuschlag, der fossile Produkte ein bisschen teurer gemacht hat, aber nicht im nötigen Ausmaß. Und andere Umweltschäden sind da noch lange nicht berücksichtigt. Aber der Widerstand gegen die CO₂-Bepreisung zeigt schon, dass auch hier die fossilen Profiteure rebellieren, mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

Und das passiert genauso bei Option 4, den staatlich verordneten Beschränkungen und Vorgaben. Da reicht schon der Blick auf die Diskussion um die Geschwindigkeitsbegrenzung, um zu sehen, wie schnell der Zorn – der Autofahrer – entfacht werden kann, wenn man ihnen das Ölverbrennen bei hohen Geschwindigkeiten sauer macht.

Am sanftesten ist Option 5, wo es um nachhaltige Geschäftsmodelle geht, die aber nicht mit den auf knallharte Preiskonkurrenz trainierten Konzernen konkurrieren können, also nur eine Nische besetzen können und auf den guten Willen der Käufer angewiesen sind.

Also warten, bis es brennt?

Bleibt eigentlich nur noch die Option, hinter der sich eine Menge Leute verstecken. Denn wenn persönliches Engagement in der Gegenwart nicht belohnt wird und die Anderen einfach weitermachen wie bisher, dann lässt man es eben darauf ankommen und lässt die ganzen Klimakatastrophen auf sich zukommen. Reagieren kann man ja, wenn es so weit ist. (Was man ja sowieso muss, wenn der ganze Laden brennt.)

Es sei denn, man ist sowieso alt genug, dann bekommt man davon nicht mehr viel mit. Dann sollen das eben die Kinder und Enkel ausbaden. (Was für eine bekloppte Haltung!) Das ist die katastrophalste aller Optionen. Das führt dann erst recht dazu, dass der Verzicht, den die Klimabewussten leisten, einfach aufgezehrt wird von denen, die ihr Verhalten nicht ändern wollen.

Stommel untersucht dann etwas genauer, welche Optionen nun den Regierenden tatsächlich zur Verfügung stehen, kommt aber zu dem klaren Fazit, dass das auch in einem einzelnen Land wenig nützt, wenn nicht alle Staaten auf der Erde mitziehen. Das ist der Punkt der Allgemeinverbindlichkeit, denn das Erdklima geht uns alle an. Es geht um das Überleben der ganzen Menschheit, nicht nur um das von Herrn Müller aus Posemuckel. Also braucht es eigentlich eine Institution, die in der Lage wäre, diese Allgemeinverbindlichkeit weltweit herzustellen.

Alex Stommel wäre happy, wenn ihm jemand sagen könnte, ob es diese Institution eigentlich irgendwo gibt.
Es gibt sie schlichtweg nicht. Er empfindet sich dabei durchaus berechtigt als Kassandra. „Erfolgreich kann klima- und umweltpolitisches Tun deshalb, wie gesagt, nur sein, wenn die anderen (Menschen, Unternehmen, Staaten) es ebenfalls tun: Es herrscht der Zwang zu Konsens und abgestimmtem, gemeinsamem Handeln.“

Ein nüchterner Blick auf das Realistische

Aber zum Schluss betont er eben auch, dass es schon ein Fortschritt ist, wenn wir uns von alten Illusionen lösen können – zum Beispiel der in Option 1 verankerten Technikgläubigkeit, auf die „wirtschaftsnahe“ Politiker immer noch setzen und Technologie feiern (wie die E-Fuels), die überhaupt nichts zu einer echten Richtungsänderung beitragen.

Die anderen Optionen sind wenigstens wirksam, werden auch schon teilweise in Kombination angewandt, reichen aber nicht. Reichen aber noch nicht, könnte man sagen.

Denn das verblüfft schon, dass Stommel die sechste Option, die auch eine ökonomische ist, nicht mit aufgenommen hat: Den Technologiewandel durch Überschreiten von Kipppunkten, nämlich dann, wenn sich erneuerbare Energien als preiswerter erweisen und die fossilen Technologien nach und nach aus dem Markt verdrängen. Das ist auch nicht die schnelle Lösung, die wir brauchen.

Zur Einführung dieser Technologien wurden eben leider wertvolle Jahrzehnte verplempert und vertan. Und noch immer verhindern sogar Milliardensubventionen, dass fossile Technologien aus dem Markt verschwinden. Das wäre sogar Option Nr. 7: Sämtliche klimaschädlichen Subventionen abzuschaffen. Allein das wäre schon ein wirksames Nudging für all die Leute, die ihr Verhalten auch deshalb nicht ändern wollen, weil es staatlich gefördert wird.

Auch wenn Stommel diese beiden Optionen nicht benennt, stehen sie dennoch im Raum. Und könnten sogar den tatsächlichen Weg beschreiben, auf dem kluge Regierungen ihre Bevölkerung mitnehmen können, auf einen weniger klimaschädlichen oder sogar klimaneutralen Weg. Und das wären nicht nur für Deutschland gangbare Pfade, auch wenn dieses ach so kleine Deutschland nur 1 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht. Es ist dennoch (ein gutes oder ein schlechtes) Vorbild und Maßstab für viele andere Länder und erst recht für die EU (wo Deutschland aktuell eher der Bremser ist).

Taschenrechner raus!

Im Grunde ist Stommels Buch ein sachlicher Aufruf an alle Regierenden, die verfügbaren Optionen auszuloten, um das Land auf einen klimafreundlichen Kurs zu bringen – und dabei simple ökonomische Gesetze zu beachten, in denen sich das Jetzt-ist-Jetzt-Denken der Menschen manifestiert. Man kann die Menschen nicht ändern. Aber man kann sie mit simplen ökonomischen Anreizen dahin bringen, einige ihrer Verhaltensweisen auch mit dem Taschenrechner auf den Prüfstand zu stellen.

Und vor allem – das merkt Stommel an einer Stelle an – müssen solche Gesetzgebungen sozialverträglich gestaltet sein. Das Klimageld, das die jetzige Regierung eigentlich versprochen hat, ist ein aktuelles Beispiel dafür.

Denn wenn man – wie mit der CO₂-Abgabe – zum Beispiel Energie für alle verteuert (und in der Folge auch Nahrungsmittel, Dienstleistungen und Konsumgüter), dann leiden darunter vor allem die Armen, die eh schon knapp bei Kasse sind und gleichzeitig weniger Energie verbrauchen als die Reichen. Wer diesen sozialen Ausgleich vergisst oder gar unterlässt, weil er eine suspekte „Schuldenbremse“ bedient, der schürt das gesellschaftliche Misstrauen und schafft soziale Spannungen.

Es ist eben alles Wirtschaft, auch wenn man es gern mit Moral und gutem Willen verwechselt. Und die Politik auf allen Ebenen ist im Grunde aufgerufen, auch die Themen Klimaschutz und Energiewende ökonomisch zu denken – bis hin zu den Verbrauchern, die man für ein neues Verhalten gewinnen will.

Denn eins hält Stommel – obwohl er es für die beste Lösung hält – für regelrecht utopisch: Dass es irgendwann eine weltweit befähigte Institution geben könnte, die eine Allgemeinverbindlichkeit in Klimafragen durchzusetzen vermag. Das ist politisch gedacht, aber nicht ökonomisch. In Summe ist es ein Buch, das genau dazu anregt, das Ökonomische als grundlegend mitzudenken, auch in der Klimapolitik.

Axel Stommel „Klimapolitik: Die Optionen“ Büchner Verlag, Marburg 2023, 22 Euro.

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