Ein Buch – gerade im rechten Moment. Und das im doppelten Wortsinne. In Zeiten, die in der Tendenz „rechter“ zu werden scheinen, verbindet man „rechts“ im wahrhaftigen Sinne mit härter, kälter und kriegsbereiter. Und das sind sie. Auch die richtigen Zeiten. Zeiten, in denen alle möglichen (Schein-)Argumente gefunden werden, ein Volk und insbesondere die Jugend „kriegsbereiter“ und „wehrfähiger“ zu machen. (Die An- und Ausführungszeichen reichen gar nicht, um diese beschämenden Euphemismen ausreichend zu kennzeichnen.)

Als wäre alles nicht schon einmal dagewesen. Die „Bösen“ sind dabei immer die anderen, wir sind die Guten, müssen uns verteidigen – gegen ein Meer von missgünstigen Feinden, die uns unsere (wertebasierte) Ordnung und unseren Wohlstand neiden. Nur dass sie dieses Mal nur im Osten und noch ferneren Osten stehen, die Feinde, gegen die es sich materiell und geistig hochzurüsten gilt.

„Sondervermögen“ für das Heer, Propaganda für kommende Auseinandersetzungen, gefüttert mit jahrelangen und immer verdrehter wirkendem Geschichtsrevisionismus – so lautet die aktuelle Mixtur aus der Mottenkiste der Kriegsvorbereitungen, immer endend in der zweifelhaften Vision, dass ein „gutes Ende“ in Aussicht steht.

„Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann“ heißt das jüngste im Frühjahr erschienenen Werk des mittlerweile emeritierten Geschichtsprofessors Gerd Krumeich (*1945), der sich seit geraumer Zeit mit der Ursachenforschung des Aufstiegs der Hitlerpartei bis hin zur Machtübernahme 1933 beschäftigt. Krumeich geht dabei ganz in der Tradition der bürgerlichen Geschichtsschreibung vor. Historisch-empirisch, an Einzelphänomenen forschend, stellt er mosaikartig ein Gebilde an historischen Wegmarkierungen zusammen, die ganz zuletzt einen „Überwindungsimpetus“ der Verlierer begründen sollen und schließlich wirkmächtig werden.

So erklärt Krumeich den Aufstieg des spätestens in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zum europäischen Phänomen gewordenen Faschismus mit dem Trauma des verlorenen Krieges, der aus deutscher Sicht seinen Ausdruck in der Revolution 1918/19 und dem folgenden Versailler Vertrag fand. Ja, tatsächlich stellt der ehemalige Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Universität Düsseldorf (1997–2010) einen Zusammenhang her zwischen Kriegs-/Friedensniederlage (Versailles) und dem kontinuierlichen Anwachsen der Hitler-Bewegung in den späten 20er Jahren.

„Ohne das Versprechen, die Niederlage von 1918, den ‚schandhaften‘ Friedensvertrag von Versailles 1919 zu tilgen, Deutschland wieder zu alter und neuer Größe zu führen, die zwei Millionen Gefallenen des Krieges zu ehren und ihrem Tod für das Vaterland einen neuen Sinn zu verleihen, hätte Hitler niemals die Unterstützung gefunden, die dazu führte, dass er 1933 die Macht übertragen bekam.“ (aus dem Vorwort)

Um es nicht zu vergessen: Krumeich vernachlässigt dabei bewusst das Interesse und den niemals versiegenden Drang der alten kaiserlichen und neuen großbürgerlichen Eliten, Deutschland den „Platz an der Sonne“ zu verschaffen, auch wenn der erste Versuch in den Schützengräben vor Paris, in Verdun und an der Somme scheiterte.

Der „Große Krieg“, in Frankreich heute noch so genannt, wird von ihm an keiner Stelle als imperialistisches Großabenteuer mit Millionen von Toten gekennzeichnet, auch Krumeich stellt ihn nicht als Verbrechen an den Millionen getäuschter und gefallener Menschen dar, erwähnt dafür umso deutlicher, dass die „verpassten Chancen“ der Gefallenenehrungen durch die kurzlebige Weimarer Demokratie den Nazis das Feld für erneuerte nationalistische und revanchistische Propagandaerfolge bereitete.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 125, VÖ 31.05.2024. Foto: LZ

Das scheint Krumeich wichtig zu erwähnen: „So ist bislang kaum bekannt, dass beispielsweise der erste große Parteitag der NSDAP 1929 in Nürnberg ganz und gar dem ‚Vermächtnis‘ des Weltkriegs gewidmet war, einschließlich Gefallenenehrung und einem ‚Riesenfeuerwerk‘, welches das Fronterlebnis zehn Jahre nach Ende des Krieges zurückzuholen versprach.“

In dem Zusammenhang untersucht der Historiker auch das von Hitler und seiner Umgebung immer wieder erwähnte Phänomen des „Dolchstoßes“ der Revolution in den Rücken der „kämpfenden Truppe“ Ende 1918, ja, er unterstellt, mit Aussagen zeitgenössischer Geschichtswissenschaftler untermalt, der Legende einen plausiblen Kern.

„Weitsichtige Zeitgenossen wie der Theologe und liberale Politiker Ernst Troeltsch sahen schon damals voraus, wie sich die öffentliche Debatte entwickeln würde: Man wird von der Revolution heute noch nicht sagen können, ob sie vermeidbar war. Ob vermeidbar oder nicht, ein großes Unglück ist sie. Schon der Waffenstillstand wäre ohne sie nicht so entsetzlich geworden.“

Kein Hitler ohne Revolution, Waffenstillstand von Compiègne und Vertrag von Versailles? So einfach ist oder war es eben nicht. Zwar hatte bereits 1920 der britische Ökonom und Politiker John Maynard Keynes in erstaunlicher Weitsicht vor den (wirtschaftlichen) Folgen des Versailler Vertrages gewarnt, welche soziale Radikalisierung und konstantes Rachebedürfnis der Deutschen fördern würden; der Aufstieg des Hitlerfaschismus war aber auch einem nie verschwundenen Antiliberalismus, antidemokratischen Denken und ödipalen Komplexen im deutschen Volk geschuldet.

Man sah sich überdies von der assimilierten und ehrgeizigen bürgerlichen jüdischen Gemeinde in Deutschland bedroht, dazu ausgeliefert an fremde Siegermächte, die ihre horrenden Reparationsforderungen aus wahltaktischen und finanzpolitischen Gründen nur zögernd herabsetzten … Sicherlich alles von den Nazis genutzt, wie Krumeich in seinem ausführlichen III. Kapitel zum Young-Plan (1929) exemplarisch darstellt.

Andererseits verschweigt er die Schwäche(n) der Demokratie, wenn er schon neue Betrachtungen zum Aufstieg der Nazibewegung anstellt. Das Verhindern wirklicher Systemalternativen zum restaurierten Kapitalismus, der mit seinen Protagonisten ein geschicktes Abwälzen der Kriegslasten in Richtung der einfachen Bürgerinnen und Bürger, der Werktätigen des Landes betrieb.

Krumeich räumt dem Trauma des verlorenen Krieges, der Niederlage – symbolisch begangen im Jubiläumsjahr 1929 – breiten Raum ein, sah den „Frontgeist“ der SA über den Pazifismus eines Erich Maria Remarque siegen … verkennt und unterschätzt aber den „Unterbau“ einer gedemütigten Wirtschaftsgroßmacht mit einer gewinnsüchtigen Rüstungs- und später Kriegsindustrie.

Von Götz Aly („Hitlers Volksstaat“) hätte der Weltkriegshistoriker und Nationalsozialismusforscher Krumeich dabei einiges lernen können.

Gerd Krumeich Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann. Die Nazis und die Deutschen 1921–1940. Herder-Verlag, Freiburg 2024, 26,00 Euro.

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