Manchmal versteht man ja den Frust, der sich in Wahlen entlädt. Auch wenn er oft die Falschen trifft und die Wähler dann ihr Kreuz bei Parteien machen, die erst recht keine Lösungen haben. Und auch keine wollen. Protest ist oft irrational. Aber er muss raus. Das ist in Diktaturen genauso wie in Demokratien. Aber wie protestiert man richtig? Und wie schafft man damit tatsächlich Änderungen in die richtige Richtung? Und wie viel Geduld braucht man eigentlich? Oder braucht man nur eine gute Geschichte?

Denn Veränderungen in menschlichen Gesellschaften geschehen durch Geschichten. Geschichten über ein „Was wäre wenn“. Das bringt unser Gehirn nämlich fertig, wenn man es lässt: Sich eine bessere Welt tatsächlich vorzustellen. Und was passieren müsste, damit wir dort hinkommen. Warum das so ist, das haben Friedemann Karig und Samira El Quasil in ihrem Buch „Erzählende Affen“ schon sehr einleuchtend erzählt.

Nur wird man auch als Buchautor irgendwann nervös, wenn man merkt, dass die Botschaft bei den Leuten, die eigentlich für das Erzählen großer, mitreißender Geschichten verantwortlich sind, gar nicht ankommt. Augenscheinlich lesen die keine Bücher. Und auch in Olaf Scholz’ berühmter Aktentasche steckt das Buch „Erzählende Affen“ nicht. Das ist ein Problem. Das war bei allen Wahlen in letzter Zeit zu bemerken. Und wird auch bei allen folgenden zu merken sein.

Das Gefühl, wenn sich nichts ändert …

Konservative Politikerinnen wie Angela Merkel können so agieren und den Leuten die Wohlfühl-Geschichten von gestern immer wieder erzählen. Aber progressive Parteien leben davon, dass sie eine gute Erzählung über das Morgen haben. Eine, die begeistert und die Wähler aus ihrer Trance holt und zum Mitmachen einlädt. Und zur Wahrheit gehört: Wir haben eine gute Erzählung bitter nötig.

Doch stattdessen bekommen die Wählerinnen und Wähler immer stärker das Gefühl, dass sich nichts ändert. Dass es gar kein Projekt gibt, das jetzt anzupacken wäre. Das frustriert nicht nur. Das entmutigt auch. Und bringt junge Frauen schon in der Schule dazu zu sagen: In dieser Welt möchte ich keine Kinder bekommen.

Eine Szene, die Karig aus dem Jahr 2021 erzählt. Und die vielleicht fremd wirken würde, würden wir die einbrechenden Geburtenzahlen der letzten beiden Jahre nicht kennen.

In dieser Welt wollen immer mehr junge Frauen keine Kinder bekommen. Weil sie wissen, was auf diese Kinder zukommt. Denn wie die Klimakrise zuschlägt, das lernen sie schon in der Schule. Aber sie lernen dort eben nicht, wie man Regierungen dazu bringt, ihre Klimaversprechen einzuhalten.

Dass die Jugend scheinbar so „rechts“ wählte bei der jüngsten Europa-Wahl, hat auch mit diesem Gefühl zu tun, nichts tun und nichts ändern zu können. Aus einem starken Voting für die Grünen bei der letzten Europa-Wahl wurde jetzt eins für Rechtspopulisten. Und eigentlich war das vorher schon klar: Von einer Politik, die Probleme nicht löst, profitieren die Rechten und Populisten, die, die einfache Lösungen anbieten. Und in der Regel die falschen.

Es braucht immer eine kritische Masse

Und so blickt auch Karig recht verstört zurück auf die vielen Jahre, in denen er sich politisch gar nicht engagierte und an Protesten auch nicht teilnahm. Auch weil er das Gefühl mit vielen Anderen teilte: Ich allein kann ja doch nichts ändern. Und: Die da oben machen das schon. Aber gerade beim Thema Klimapolitik hat sich längst Enttäuschung und Verbitterung breit gemacht.

Gerade bei jungen Leuten – auch vielen, die 2019 mit auf die Straße gingen, als Fridays vor Future die Schlagzeilen bestimmte und die damalige Merkel-Regierung drängte, die Klimabeschlüsse von Paris 2015 endlich umzusetzen.

Aber mit einer Illusion räumt Friedemann Karig, der extra für dieses Buch lauter Studie und Arbeiten zu friedlichen Protestbewegungen gewälzt hat, schon frühzeitig auf: Dass es schnell gehen könnte, dass eine Demo, eine mit Suppe bekleckerter van Gogh oder eine Sitzblockade genügen, um die Regierenden dazu zu bringen, endlich zu handeln.

Anders, als wenn man Traktoren besitzt und mit mächtigen PS unter der Haube ganze Autobahnen sperren kann. Wenn Bauern rebellieren, reagieren Mächtige – wie wir Anfang des Jahres erlebten – sehr schnell. Erst recht, wenn sich Bauern mit Rechtsradikalen verbünden und auch noch Minister bedrohen. Das weckt Erinnerungen an ganz finstere Zeiten.

Darauf kommt Karig am Ende auch noch zu sprechen und fragt sich aus guten Gründen, warum solche rechten Aktionen mehr Aufmerksamkeit bekommen, mehr Wohlwollen von Ministern (wie dem sächsischen Innenminister) und mehr Bereitschaft der Regierenden, dem Willen der Protestierenden zu willfahren.

Während dutzende Klimastreiks mit Hunderttausenden von Demonstrierenden einfach ignoriert und ausgesessen werden, obwohl selbst das Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass die Klimapolitik der Regierung eindeutig gegen Verfassungsgrundsätze verstößt und das Recht der jüngeren Generation auf eine lebenswerte Zukunft zerstört.

Und trotzdem tut sich nichts. Im Gegenteil: Die aktuelle Regierung hat auf Druck der FDP selbst das eh schon ungenügende Klimagesetz der Vorgängerregierung aufgeweicht. Da steht wirklich die Frage: Lohnt sich dann da überhaupt noch irgendeine Art von Protest, die so ein elementares Anliegen wie den Schutz den Klimas zur Chefsache in Berlin macht?

Friedlicher Protest braucht langen Atem

Friedemann Karig hat nicht nur die verfügbaren Studien dazu gelesen, wie das mit früheren nur zu berechtigten Anliegen war wie dem Frauenwahlrecht, dem Sturz des Schah im Iran oder der Friedlichen Revolution im Osten. Alles – bis auf den Kampf der Suffragetten in England – friedliche Revolutionen. Wie auch der lange Kampf gegen die Apartheid in den USA (Stichwort: Martin Luther King) oder der Befreiungskampf in Indien (Mahatma Gandhi). Es gibt also richtig starke Vorbilder, dass sich friedlicher Protest lohnt und die Dinge verändern kann.

Aber es ist nie ein kurzer Kampf. Denn es gibt immer eine Mehrheit in der Gesellschaft, die anfangs keine Veränderung will. Das Opportunistische ist – das stellt Karig auch für sich fest – der scheinbare Normalzustand des Menschen, wenn er alles hat und die Dinge (für ihn) scheinbar völlig in Ordnung sind. Was kümmern mich da empörte Frauen, benachteiligte Farbige, ausgeplünderte Inder oder gar betroffene Kinder, die mit offenen Augen sehen, wie ihre Zukunft gerade von Millionen gleichgültiger Menschen verbrannt wird?

Wobei beim Klima, mit dem die Menschheit in den vergangenen 11.000 Jahren beschenkt wurde, eine Tragik hinzukommt, die man auch bei anderen Gütern, die allen gehören, feststellen kann, die Tragik der Allmende. „Die Tragik der Allmende ergibt sich hier nicht so sehr aus dem Egoismus oder der Gier der beteiligten Individuen (wenngleich beide häufig eine Rolle spielt), sondern eher aus der Unfähigkeit der Beteiligten, einen kollektiven produktiven Umgang mit dem zu üben, was sie frei verfügbar vorfinden“, schreibt Karig.

Und zur Tragik gehört eben auch, dass diejenigen, die reich sind und über mehr Ressourcen verfügen, auch stärker auf die Allmende zugreifen, also mehr fossile Energie verbrauchen und die Atmosphäre vielfach stärker belasten als arme Menschen.

Auch die Demokratie ist eine Allmende

Und das trifft auch auf die Allmende „Demokratie“ zu, kann Karig anmerken. Denn wer reich ist, besser vernetzt ist, sich Lobbyisten leisten kann und seine Meinung in Medien und Politik durchsetzen kann, der „nimmt“ sich auch einen größeren Teil von der Demokratie. Deswegen haben wir eine Politik für die Reichen, ein ausgemachtes Armen-Bashing und jede Menge Politik, die eine echte Klimawende ausbremst. Grund genug also, zu resignieren, oder?

Nein, stellt Karig am Ende fest, nachdem er sich auch eingehender mit den Strategien beschäftigt hat, die hinter erfolgreichen Protestbewegungen steckten. Sie entstanden alle nicht spontan, sondern begannen mit Menschen, die sich sehr bewusst waren darüber, dass man erstens jede Menge Aufmerksamkeit für das eigene Anliegen schaffen muss und zweitens gerade diejenigen erreichen und in Bewegung bringen muss, die zu Hause sitzen und sich sagen: Was geht das mich an?

Also die gern zitierte „schweigende Mehrheit“, die sich geradezu darin eingerichtet hat, dass sie die „Demokratie“ an der Wahlurne abgeben kann und dann die gewählten Politiker machen lässt. All die Leute, die bei Umfragen jedes Mal sagen, dass die Anliegen der jungen Klimaschützer nur zu berechtigt sind. Aber obwohl sie dem Ansinnen zustimmen, bleiben sie zu Haus.

Und ärgern sich höchstens, wenn dann die Leute von Letzte Generation oder Extinction Rebellion mit ihren Aktionen nicht nur die Medien zum Glühen bringen, sondern auch mal den Berufsverkehr lahmlegen. Was ja bekanntlich sofort heftige Reaktionen konservativer Politiker nach sich zog, die von Terroristen und kriminellen Vereinigungen scheadronierten.

Auch friedlicher Protest löst Gegenreaktionen aus

Wobei hier eben auch auf diese nach wie vor friedlichen Protestformen zutrifft: Wer sich das traut, muss damit rechnen, dass Polizisten, Politiker und Staatsanwälte heftig und rücksichtslos reagieren. Denn natürlich stört dieser Protest die gewohnten Abläufe, den geregelten Gang der Dinge. Er ist ärgerlich. Aber wie sonst soll er Sinn ergeben? Alles Fragen, die auch die Protestierenden diskutieren. Und das sogar öffentlich, alle ist nachlesbar.

Was freilich auch reihenweise die konservativen Medien im Land ignorieren. Sie schlagen lieber mit wilden Schlagzeilen drein auf die zumeist jungen Leute – der Inhalt des Protestes wird meist völlig ignoriert. Ist die Botschaft also verloren? Dringt sie nicht durch?

Wer nachlesen will: Hier sind die Websites von Extinction Rebellion und von Letzte Generation.

Es geht, so Karig – um eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Und eben um Geschichten. Geschichten, die sich die Leute merken können.

Was eben leider auch Parteien nicht begreifen wollen, die eigentlich was ändern wollen. Deshalb dominieren derzeit die zähen und strohdummen (und falschen) Geschichten der Rechtspopulisten.

Aber hier geht es nicht um die oft mit jeder Menge Geld (und russischer Propaganda) aufgeladenen Geschichten der Rechten. Es geht um die Geschichten der wirklich Schwachen, die jetzt schon wissen und erfahren, wie hart der Klimawandel sie trifft. Die auch stärker empfinden, was inzwischen die meisten Menschen in diesem Land fühlen: Wie ohnmachtig sie sind und wie gnadenlos ihre Bedürfnisse und Wünsche von einer Politik ignoriert werden, die sich augenscheinlich nur noch um die Wünsche der Reichen und Rücksichtslosen kümmert.

Wem nutzt die politische Lethargie?

Es geht also nicht nur um Klimaprotest in Karigs Buch. Es geht auch um das verinnerlichte Gefühl, dass Protest sich nicht lohnt, dass wir machtlos sind. Das sorgt nicht nur für Unzufriedenheit mit der Politik, sondern für ein regelrecht abstürzendes Vertrauen in Politikerinnen und Politiker. Und das bekommen dann oft genug die Politiker ab, die gar nichts dafür können, die selbst immerzu gegen Wände rennen.

So betrachtet, ist der politische Missmut sogar gewollt. Denn er nutzt den Leuten (und Konzernen), die von der politischen Lethargie profitieren. Man steigt mit Karig also auch ein bisschen ein in die aktuelle politische Psychologie, die so auch schon in der Vergangenheit funktioniert hat. Diejenigen, die von den Missständen profitieren (zum Beispiel rund 70 Milliarden Euro klimaschädlicher Subventionen jährlich), sind zufrieden, wenn die stille Mehrheit zwar mault und meckert, aber nicht auf die Straße geht.

Sich also – obwohl in einer funktionierenden Demokratie lebend – nicht interessiert und auch nicht aufrafft, offenkundige Missstände zu ändern. Doch die Dinge kommen erst in Bewegung, wenn man diese Menschen erreicht – sie also wieder zu politischen Menschen macht, wie es Karig formuliert. Denn wir leben schon lange in einer Welt, in der alles, was wir tun, politisch ist – auch unser Essen, unsere Fortbewegung, unsere Kleidung.

Denn längst geht es an die Grundsubstanz unserer Welt und unser aller Lebensgrundlagen. Und so schaltet auch Karig um im Kopf: Das „Ich kann ja doch nichts ändern“ ist keine Haltung. Protest gehört zur Demokratie. Er ist ihr wichtigstes Korrektiv. Und so wird der Mensch eigentlich erst zum richtigen Demokraten, wenn er sich ganz selbstverständlich auch an allen Protesten beteiligt, in denen es um ein wichtiges Anliegen geht.

Und alle Studien belegen, dass schon die Teilnahme an einem Protest, in dem viele ein nur zu berechtigtes Anliegen teilen, das eigene Gefühl der Ohnmacht auflöst. Ganz zu schweigen davon, wenn Proteste tatsächlich etwas erreichen. So wie die großen Demonstationen im Herbst 1989.

Veränderung beginnt im Kopf

Die Forscher sind sich zwar bei einige nAspekten, wie Protest wirklich wirkt, manchmal uneinig. Und manchmal muss man sich direkt mit den Leuten konfrontieren, die an den alten Missständen festhalten wollen und dafür auch die schwer bewaffnete Staatsmacht aufbieten. Aber viele Proteste sind gerade deshalb erfolgreich geworden, weil sich ihre Vertreter nicht haben einschüchtern lassen und wussten, dass der Gegner auch zu völlig sinnloser Gewalt greifen würde (wie im Hambacher Forst).

Aber wenn Proteste die Schwelle überschreiten, dass die Daheimgebliebenen sagen: „Solche Spinner!“, dann beginnt sich etwas zu bewegen. Zuerst in der Sicht der Unbewegten auf die Akteure da draußen. Und dann bei der Bereitschaft, die Welt tatsächlich wieder als veränderbar zu denken. Und wichtige Forderungen auch zu teilen.

Und so ermutigt Karig am Ende nicht nur sich selbst, sich nicht mehr wegzuducken, wenn draußen etwas Wichtiges passiert. Eine Ermutigung, die auch aus Zeiten der Corona-Pandemie stammt, als er mit Freunden und Bekannten gemeinsam eine Aktion startete „Die Masken auf!“, als die Regierung noch so tat, als würden Masken bei der Eindämmung des Virus keine Rolle spielen. So lernt man, dass man eben doch etwas bewegen kann und Resonanz erlebt in einer Gesellschaft, in der scheinbar alle in ihrer dunklen Nische verschwinden und keiner mehr mit anderen gemeinsam etwas zuwege bringt.

Doch, es geht, stellt er fest. „Man kann heute mit gutem Grund mutlos sein. Die schlechte Nachricht lautet: Momentan scheinen wir den Kampf zu verlieren und in der Folge so vieles, was für immer fort sein wird. Die gute: Wir haben noch gar nicht angefangen zu kämpfen.“

Und er erinnert daran, dass die Veränderung zuerst im Kopf beginnt. Dort muss man anfangen, Veränderung für möglich zu halten. Und dann geht man los und dockt sich an, da, wo es wirklich um die wichtigen Sachen in unsere Welt geht. Karig nennt es sogar eine „Aufgabe von überwältigender Schönheit“. Natürlich. Es geht um eine ganze, noch lebendige Welt.

Friedemann Karig „Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt“ Ullstein, Berlin 2024, 22,99 Euro.

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