Wer fleißig sammelt, dürfte mittlerweile ein ganzes Regal beisammen haben mit Spaziergangsbüchern durch Leipzig. Und natürlich lohnt sich das. Schon allein, weil man da mal herauskommt, den Kreislauf ein bisschen in Bewegung bringt und auch mal in Ecken gelangt, wo man sich für gewöhnlich nicht so herumtreibt. Leipzig lernt man tatsächlich am besten zu Fuß kennen. In diesem Fall: auf zwölf Routen, auf denen man auch zehn Ortsteile kennenlernen kann.

Es ist ein Buch für Stadtverliebte, wie Manja Reinhardt ihre Leserinnen und Leser begrüßt. Und eben dazu einlädt, einfach mal zu Fuß loszugehen, um diese Stadt Leipzig so zu erleben, wie sie tatsächlich ist, wenn man nicht im Stress zur Arbeit durchrast. Also sich einfach mal wie ein Städtereisender benimmt, der wirklich neugierig ist auf Klein-Paris. Und vielleicht auch herausbekommen will, warum diese Stadt attraktiv ist. Was sie ja ist. Aber dessen muss man sich immer wieder aufs Neue vergewissern. Auch als Einheimischer.

Und so geht das gleich los mit der Nummer 1, die eben nicht einfach zu den bekannten abzufotografierenden Sehenswürdigkeiten führt, sondern auf einen echten Leipziger Schlängellauf durch die bekanntesten Passagen der Innenstadt. Für die Leipzig berühmt ist. Und in denen immer jede Menge Platz ist, flott auszuschreiten, während sich das Publikum der City in drei Fußgängerzonen drängelt.

Was Leipziger natürlich freut, weil sie so auch dann flott vorankommen, wenn sich auf Petersstraße, Hainstraße und Grimmaischer alles drängelt, mit Eis und Bratwurst, Shoppingbag und Tütensammelsurium. Und das Faszinierende tut sich natürlich erst auf, wenn man dann in den Passagen ist – jede für sich ein architektonisches Kleinod, in dem es nicht mal gefährlich ist, einfach stehenzubleiben und mit offenem Mund in die Höhe zu schauen.

Bücher, Kanal und Völkerschlacht

Und tatsächlich sind die zwölf Touren, die Manja Reinhardt zusammengestellt hat, auf keine Weise exotisch. Man braucht keine Wanderausrüstung und keine Urwaldverpflegung, denn alle Touren führen an gemütlichen Gaststätten, Kneipen und Cafés vorbei oder enden dort, sodass man das Ganze bei einer Tasse Kaffee und einer Spezialität des Hauses ausklingen lassen kann.

Dass man auch außerhalb des überlaufenen Stadtkerns jede Menge entdecken und dabei sogar thematisch spazieren gehen kann, zeigt schon Route Nr. 2: von der Deutschen Nationalbibliothek zur Hochschule für Grafik und Buchkunst. Man ist also regelrecht auf der Spur der Bücher und der Buchstadt unterwegs, macht schöne Abstecher ins Grafische Viertel und erfährt so nebenbei auch, dass der größte Teil der legendären Buchstadt 1943 in Schutt und Asche gelegt wurde.

Man sieht also nur noch letzte Zeugen und jene Orte, an denen das Büchermachen und Büchersammeln heute noch lebt (wie in der Albertina) oder wo früher Weltgeschichte gedruckt wurde. Da und dort erinnern Tafeln an den Hauswänden daran.

Der Empfehlung, einfach mal den kompletten Karl-Heine-Kanal entlang nicht zu schippern, sondern zu spazieren, kann man genauso unbekümmert folgen wie den Einladungen ins Waldstraßenviertel, nach Leutzsch oder in den Leipziger Süden.

Bei Letzterem ist eher die Frage, wo man nicht einkehrt, denn die „Kneipenmeile“ Karli wird ja zwingend (und mehrmals) passiert. Und mit „Rund um Probstheida“ lädt Manja Reinhardt auch dazu ein, die Völkerschlacht selbst zu erlaufen. Jedenfalls einen Teil davon, mit Brauhaus Napoleon, Völkerschlachtdenkmal, Napoleonstein und allem drumherum. Zu diesem Drumherum gehören Marienbrunn, die Alte Messe und der Südfriedhof.

Wer langsam geht, sieht mehr

Gut möglich, dass man demnächst also wieder mehr Leute schlendernd unterwegs sieht – auch in Gohlis, Plagwitz und dem grünen Osten, mit dem aber nicht Neustadt-Neuschönefeld und Rabet gemeint sind (die wären einen eigenen Spaziergang wert), sondern Schönefeld und Abtnaundorf mit Mariannenpark, Schloss und Abtnaundorfer Park. Wer da schon einmal spaziert ist, weiß, dass es deutlich ruhiger zugeht als etwa auf Tour Nr. 5 „Vom Johannapark zum Wildpark“, die mitten durch den Clara-Zetkin-Park und an der Rennbahn vorbei führt.

Und dass es auch eine Tour auf den Spuren der Musik gibt, erlebt man in der zwölften Runde „Rund um die Innenstadt“. Man kann sich Leipzig tatsächlich auf vielerlei Weise thematisch erlaufen. Und darf sich dabei durchaus Satz für Satz fortbewegen. Denn oberflächlich betrachtet haben es Spaziergangführer ja immer eilig: Dann gehen wir linkerhand, wenden uns nach rechts, biegen dort ab, gehen weiter bis …

Da kann man lauter Pausenzeichen dazwischen setzen. Denn beim Spazieren geht es ums Schauen. Manche Straßen sind voller schattiger Alleebäume. Bei Unterwegsstationen wie dem Alten Johannisfriedhof, dem Henriettenpark oder dem Deutschen Kleingärtnermuseum darf und sollte man ruhig innehalten, den Ort und die Zeit genießen. Denn das ist für Leipzig eben nicht (mehr) typisch: dass sich die Wanderer Zeit nahmen und genossen. Gern mit Einkehr in lauter stilvolle Cafés unterwegs.

Wild gewordene Zeit

Was auch an den Sprüchen liegt, welche die Alten an die Leipziger Uhren geklatscht haben, so etwas wie „Mors certa, hora incerta“. Als wenn man ständig was verpassen würde. Eile nur, Sachse, eile! Oder auf Neudeutsch: Zeit ist Geld.

Wenn man so etwas nicht mehr denkt, sondern einfach nur denkt „Schön!“, dann hat man es in den Spaziergängermodus geschafft. Dann ist es egal, wie schnell man am Ende des Spaziergangs ankommt oder ob man unterwegs seiner Neugier einfach freien Lauf lässt. Genau dazu laden die zwölf Spaziergänge ein, die Manja Reinhardt hier vorschlägt und akribisch schildert, versehen mit Bildern der wichtigsten Attraktionen an der Strecke und natürlich kleinen Karten, auf denen man sieht, wo es gerade lang geht.

Da und dort gibt’s noch kleine Spickzettel wie zu „Frau Krause“, der „Weltfrieden“ oder der „Neuen Leipziger Schule“ (natürlich geht’s auch in die Spinnerei). Es gibt die nötigen Streckenangaben und Hinweise, wie man mit dem ÖPNV an den Startpunkt kommt. Und natürlich gibt es kleine Einkehrempfehlungen der Autorin, die sie ihren Spaziergängern besonders ans Herz legt. Manche sind so schön, dass man allein dort schon mit Lust die Zeit vertrödeln möchte.

Aber das muss jeder selbst entscheiden, wenn er sich auf die Socken macht, neugierig, was es ein paar Straßenecken weiter alles zu sehen und zu bestaunen gibt.

Manja Reinhardt „Zu Fuß durch Leipzig. 12 Spaziergänge“ Droste Verlag, Düsseldorf 2024, 15,99 Euro.

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