Berlin-Kreuzberg ist Sumpfland geworden. Scharen von Menschen paddeln frühmorgens in die Stadt, denn die Reichen, sogenannte „Taker“ und ihre Partei „Freie Taker Deutschlands (FTD)“ haben die Stadt übernommen und neue Gesetze gemacht: Wer wenig hat, muss den Reichen geben, wer hat, der kriegt. Aber bitte: Always smile, heißt es beim Arbeitsamt, wo die Tagesaufgabe verteilt wird. Das Lächeln ist Fassade, im wahrsten Sinne des Wortes, es wird auch auf die Schutzanzüge aufgeklebt, die permanent getragen werden müssen.

„Innovation und Wachstum“ wird propagiert, „Das Beste liegt vor uns“ oder „Denken wir frei“ – Parolen, die in dieser dystopischen Welt in ihrer Lächerlichkeit entlarvt werden. Oder ist diese Welt vielleicht gar nicht so dystopisch und weit entfernt, sondern sehr nah an den heutigen Verhältnissen?

Ob es nun die KI sein wird oder die Menschen selbst, die ihre Existenz auf dem Planeten zerstören: Katia Fouquets Kurzcomic „Alles ist möglich“ ist einer von 14 Comics, die eine Zukunft auf der Erde in 100 Jahren ausmalen. Eine positive Zukunft zeichnen dabei nur wenige. Was passiert mit den Menschen und ihren Beziehungen in einer post-apokalyptischen Welt? Werden wir uns der maximalen Effizienz unserer gefährdeten Reproduktion zuwenden, werden wir den Markt über alles stellen, wird Technologie uns retten oder uns ins Verderben führen oder können wir zurück zu Gemeinschaftlichkeit finden?

Einige Geschichten sind abgespact (die Menschheit wird von Aliens in Form von Hundewelpen überwacht), andere deutlich absehbarere Realität (die Oma erzählt, wie es früher, als die Meere intakt waren, manchmal Fisch zu essen gab). Manche glauben daran, dass die Menschen von Marktlogiken befreite Beziehungen aufbauen können, andere zeichnen die Welt der Ausbeutung und Spaltung in Arm und Reich fort.

KI mit Gefühlen?

epaper
Cover Leipziger Zeitung Nr. 124, VÖ 03.05.2024. Foto: LZ

Ether ist eines von 10.000 KI-Modellen, die produziert wurden, um Welten aus einem Zukunftssimulator zu erkunden. So wollen die Menschen eine bestmögliche Zukunft für sich selbst finden können. Ether wird nach ehemals Kinshasa gesendet, ehemals eine Stadt mit 16 Millionen Einwohner*innen, nun eine Landschaft, die sich nach der Vernichtung der Menschen entwickeln und gedeihen konnte.

In Bea Davis „Die Beste aller Welten“ leben nur noch wenige Menschen. Ether wird von zwei Überlebenden aufgenommen. Die Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit überrascht Ether. „Es gibt Menschlichkeit in dieser Höhle. Die Welt ist in Ordnung.“ Was mag Ether schon alles gesehen und erlebt haben?

Ether will nicht zurück. Hat ein Virus Ether gepackt? Das Virus Menschlichkeit, unvorstellbar für eine KI und gleichzeitig ein Spiegel für die heutige Gesellschaft: In einer auf Effizienz und Profite, Abschottung und Individualisierung ausgerichteten Gesellschaft können Menschlichkeit und Zugewandtheit nur eine Krankheit sein.

Maximale Effizienz

Deadlines, Stress und existenzielle Ängste sollen für Künstler*innen der Vergangenheit angehören. Denn im „Creativ Lab Inc. Familiy“ werden die rohen Gedanken zu „Content Diamonds“ verarbeitet. Sind alle so happy? Oder sind sie es nur, solange sie im „Content Diamonds“ für das System produzieren können?

Aber kein Problem: Auch für die gescheiterten Künstler*innen gibt es das „Center für failed failed creatives“. „Mach endlich was aus deinem Leben“, sagte der Roboter zum Menschen und zog weiter.

Die Roboter haben die Menschen in einer technologisierten Effizienzgesellschaft fest im Griff. Wenn du nicht mehr kannst, dann bist du zwar gesellschaftlich am Boden, ausrangiert worden, aber eine Perspektive geben wir dir, damit wir deine Arbeitskraft ausbeuten können, so die dahinterstehende Devise.

System funktioniert, weil die funktionierenden Menschen sich betäuben und die Augen vor dem Leid der ineffizienten Ausgestoßenen verschließen. Die „Ausrangierten“ selbst haben keine Stimme mehr. Auch diese Gesellschaft scheint gar nicht so weit entfernt. Vielleicht zeigt Aisha Franz‘ „Melinda“ nur eine Verdichtung dessen, was bereits heute Realität ist.

Lilian Pithan (Hg.) „The Future is … 14 Comics über die Zukunft“ Carlsen Comics, Hamburg 2024, 25,00 Euro.

„Vom Auto überwacht? Wächter-Modus von Tesla Autos in der Kritik“ erschien erstmals im am 03.05.2024 fertiggestellten ePaper LZ 124 der LEIPZIGER ZEITUNG.

Sie wollen zukünftig einmal im Monat unser neues ePaper erhalten? Hier können Sie es buchen.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar